JAPANDIGEST: Stell uns deine Japan-Reise mit dem Rad bitte kurz vor!
Philip: Unterwegs war ich Ende August bis Mitte September. Japans Sommer ist zu warm für so eine Tour mit dem Rad, aber die Übergangsjahreszeiten bieten sich sehr an. Gestartet bin ich in Yokohama, wo ich damals wohnte, gefahren bin ich bis Kagoshima im Westen Japans auf Kyūshu. Für die 1200 Kilometer habe ich 19 Tage gebraucht. Das war zwar keine Cross Country-Tour, ich war in der Zivilisation unterwegs, aber trotzdem war ich immer von beeindruckender Natur umgeben.
JD: Wo genau warst du überall?
Philip: Ich bin von Yokohama über Shizuoka nach Kōbe gefahren. Dort habe ich mit der Fähre nach Shikoku übergesetzt. Da waren die Straßen leider ziemlich schlecht. Anschließend bin ich nach Kyūshu weitergefahren, bis nach Kagoshima im Süden. Für den Rückweg habe ich den Bus genommen und mein Rad mit einem Lieferservice zu meiner Wohnung bringen lassen.
JD: Japanische Fahrräder sind meist kleiner als europäische. Wo hast du dein Rad gekauft?
Philip: Ich habe mir sofort ein Rad gekauft, nachdem ich für mein Forschungsjahr nach Japan gezogen bin. Weil ich wusste, dass ich so eine Reise machen möchte, war ich in einem teureren Fachgeschäft, Giant Great Journey. Ich bin 1,85m und hatte keine Probleme mit der Rahmengröße. Nur eine anpassbare Lenkradstange habe ich noch dazu genommen.
Bevor ich nach Deutschland zurückgegangen bin, habe ich das Rad bei craigslist angeboten – und wurde es sofort los. Natürlich an einen anderen Ausländer, der ein größeres Rad gesucht hat.
JD: Was empfiehlst du Leuten, die nicht in Japan leben, für ein Rad?
Philip: Läden wie Donquijote sind für Reiseräder nicht zu empfehlen, höchstens für den Stadtgebrauch. Es gibt einen riesigen Gebrauchtmarkt für Fahrräder in Japan, aber das sind fast nur Räder mit kleinen Rahmen – außer bei craigslist zum Beispiel.
Wer kein Rad kaufen möchte, kann sich eines leihen – damit sind aber nur kurze Touren möglich. Alternativ kann man sein eigenes Rad auch im Flieger transportieren. Man muss es nur auseinanderbauen und in einer speziellen Hülle verpacken.
JD: Worauf sollte man bei der Planung einer Radtour durch Japan allgemein achten?
Philip: Man sollte nicht unterschätzen, dass Japans Straßen starke Steigungen und Gefälle haben! Das Land besteht eben aus bergigen Inseln. Außerdem sollte man auf den Wetterbericht achten. Im September gibt es eigentlich keine Taifune mehr, aber in dem Jahr, in dem ich gefahren bin, war das anders. Ich saß dann drei Tage auf Shizuoka fest und konnte wegen des starken Windes nicht weiterfahren.
JD: Muss man Japanisch für so eine Radtour sprechen?
Philip: Das ist auf jeden Fall von Vorteil. Gerade auf dem Land spricht nicht jeder Englisch. Viele Begegnungen hätte ich ohne die Sprachkenntnisse auch nicht so haben können. Zum Beispiel konnte ich unterwegs immer wieder um Wasser bitten. Japanische Häuser haben meistens einen Außenhahn, da durfte ich Wasser nachfüllen. Die Leute waren auch immer an meiner Geschichte interessiert, viele haben mir Essen gegeben. Das waren schöne Begegnungen. Auf Englisch kommt man sicher auch vorwärts. Aber es ist bestimmt schwieriger.
JD: Was hast du für die Radtour vorbereitet?
Philip: Mein Rad hatte vier Carrier Bags, von denen ich drei befüllt habe. Ganz wichtig waren mein Schlafsack, Wechselklamotten, Schlafkleidung und natürlich Material für das Rad: Radschläuche, eine Luftpumpe… Außerdem hatte ich Wasserflaschen zum Auffüllen dabei und eine Thermoskanne, um tagsüber kaltes Wasser trinken zu können.
JD: Wo hast du übernachtet?
Philip: Unter freiem Himmel! Das ist in Japan kein Problem. Zur Sicherheit hatte ich auch noch kleines Zelt dabei. Das habe ich aber nur einmal benutzt, am Strand, weil der Wind dort so stark war. Im Spätsommer ist es nachts in Westjapan einfach zu schwül, um in einem Zelt zu schlafen. Es war schön, unter den Sternen zu übernachten – aber ich hatte auch jede Menge Räucherstäbchen dabei, um nicht von den Moskitos aufgefressen zu werden!
JD: Wie hast du deine Route geplant?
Philip: Pro Tag wollte ich zwischen 80 und 100 Kilometer zurücklegen. Da ich ja keine richtigen Schlafunterkünfte hatte, habe ich kleinere Städte ausgewählt, die einen Gyōmu Sūpā haben. Das ist eine Großhandelskette. Dort habe ich meine Vorräte wie zum Beispiel Reis aufgefüllt. Außerdem musste die Stadt ein öffentliches Bad, ein Sentō, haben. Bei den großen Sentōs kann man oft auch Wäsche waschen oder sein Handy aufladen. Manchmal gibt es sogar Kantinen.
So ein Sentō hat mir auch sehr geholfen, als ich wegen des Taifuns auf Shizuoka festsaß. Es wurde sehr stürmisch, und ich habe dem alten Mann, der das Bad betreute, meine Situation geschildert und ihn gefragt, ob ich dort übernachten könnte. Netterweise durfte ich dann im Raum mit den Waschmaschinen schlafen.
JD: Welche Anekdote ist dir am stärksten im Gedächtnis geblieben?
Philip: Meine Übernachtung am Strand! Ich habe mein Zelt dort aufgebaut und dachte: Was machst du, wenn nun ein Tsunami kommt? Die Wahrscheinlichkeit ist natürlich sehr gering, aber man kann ja nie wissen. Tatsächlich wurde ich um drei Uhr nachts von den Warnsirenen geweckt! „Bitte evakuieren Sie den Strand! Begeben Sie sich in höher gelegene Gebiete!“ Ich habe dann schnell zusammengepackt, bin zu einem Evakuierungsareal gefahren – und habe dort weitergeschlafen. Am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass es ein Erdbeben in Chile gegeben hatte. Davon kam aber nichts in Japan an. Dafür wurde ich von einem Großvater geweckt, der mit seinem Enkel auf dem Evakuierungsplatz Fußball spielte.
Danke für das Interview, Philip!
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