Japans nordöstliche Region Tōhoku galt früher als abgelegen und schwer zugänglich. Heute sind ihre einzigartigen Traditionen, ihre nicht mit Touristen überfüllten historischen Stadtteile und umwerfenden natürlichen Landschaften dank des Tōhoku-Shinkansen und anderer Transportmöglichkeiten leichter zu entdecken als je zuvor.
Um zu enthüllen, was diese faszinierende Region zu bieten hat, brach ich zu einer kurzen Reise in drei der sechs Präfekturen der Tōhoku-Region auf: Fukushima, Yamagata und Akita.
Tag 1
Ōchijuku
Nach dem Verlassen des Bahnhofs Tōkyō erreichte der Tōhoku-Shinkansen die Shin-Shirakawa-Station in der Präfektur Fukushima nach gerade einmal knapp über 90 Minuten. Von hier fuhr ich mit dem Auto in Fukushimas alte, szenische Poststadt Ōchijuku (大内宿). Während ich durch die unbefestigten Straßen streifte, von beiden Seiten umgeben von hölzernen Gebäuden mit Strohdächern, konnte ich mir leicht vorstellen, zu Fuß in Japans Feudalzeiten zu reisen.
Die Restaurants boten einen eher ungewöhnlichen Anblick: Die Stammgäste schienen Soba (Buchweizennudeln) mit einem langen Stück Lauch anstelle von Stäbchen aufzunehmen. Als ich herausfand, dass dies eine lokale Spezialität namens Takato-soba ist, bestellte ich eine Schüssel im Geschäft Misawaya und versuchte die Menschen um mich herum zu imitieren. Meine Nudeln entglitten mir ein paar Mal, doch am Ende bekam ich den Dreh heraus – was vermutlich leichter ist als das Essen mit Stäbchen zu lernen – und ich musste den Laden nicht hungrig verlassen.
No. 1 Tadami River Bridge
Als nächstes fuhren wir durch eine bergige Landschaft im Präfekturinneren Fukushimas bekannt als Oku-Aizu, deren Anblick von dichten Wäldern, tiefen Schluchten und in der Ferne liegenden, leicht schneebedeckten Gebirgen, zu atemberaubend war, um ihn zu ignorieren. Dank eines leichten Regenschauers früher am Tag erhaschten wir sogar einen Blick auf das „Wolkenmeer“-Phänomen, wenn Nebel die Täler wie mit weißen Baumwollbüscheln füllt.
Doch das wahre Highlight der Fahrt war ein Stopp bei der szenischen No. 1 Tadami River Bridge (第一只見川橋梁). Es gibt verschiedene Aussichtspunkte, die nur einen kurzen Fußweg von der Michi-no-eki Mishimajuku (道の駅みしま宿) Raststätte entfernt sind, von denen ich die gewölbte Zugbrücke bestaunen konnte, die in den Spiegel-gleichen Gewässern des Tadami-Flusses reflektiert wurde. Mit dem richtigen Timing (das ich nicht hatte) können Sie sogar die vorbeifahrende, grün-weiße Bahn der JR Tadami-Linie erblicken.
Awa-manju kosten
Eine kurze Autofahrt entfernt liegt Yanaizu, eine Stadt, die um den 1.200 Jahre alten Fukuman Kokūzō Bosatsu Enzōji-Tempel errichtet worden ist. Eine lokale Delikatesse hier ist Awa-manju, eine traditionelle, gedämpfte Süßware aus knallgelber Hirse, die einen weichen Kern aus roter Bohnenpaste umhüllt.
Es gibt zahlreiche Geschäfte in der Stadt, die sich auf Awa-manju spezialisieren. Wir haben eines der ältesten besucht, den Koike Süßwarenhandel (小池菓子舗), welchen man unmissverständlich an den Dampfschwaden erkennt, die aus einem Rohr an der Wand gebläht werden. Für das Abendessen war es noch einige Stunden zu früh, also begnügte ich mit einem (und dann einem zweiten) Awa-manju, während ich die fluffige Textur der Hirse und die milde Süße der Bohnenfüllung genoss.
Der Shingū Kumano-Schrein
Bevor wir die Region Oku-Aizu wieder verließen, machten wir einen letzten Zwischenstopp beim Shingū Kumano-Schrein (新宮熊野神社). Dieser uralte Shintō-Schrein ist Heimat zweier Schätze, eines menschengemachten und eines natürlich entstandenen. Die von Bäumen umsäumte Auffahrt hinaufgehend, erregte die Nagatoko meine Aufmerksamkeit: eine große, ungewöhnlich offen gehaltene Gebetshalle, welche im Jahr 1055 konstruiert wurde und auch eine der „Wichtigen Kulturgüter Japans“ ist.
Direkt neben der Halle steht ein mächtiger Ginkgo-Baum, der angeblich um die 800 Jahre alt sein soll. Jeden November fallen die gelben Blätter zu Boden und erschaffen so einen goldenen Teppich. Auch wenn wir am späten Nachmittag eines bewölkten Tages dort ankamen, war ich dennoch ergriffen vom wunderschönen Zusammenspiel dieser beiden Sehenswürdigkeiten.
Tag 2
Goshiki-numa
Da wir die Nacht bereits im Urabandai-Gebiet verbracht hatten, war es nur eine kurze Fahrt am Morgen, um die Vielzahl der sumpfartigen Seen, genannt Goshiki-numa (五色沼), zu besichtigen. Diese liegen im Bandai-Asahi-Nationalpark und entstanden nach einem Ausbruch des Vulkans Bandai im Jahre 1887.
Vulkanische Substanzen wie Allophan sickerten in die Gewässer der Seen und färbten sie in rostige Rottöne bis hin zu Smaragdgrün, abhängig von Faktoren wie dem Wetter und der Tageszeit. Ein kurzer Fußmarsch vom Bussankan – ein Geschäft für Souvenirs und lokale Spezialitäten – bringt uns zum Aonuma (wörtlich „blauer Teich“), und getreu seinem Namen offenbaren uns die Sonnenstrahlen des Morgens ein leuchtendes Türkisblau.
Yamagata-Rind bei Sagoro
Nur fünf Minuten Fußweg von der Bahnstation Yamagata entfernt liegt der Spezialist für Yamagata-Rind, Sagoro (佐五郎), der schon seit 1910 das Verlangen der Gäste nach Premium-Fleisch stillt. Es heißt, dass Yamagatas heiße Sommer und kalte Winter die Rinder besonders gut gedeihen lassen und für zartes Fleisch und Fett sorgen. Das erklärt auch, warum Yamagata-Rind eine von Japans Top Wagyū-Sorten ist.
Nach der Fahrt von Fukushima nach Yamagata waren unsere Mägen mehr als bereit, diesen Ruf durch Sagoros Sukiyaki Rindereintopf zu überprüfen. Der Kellner begann das dünn geschnittene, marmorierte Rindfleisch zu kochen, dazu gab es Glasnudeln, Tōfu und Gemüse wie Frühlingszwiebeln, Enoki- und Shiitake-Pilze. Das schmackhafte, zarte Fleisch war so fantastisch, wie es uns erzählt wurde. Neben Sukiyaki bietet Sagoro weiterhin Shabu-Shabu, normales Steak sowie typisches „hamburg beef steak“ an.
Yamadera & Tarumizu Iseki
Die vielen wunderschönen, auf steilen Klippen erbauten Holzgebäude des Yamadera (山寺), offiziell Risshakuji-Tempel (立石寺) genannt, sind eine von Tōhokus berühmtesten historischen Stätten. Gegründet im Jahre 860, müssen Sie 1.015 Treppenstufen zum Okunoin erklimmen, das Herz des Bergtempel-Komplexes. Der Aufstieg wird mit einem spektakulären Blick auf das darunter liegende Tal belohnt.
Versteckt in einem rechts vom Yamadera liegenden Wald liegen die weitgehend unbekannten Ruinen Tarumizu Iseki (垂水遺跡). Wie aus einem Indiana Jones-Film entsprungen markieren die vielen Höhlen und Kammern in den blatternnarbigen Felswänden das, was einst eine Stätte für asketisches, religiöses Training war, die angeblich lange vor Erbauung des Yamadera bis in das frühe 20. Jahrhundert dafür genutzt wurden.
In einem Teil führen in den Fels gehauene Stufen zu einem kleinen hölzernen torii vor einer großen Höhle, während an anderer Stelle eine buddhistische Statue von einem hoch gelegenen Vorsprung hinabschaut – Hinweise auf die religiösen Riten, die einst hier vollzogen wurden.
Einführung in das Iaidō
Die Stadt Murayama in der Präfektur Yamagata ist Heimat des Gründers des Iai, oder die japanische Kunst des Schwertes. Während es vielmehr um Philosophie und Selbstvervollkommnung als um das Kämpfen geht, legt Iaidō Wert auf Wachsamkeit und lehrt die Schüler, wie man sein Schwert aus der Scheide zieht und reflexartige schnelle Schnitte durchführt.
Nahe des Iai-Schreins nahm ich an einem kurzen Workshop teil, um selbst diese einzigartige Kunst kennenzulernen. Nachdem ich verschiedene Techniken wie die des Schwertziehens, des Zuschlagens und des Zurückführens des Schwertes in die Scheide geübt hatte, hielt ich ein authentisches, 1,3 kg schweres Schwert in den Händen, um damit eine eingerollte tatamizutsu-Strohmatte zu durchschneiden. Auch wenn die Matte etwa so dick wie das Bein eines Schweines war, spürte ich kaum einen Widerstand, und dies verlieh mir sicherlich eine ganz neue Wertschätzung gegenüber den japanischen Samurai.
Weiter geht’s in Teil 2!
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