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Yamaguchi: Unterwegs im Kyōto des Westens

Diana Casanova
Diana Casanova

Endlose Küstenstreifen, historische Burg- und Tempelanlangen, hochwertiges Kunsthandwerk, lokale Delikatessen, heiße Thermalquellen – die Präfektur Yamaguchi und ihre gleichnamige Hauptstadt rühmen sich mit allerlei aufregenden Qualitäten. Und doch haben sie scheinbar kaum Touristen aus dem Ausland auf dem Schirm.

Rurikoji in Yamaguchi
© Photo AC / スプププ

Die Stadt Yamaguchi wird sich Anfang des Jahres sehr gefreut haben, als die New York Times sie als drittes in ihrer “52 Places To Go in 2024”-Liste vorstellte. “Oft als Kyōto des Westen bezeichnet, ist sie viel interessanter als das”, schreibt die renommierte Zeitung und lobt die 190.000 Einwohner-Stadt für ihre wunderschönen Gärten und Tempel, ihre regionalen Spezialitäten und ihr wertvolles Kulturerbe – ganz ohne störende Touristenmassen. Tatsächlich verirren sich vergleichsweise wenige ausländische Reisende in die am westlichen Zipfel der japanischen Hauptinsel Honshū gelegene, gleichnamige Präfektur Yamaguchi. Umrahmt vom Chūgoku-Gebirge, dem Japanischen Meer und dem Seto-Binnenmeer verfügt sie über eine außergewöhnliche Naturvielfalt; allen voran der Akiyoshidai-Quasi-Nationalpark, ein weitläufiges Karstplateau und zudem Heimat von Japans größter Kalksteinhöhle.

Der Eingang zur Akiyoshido-Höhle
Der Eingang zur Akiyoshido-Höhle, Japans größter Kalksteinhöhle. © D700 / photo ac

Von Yamaguchi aus in die Moderne

Yamaguchi nimmt in Japans jüngerer Geschichte eine Schlüsselrolle ein: In der feudalen Edo-Zeit (1603-1868) war die Region noch bekannt als Chōshū-Domäne unter der Herrschaft des mächtigen Mōri-Clans. Dort verbündeten sich 1866 deren Samurai mit der Satsuma-Domäne aus Kagoshima sowie den kaisertreuen Adligen aus Kyōto, um das seit über 200 Jahren herrschende Tokugawa-Shōgunat zu stürzen. Es folgte eine Reihe an Kriegen und Scharmützeln in ganz Japan, welche unter dem Namen Boshin-Bürgerkrieg bekannt sind. Am Ende dieser Kämpfe gingen die kaiserlichen Truppen siegreich hervor und läuteten den Beginn der Meiji-Zeit ab 1868 ein, eine Ära, die – nach einer fast vollständigen Isolierung zum Ausland unter den Tokugawa – geprägt war von einer rasanten Modernisierung und Industrialisierung.

Schon viele Jahre zuvor zeigten die Chōshū ein großes Interesse an westlichen Technologien, die für ihr kriegerisches Unterfangen nützlich sein könnten. 1863 wurden daher fünf junge Intellektuelle (darunter Itō Hirobumi, der später Japans erster Premierminister wurde) nach Großbritannien entsandt, obwohl Auslandsreisen zu diesem Zeitpunkt noch illegal waren. Die als “Chōshū Fünf” bekannten Männer nutzten das dort erworbene Fachwissen, um nach ihrer Rückkehr die Modernisierung des Landes entscheidend voranzutreiben.

Das historische Erbe der Chōshū-Domäne ist bis heute in Yamaguchi zu spüren – besonders in der wohl berühmtesten Sehenswürdigkeit, dem Rurikō-ji. Dieser 1442 erbaute buddhistische Tempel und der dazugehörige Kōzan-Park beherbergen Grabstätten von Familienmitgliedern des Mōri-Clans sowie das Chinryūtei-Teehaus, in dem die Chōshū- und Satsuma-Samurai unter dem Vorwand einer Teezeremonie ihre Umsturzpläne schmiedeten. Allerdings ist es die prächtige fünfstöckige Pagode (die zu den “Drei schönsten Pagoden Japans” zählt), die den Rurikō-ji zu Recht zu einem Besuchermagneten macht.

Rurikoji
Der Rurikō-ji ist ein Zen-Tempel der Sōtō-Schule. Seine 31 m hohe Pagode aus der Muromachi-Zeit (1336-1573) gehört zu den ältesten Japans. © Photo AC / マサキチ_00

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Regionale Spezialitäten

In Yamaguchi floriert traditionell der Anbau von Reis, aus dem hochwertiger Sake hergestellt wird. Dank der Nähe zum Meer gelten zudem frische Meeresfrüchte, wie die Riesengarnelen der Aio-Region, und Kugelfisch ebenfalls als Delikatessen. Das Spezialität der Region ist jedoch Kawara Soba, ein Nudelgericht, das Ende des 19. Jahrhunderts als simple, sättigende Mahlzeit für Soldaten bescheidene Anfänge nahm. Aus der Not heraus nutzten diese gewölbte Dachziegel (kawara), um Nudeln und andere Zutaten über einem Lagerfeuer zu kochen. Das “moderne” Kawara Soba verwendet Grüntee-Nudeln aus Buchweizen (soba), welche auf einem heißen Grill gebraten und auf einer gewölbten Platte zusammen mit Fleisch, Omelett, Algen und Zitronenscheiben sowie einer Sauce zum Dippen serviert werden. Das Lokal Ganso Kawara Soba Takase im Kurort Kawatana Onsen nahe der Stadt Shimonoseki gilt im Übrigen als der Geburtsort dieser Variante.

Kawara Soba
Die Grüntee-Nudeln (chasoba) des Kawara Soba werden auf einer gewölbten Platte gebraten, was sie oben weich und unten schön knusprig macht. © Photo AC / Fuu111

Traditionelles Kunsthandwerk

Keine kulinarische, aber nicht weniger bemerkenswerte Spezialität Yamaguchis ist das Kunsthandwerk. Insbesondere die Keramik genießt dank einzigartiger Technik und hochwertiger Verarbeitung landesweit einen großartigen Ruf. Die Ōuchi-Lackwaren, benannt nach dem Ōuchi-Clan (welcher vom 12. bis Mitte des 16. Jahrhundert über das heutige Yamaguchi herrschte), haben ihren Ursprung im 14. Jahrhundert. Der zinnoberrote Lack (genannt Ōuchi-Zinnober) wird in mehreren Schichten aufgetragen und dann mit goldenen Mustern verziert, insbesondere Diamantformen, dem Clan-Wappen, sowie Herbstpflanzen wie Pampasgras und Klee. Die Lackwaren wurden zu einem der wichtigsten Exportgüter der Region – doch das Handwerk ging mit dem Niedergang des Ōuchi-Clans verloren. Erst in der Meiji-Zeit, also über 300 Jahre später, wurde es wiederbelebt. Neben Alltagsgegenständen wie Sake-Schalen und Essstäbchen erfreuen sich auch Ōuchi-Puppen – ein Symbol für die Glückseligkeit der Ehe – als edle Souvenirs großer Beliebtheit. 

Hagi-Keramik ist eine weitere traditionsreiche Handwerkskunst der Präfektur, die aus dem ca. 40 km nördlich von Yamaguchi-Stadt liegenden Ort Hagi stammt. Diese praktischen Töpferwaren, die die Menschen im Alltag nutzen, zeichnen sich durch helle, natürliche Farben und bewusst einfache Formen aus. Vor allem in der Teezeremonie sind sie aufgrund des besonders schönen Kontrast zwischen dem grünen Tee und den schlichten Teeschalen begehrt. Hagi-Keramik wird aus Ton hergestellt, der während des Brennens und anschließenden Abkühlens feine Rissen und Poren bekommt, ein Markenzeichen dieses Handwerks. Je öfter sie benutzt wird, desto dunkler wird die Farbe, da die leicht poröse Oberfläche Tee- oder Sakereste langsam aufsaugt. 

Hagi-Keramik
Hagi-Keramik besteht aus grobem Ton und zeichnet sich durch ihre Einfachheit aus. © Photo AC / ケイちゃん

Badekultur, Naturszenerien und Sommertänze

Eine der berühmtesten Thermalquellen Yamaguchis ist nur 15 Gehminuten vom Stadtzentrum entfernt: Das Yuda Onsen blickt dabei auf eine über 600 Jahre alte Geschichte zurück. Reisende, die den Ort besuchen, werden schnell die zahlreichen Fuchsstatuen bemerken. Dies geht auf eine alte Legende zurück, in der ein verletzter weißer Fuchs aus dem Wald zum Yuda Onsen kam. Als er seine Wunden in dessen Wasser wusch, wurden diese plötzlich geheilt. Daraufhin eilten Menschen aus dem ganzen Land herbei, um ihre Krankheiten zu lindern.

Das wohltuende, alkalische Wasser des Yuda Onsen soll für eine schöne Haut und Tiefenentspannung sorgen. Neben klassischen Badehäusern verfügt es über sechs Fußbäder, die Gäste kostenlos benutzen können. Außerdem gibt es dort mehrere traditionelle japanische Herbergen, Ryokan, in den Sie unterkommen und die berühmte Omotenashi-Gastfreundschaft genießen können. 

Yuda Onsen
Ein Fußbad in Yuda Onsen mit Fuchsstatuen im Hintergrund. © Photo AC / Makushiba

Im Osten der Präfektur folgen Sie beim Überqueren der eleganten Kintai-Brücke in der Stadt Iwakuni den Spuren der Samurai und Händler. Die Holzbrücke wurde 1673 errichtet, um die dortige Hügelburg mit der Stadt auf der anderen Seite des Nishiki-Flusses zu verbinden. Die einzigartige kurvige Bauweise, die damals gänzlich ohne Nägel auskam, diente ursprünglich dazu, die Brücke besser vor Überschwemmungen zu schützen – allerdings konnte sie den Naturgewalten nur bedingt standhalten. Die aktuelle (vierte) Version der Kintai-Brücke wurde Anfang der 1990er fertiggestellt. 

Kintai-Brücke in Iwakuni
Auch "Brokatschärpen-Brücke" genannt, gilt die hölzerne Kintai-Brücke als eine von Japans "drei schönsten Brücken". © Photo AC / 京都さんぽ

Eine weitere, wunderschöne Landschaft Yamaguchis können Reisende am nördlichen Zipfel der Präfektur bestaunen. Dort führen zahlreiche Stufen durch 123 feuerrote torii-Tore, entlang steiler Klippen und tosender Wellen, zum ehrwürdigen Motonosumi-Schrein. Dieser wurde von einem örtlichen Fischer im Örtchen Nagato, direkt am Japanischen Meer, errichtet. Die torii-Tore hingegen wurden im Laufe der Jahre von Privatpersonen und Unternehmen gespendet. 

Motonosumi-Schrein
Der Motonosumi-Schrein befindet sich direkt an der Küste im Nordwesten der Präfektur und wurde 1955 gegründet. © Photo AC / setsuna0410

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Seit ihrer Eröffnung im Jahre 2000 zieht die Tsunoshima Ōhashi Scharen von Touristen an, um die herrliche Postkartenansicht einzufangen. Die knapp 1,8 km lange Brücke ist eine der längsten Japans und verbindet Shimonoseki mit der kleinen Insel Tsunoshima im Japanischen Meer. Die wunderschöne Landschaft mit dem kobaltblauen Wasser war bereits Schauplatz zahlreicher TV-Serien und Werbespots. Die Brücke zählt daher auch zu den meistbesuchten des Landes. Stand-Up-Paddeln, Surfen und Kayak-Touren gehören ebenfalls zu beliebten Aktivitäten. 

Tsunoshima-Brücke
© Photo AC / 自然

Zu guter Letzt noch ein Reisetipp: Millionen Touristen zieht es im Juli nach Kyōto, um am berühmten Gion Matsuri, einem der größten Festivals Japans, teilzunehmen. Wer keine Lust auf die erdrückenden Menschenmassen hat, aber nicht auf diese traditionsreichen Festlichkeiten verzichten möchte, bekommt in Yamaguchi ein nicht weniger faszinierendes Erlebnis geboten. Inspiriert vom Kyōtoer Original, feiert das Yamaguchi Gion Matsuri seit 600 Jahren die Ankunft des Sommers mit Paraden und fröhlichen Tänzen.


Dieser Artikel erschien in gekürzter Fassung in der JAPANDIGEST Mai 2024-Printausgabe und wurde für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.

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