Statt direkt in seine Sake-Brauerei, führt uns Maegaki Kazuhiro erst auf das Dach des Hauptgebäudes. Von dort lassen wir an diesem sonnigen Märzvormittag den Blick über Saijō schweifen. Die beschauliche Gemeinde liegt mitten in einem Wohngebiet der Stadt Higashi-Hiroshima, ca. 35 Minuten mit der Bahn von der Präfekturhauptstadt Hiroshima entfernt. „Seht ihr die Schornsteine? Daran erkennt man die Sake-Brauereien“, erklärt Maegaki. Er deutet auf die schlanken Schornsteine aus rot-braunem Backstein, die einen starken Kontrast zu den weißen Gebäuden und schwarzen Dächern der Brauereien sowie den umliegenden Wohnhäusern darstellen. An der Seite jedes Schornsteins prangt in großen weißen Schriftzeichen der Name des jeweiligen Unternehmens.
Der Japaner ist in 4. Generation Inhaber und Präsident von Kamoizumi Shuzo Co. Ltd., einer lokalen Sake-Brauerei, die 1912 von seinem Urgroßvater gegründet wurde. Maegaki zeigt weiter auf die nahegelegenen Berge. Neben Reis stelle Wasser die wichtigste Zutat von Sake dar und deshalb sei es essenziell, die Natur der Region zu schützen. Er engagiere sich daher auf lokaler Ebene stark für den Wasser- und Umweltschutz, erzählt Maegaki stolz. Damit ist er nicht allein: Die lokale Brauereivereinigung spendet pro 1,8 Liter verkauften Sake 1 Yen an eine Freiwilligengruppe, die im Gebirge mehrmals im Jahr Reinigungsarbeiten durchführt.
Eines der drei Sake-Zentren Japans
Kamoizumi ist eine von acht aktiven Sake-Brauereien in Saijō – einige davon gehören zu den berühmtesten des ganzen Landes. Neben Nada (Präfektur Hyōgo) und Fushimi (Präfektur Kyōto) gehört Saijō zu den „drei großen Sake-Zentren“ Japans. Dafür sind das günstige regionale Klima und das bereits erwähnte Wasser ausschlaggebend: „In Saijō befindet sich das beste Wasser in einem sehr schmalen Streifen Land, daher liegen die meisten der hiesigen Sake-Brauereien nahe beieinander“, heißt es auf der deutschsprachigen Website Saijōs.
In der Tat kann man vom JR-Bahnhof Saijō innerhalb von 30 Minuten an allen gemütlich vorbeischlendern. Neben Kamoizumi ist die 1873 gegründete Brauerei Kamotsuru die wohl berühmteste, die für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Deren Premium-Daiginjō-Sake „Tokusei Gold“ wurde bereits vom ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama gemeinsam mit dem japanischen Ex-Premierminister Abe Shinzō medienwirksam genossen.
In der Edo-Zeit (1603-1868) war die Gemeinde eine beliebte Zwischenstation für Reisende und seit Mitte des 17. Jahrhunderts wird hier Sake hergestellt. Doch erst Anfang des 20. Jahrhunderts erfuhr Saijō landesweite Anerkennung als Brauzentrum.
Diese Entwicklung ist vor allem Miura Senzaburō (1847-1908), dem „Vater der modernen Sake-Herstellung“ zu verdanken. Als der Sohn einer Handelsfamilie aus Akitsu (Teil des heutigen Higashi-Hiroshima) sich selbst an der Sake-Herstellung versuchen wollte, zog er nach Nada, um von den besten Braumeistern zu lernen. Doch zurück in der Heimat verdarb sein Sake wieder und wieder. Auf der Suche nach Antworten verschlug es Miura weiter nach Fushimi, wo er erstmals vom Einfluss harten und weichen Wassers auf den Geschmack erfuhr. Ihm wurde klar, dass er seine Braumethoden an das vergleichsweise weiche Wasser Hiroshimas anpassen musste. Seine Erkenntnisse brachte Miura zurück nach Saijō. 1898 entwickelte er eine neue Herstellungsmethode, aus der der besonders delikate Ginjō-Sake entstand – damals revolutionär, heute Industriestandard. Anders als andere Sake-Sorten wird Ginjō bei niedriger Temperatur und über einen längeren Zeitraum fermentiert, wofür sich weicheres Wasser besser eignet. Bis heute wird weitestgehend nach Miuras Techniken Sake gebraut.
Der besondere „Saijō-Sake“
Maegaki führt uns nun in das Herzstück der Kamoizumi-Brauerei. Wir stehen vor mehr als 20 massiven Tanks, in denen der aus regionalem Anbau stammende Reis sorgfältig gärt. Aus jedem dieser Tanks entstehen am Ende ca. 7.000 Liter Reiswein. Wir dürfen einen Blick hineinwerfen: Im ersten Tank gärt der Reis erst seit zwei Tagen. Etwas matschig ist er bereits, aber die einzelnen Reiskörner sind noch gut zu erkennen. Im nächsten Tank liegt er seit vier Tagen. Jetzt ist es eine flüssige, milchige Masse, die an einigen Stellen blubbert – das Zeichen dafür, dass die Fermentierung voll im Gange ist.
Damit sich ein Sake auch wirklich „Saijō-Sake“ nennen darf, muss er bestimmte Bedingungen erfüllen. Er muss nach dem traditionellen dreistufigen Brauverfahren, zu 100 % mit in Hiroshima geerntetem Reis und mit Wasser aus den von den Brauereien betriebenen Quellen hergestellt werden. Außerdem muss er den Güteklassen Junmai Ginjō, Daiginjō oder Junmai Daiginjō entsprechen, das bedeutet, der Reis muss einen Poliergrad von mindestens 60 % bzw. 50 % haben (also auf 60 % bzw. 50 % seiner ursprünglichen Größe reduziert werden). All das wird selbstverständlich bei einer Blindverkostung von einem speziellen Gremium überprüft.
Maegaki ist stolz auf seinen Sake, das erkennt man an der Leidenschaft, mit der er uns durch seine Brauerei leitet. „Früher war Reis ein äußerst kostbares Gut, denn es war das Grundnahrungsmittel der Bevölkerung“, führt der 49-Jährige aus, während wir vor der Filteranlage stehen. „Man stellte Sake daher nur aus den übriggebliebenen Resten her und auch nur so viel wie nötig, um es mit allen aus der Gemeinde teilen zu können“. Mit diesen Worten sind wir am Ende der Führung angelangt und stehen im Eingangsbereich. Dort sind zahlreiche altertümlich wirkende Becher und Gefäße ausgestellt, mit denen einst der kostbare Sake getrunken wurde.
Als wir nach draußen gehen, werfen wir einen letzten Blick auf das alte Gebäude mit seiner dunkelbraunen Schiebetür aus Holz. Wie vor den meisten Brauereien in Saijō ziert ein riesiges traditionelles Sakefass mit Kamoizumis Schriftzeichen den Eingang – dekoriert mit gelben, weißen und rosafarbenen Blumen, passend zum Frühling.
Sake-Festival und Spaziergänge durch die Zeit
Wer nun auf den Geschmack gekommen ist, sollte sich Anfang Oktober als Reisezeit merken. Denn dann findet in Saijō das große Sake-Festival statt, bei dem an zahlreichen Ständen Brauereien aus Hiroshima und ganz Japan zur Verkostung von rund 1.000 Sake-Sorten und dazu passenden Snacks einladen. Vor Ort werden kleine Events und regionale Köstlichkeiten angeboten, darunter die Saijō-Spezialität Bishu Nabe (ein mit Sake zubereiteter Eintopf). Doch auch in anderen Jahreszeiten bildet eine geführte oder individuelle Tasting-Tour den Höhepunkt einer jeden Hiroshima-Reise.
Neben dem Besuch von Saijōs hiesigen Brauereien lohnt sich ein gemütlicher Spaziergang durch die historischen Straßen, den Sakagura-dōri. Dabei sollte man auch einen Blick auf den Boden werfen: Wie in vielen Städten Japans finden sich auch dort einzigartige Gullideckel mit den charakteristischen braunen Schornsteinen. Geschichtsinteressierte sollten sich weiterhin das Mitsujō Kofun nicht entgehen lassen: Die beeindruckende Ansammlung dreier Schlüsselloch-förmiger kofun-Gräber aus dem 5. Jahrhundert ist ca. 30 Gehminuten vom Bahnhof Saijō entfernt.
Anreise
- Mit der JR Sanyo-Linie vom Bahnhof Hiroshima bis zum Bahnhof Saijō (ca. 35 Minuten).
- Vom Flughafen Hiroshima mit dem Bus bis Shiraichi (ca. 15 Minuten). Von dort mit der JR Sanyo-Linie bis Saijō (ca. 10 Minuten).
Die Brauerei-Viertel und die Sakagura-dōri liegen ca. 5 Gehminuten vom Bahnhof entfernt.
Weiterführende Links
- Tourismusportal Higashi-Hiroshima: https://hh-kanko.ne.jp/about/ (Japanisch)
- Saijō-Sake: http://saijosake.com/index.html (Englisch/Deutsch)
- Kamoizumi Shuzo Co., Ltd.: https://kamoizumi.co.jp/en/index.php (Englisch)
- Kamotsuru Sake Brewing Co., Ltd.: https://www.kamotsuru.jp/en/ (Englisch)
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