In der brütenden Augusthitze flimmerte der Asphalt der Straßen in der Präfekturhauptstadt Tokushima, auf denen sich tausende Menschen im gleichen Rhythmus zur Musik bewegten und ich befand mich mitten unter ihnen. Wir tanzten nicht irgendeinen Tanz, sondern den berühmten Awa Odori (阿波踊 り). Mir lief der Schweiß in Strömen den Rücken hinunter, während ich angestrengt versuchte die Arme gerade nach oben gestreckt zu halten und meine angewinkelten Beine im Rhythmus der großen Trommeln und des schallenden Gongs zu bewegen. Mein mehr oder weniger kläglicher Versuch, den Onna-Odori (女踊り, weiblicher Tanzstil) nachzuahmen. Die Luft vibrierte förmlich vor Hitze und Erregung, überall erklang Musik, eine Mischung aus Flöten, Lauten, Gong und Trommeln. Das war der Start meines neuen Arbeitslebens als Koordinatorin für internationale Beziehungen in der Präfektur Tokushima.
Ein einzigartiges Naturschauspiel: die Gezeitenstrudel von Naruto
Tokushima liegt auf Shikoku, der kleinsten der vier japanischen Hauptinseln, die für ihre unberührte Natur und die 1.200 Kilometer lange buddhistische Pilgerroute zu den 88 Tempeln Shikokus bekannt ist. Die ersten 23 Tempel dieses Wanderweges befinden sich in der Präfektur Tokushima. Trotz der direkten Verbindung zur Hauptinsel Honshū und der Region Kansai durch die 3.911 Meter lange Akashi-Kaikyō-Brücke, ist Tokushima mit knapp 743.000 Einwohnern in der gesamten Präfektur recht dünn besiedelt. Die gleichnamige Hauptstadt der Region bevölkern knapp 255.000 Einwohner. Nur zur Zeit des berühmten Awa Odori Festivals vervierfacht sich die Zahl der Menschen in der Stadt.
Neben dem berühmten Tanzfest, ist Tokushima besonders für die Gezeitenstrudel von Naruto (鳴門の渦潮) bekannt, ein einzigartiges Naturphänomen, bei dem durch den Wechsel der Gezeiten gigantische Strudel von bis zu einem Durchmesser von 20 Metern in der Naruto-Meerenge entstehen. Besonders im Frühling und Herbst erreichen die Strudel teilweise eine Geschwindigkeit von mehr als 20 Knoten. Ein einzigartiges Schauspiel, das es in dieser Art nur dreimal auf der Welt gibt. Doch Tokushima hat noch viel mehr zu bieten!
Outdoor-Paradies Tokushima
Der Reiz der Region Tokushima besteht für mich vor allem in den zahlreichen Flussläufen, die sowohl die Hauptstadt, als auch die ländlichen Gebiete durchziehen, für eine entspannte Atmosphäre sorgen und ein grandioses Naturerlebnis garantieren. Bei über 39 Millionen Menschen alleine im Großraum Tōkyō kann es dem Reisenden in Japan auch schon einmal zu viel werden. Wer etwas Erholung von den Metropolregionen Tōkyō und Ōsaka braucht, ist auf Shikoku genau richtig. Dabei bedeuten Natur und Einsamkeit nicht gleich, dass es langweilig werden muss.
Gerade für Outdoor-Fans bietet die Region Abenteuer, die für Spaß und Adrenalin sorgen. Neben Hiking und Paragliding kommen vor allem Wassersportfreunde auf ihre Kosten: Rafting, Surfen, Schnorcheln, Tauchen, Stand Up Paddling und Kajakfahren sind nur einige Aktivitäten, die der Reiselustige in Tokushima erleben kann. Der Süden der Präfektur bietet mit seinen zahlreichen Stränden und Buchten eine tolle Gelegenheit, das Meer zu genießen und kann durchaus mit den Stränden der tropischen Inseln Japans im Süden mithalten. Tokushima erreicht im Sommer Temperaturen von bis zu 32° C. Vor allem von Juni bis September ein ideales Klima für alle Arten von Wassersport.
Die Küste bietet außerdem einen grandiosen Anblick und eine Fahrt entlang der „Minami-Awa-Sunline“-Panoramastraße lohnt sich auf jeden Fall, ob mit dem Auto oder mit dem Fahrrad.
Ein Pluspunkt für die Gegend als Reiseziel ist, dass sie nicht überlaufen ist und man dadurch den ein oder anderen Strand entdecken kann, an dem sich keine Badegäste oder Surfer en masse tummeln. Gleiches gilt für die zahlreichen Wanderwege. Die beste Zeit, um sowohl den Pilgerweg als auch den Aufstieg zu Tokushimas höchstem Berg Tsurugi (剣山, 1.955 Meter) zu wagen, sind die Monate September bis November. Mein Tipp: Eine Übernachtung in der Berghütte auf dem Gipfel einlegen und den Sonnenaufgang am nächsten Tag genießen.
Omotenashi (Gastfreundschaft) in Tokushima
Auch kulturell hat die Region einiges zu bieten: Das Awa Ningyō-Jōruri-Puppentheater (阿波人形浄瑠璃), die Herstellung von Awa-Japanpapier (阿波和紙) und Otani-Keramik (大谷焼) sowie Awa-Indigo-Färberei (阿波藍) sind nur einige Beispiele dafür. Zahlreiche Veranstaltungen wie der Tokushima Marathon oder das Anime-Event Machi Asobi bieten weitere Highlights das ganze Jahr über. Durch die direkte Lage am Meer und an der Seto-Inlandsee sowie durch die reichhaltige Natur finden sich in Tokushima außerdem diverse kulinarische Köstlichkeiten, hergestellt aus regionalen Produkten, angefangen bei Tokushima Ramen, Naruto Kintoki Süßkartoffel oder Awa Hühnchen bis hin zur einheimischen Zitrusfrucht Sudachi, die auch Tokushimas Maskottchen seinen Namen und sein Aussehen verleiht.
Ganz besonders beeindruckt mich allerdings immer noch, die Herzlichkeit und Gastfreundschaft, mit der die Menschen in Tokushima Besuchern und Gästen begegnen und wie sie in völliger Gelassenheit und im Einklang mit der Natur ihren Alltag verleben. Wer einmal selbst in den Genuss dieser Gastfreundschaft kommen möchte, die übrigens laut eigener Aussage der Bewohner aus der über tausend Jahre alten Kultur des Pilgerweges herrührt, der ist jederzeit in Tokushima herzlich willkommen.
Kommentare