Ohne Japanisch- und mit nur rudimentären Englischkenntnissen bereitete ich mich intensiv auf die Pilgerreise vor. Von früheren Japanreisen wusste ich, dass die Namen der Tempel und Unterkünfte ohne Schriftkenntnisse nicht unbedingt erkenntlich sind. Daher ermittelte ich von allen Tempeln sowie vielen Unterkünften die Adressen und GPS-Positionen.
Endlich geht’s los
Im August 2016 begann ich meine Fußreise. Schon am ersten Tag musste ich feststellen, dass ich für die 38° C und 90 % Luftfeuchtigkeit nicht gewappnet war: Mein Wasserbeutel war undicht und musste bereits in der ersten Unterkunft entsorgt werden. Bisher hatte ich die allgegenwärtigen Getränkeautomaten als Energiefresser verteufelt, nun arrangierte ich mich mit ihnen. Noch am selben Tag erlebte ich auch die große Hilfsbereitschaft der Anwohner gegenüber Pilgern: Ich unternahm einen Abstecher zum ersten Nebentempel, ohne Wasservorrat.
- In den Hochsommermonaten August und September sind die Temperaturen und die Luftfeuchtigkeit sehr hoch. Zum Pilgern sind Frühling und Herbst empfehlenswert.
Auf geteerten, engen Serpentinen stieg ich bei sengender Hitze auf 445 Meter. Kurz vor dem Tempeleingang stand ich erschöpft und durstig am Straßenrand. Der Schweiß floss in Strömen. Ein vorbeifahrender Handwerker nahm mich bis zum Eingangstor mit, von dort stieg ich über viele unebene Treppenstufen hinauf zum Tempel. Für die Schönheit des Bambuswaldes um mich herum hatte ich kaum einen Blick. Oben angekommen, wartete bereits mein Retter: Er reichte mir eine Flasche Wasser und verließ mich erst, als ich mich wieder erholt hatte. Das Geben kleiner Geschenke (Getränke, Obst, Speisen, etwas Geld usw.) an Pilger hat Tradition. Man nennt es o-settai. Oft erhielt ich unterwegs diese Zuwendungen und oft im richtigen Moment.
Bereits vor dem Betreten der Tempelanlage unter dem wachen Blick grimmig schauender Torwächter beginnen für Pilger die Rituale eines Tempelbesuchs. Als Christ betrat ich die Tempel mit Respekt und Demut und vollzog die Rituale, auch wenn ich beim Rezitieren der Herzsutra (MA KA HAN NYA HA RA MI TA SHIN GYŌ…) passen musste. Den Abschluss des Tempelbesuchs bildete der Kalligrafie- und Stempeleintrag in meinem Pilgerbuch. Zu den Ritualen gehört auch das Hinterlassen eines ausgefüllten Namenskärtchens (osamefuda) in einem der Zettelkästen bei der Haupthalle. Diese osamefuda beschriftet man mit Namen, Alter und Besuchsdatum. Ich hatte mir die Namenskärtchen vorgedruckt mitgenommen und trug nur noch das Datum ein.
Zu Fuß auf dem Pilgerweg
Der Shikoku-Pilgerweg ist mit unterschiedlichen Markierungen gekennzeichnet. Am häufigsten begegneten mir die ca. vier Zentimeter großen, roten Pilgermännchen, die manchmal versteckt angebracht oder von der Sonne ausgebleicht waren. Außerdem gibt es Holzschilder und Steinsäulen. Zusätzlich weist oft eine eingemeißelte Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger in Laufrichtung.
Viele Tempel liegen auf einem Hügel oder Berg. Zu Fuß sind sie über Trampelpfade, schmale, asphaltierte Wege und zahllose unebene und gar in den Fels gehauene Treppen zu erreichen. Unterwegs begegneten mir nicht viele Pilger. Das änderte sich bei der Ankunft an den Tempelanlagen. Schweißgebadet vor Anstrengung, kam etwas Neid auf, als die Busse und Autos mich überholten. Mitleidig sahen die Reisenden aus den klimatisierten Bussen auf mich herab, bevor sie in blütenweißen Gewändern zu den Tempelanlagen strömten. Die Begegnungen in den Tempeln selbst waren oft sehr nett. Gerne fotografierte man mich und einmal bekam ich eine Einladung zur kostenlosen Übernachtung in einem Tempel.
In Minshukus (Familienpensionen) und Ryokans (traditionelle japanische Hotels) traf ich vereinzelt Fußpilger. Die meisten waren Rentner, Studenten oder Kurzzeit-Pilger. Das erholsame, heiße japanische Bad (o-furo) genoss ich. Genauso das klassische Frühstück und Abendessen. Für mich war es immer ein Hochgenuss und gleichsam eine Augenweide. Wenn möglich, buchte ich beides.
- In Business Hotels wird meist nur Frühstück angeboten. Restaurants und 24-Stunden-Kombinis nahe des Pilgerwegs bieten nicht nur Mahlzeiten, sondern auch Sitzgelegenheiten und Toiletten.
Zum größten Teil führt der Pilgerweg an und auf Straßen entlang, hin und wieder sind lange Tunnel zu durchqueren. Kleine Straßen durch alte Dörfer haben ihren Charme. Nur hier sieht man traditionelle, alte Wohngebäude. Natürlich gibt es auch die einsamen Waldpfade. Der atemberaubende Blick von einem hochgelegenen Pfad auf den Pazifischen Ozean ist unvergessen für mich. Unten tiefblaues Wasser, weißschäumende Gischt heranrollender Wellen, umsäumte Felsen und kleine, vorgelagerte Inseln, dahinter die endlose Weite des Ozeans. Der Gehweg neben der Straße am Meer entlang wirkte dagegen ernüchternd.
Der Shikoku-Pilgerweg verlangte mir einiges ab: große Hitze mit hoher Luftfeuchtigkeit, Krankheit, Blasen, Stürze, Taifune, giftige Schlangen, viele Steigungen und noch viel mehr Treppenstufen. Trotz dieser Widrigkeiten fand ich immer wieder zur inneren Ruhe und Ausgeglichenheit zurück. Ich verbinde diese Pilgerreise mit vielen schönen Momenten, Begegnungen und der mir immer wieder entgegengebrachten Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Menschen. Für mich, mit inzwischen 10.000 zurückgelegten Fußkilometern, war und bleibt diese Pilgerreise einzigartig.
Profil Werner Bach
Nach einer Bandscheiben-OP begann Werner Bach 2001 mit dem Walking und später auch Nordic Walking. Es folgten unter anderem der Jakobsweg von Darmstadt bis Santiago de Compostela, eine 5000 km lange Deutschlandumrundung und 2016 schließlich der Shikoku-Pilgerweg. Informationen zu Vorbereitung und Durchführung der Pilgerreise sowie zahlreiche Tipps zu Unterkünften veröffentlicht der leidenschaftliche Pilger auf seiner Website.
Dieser Artikel wurde von Werner Bach für die Juli 2018-Ausgabe des JAPANDIGEST verfasst und für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet. Weitere Printartikel rund um Shikoku finden Sie hier!
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