In der Sonne blitzende Wolkenkratzer, Straßen, die so voll sind, dass man als Teil der Masse eher mitgerissen wird, als dass man sich eigenständig bewegt und Leuchtreklamen, die immer bunter, immer auffälliger für den nächsten Club, die Karaoke-Bar oder Shopping-Erlebnisse werben — Shinjuku ist wohl das, was die Reiseführer immer meinen, wenn sie von den geschäftigen, modernen Ecken Japans schreiben.
Der Bahnhof ist bereits ein Erlebnis für sich und das nicht nur für Zug-Enthusiasten. Denn die geschäftigste Station der Welt (Werden auch Sie Teil der 3,6 Millionen Menschen, die hier täglich ein-, aus- und umsteigen!) gleicht mit ihren über 200 Ein- und Ausgängen mehr einem Labyrinth als einem Verkehrsknotenpunkt. Wer also nicht den Schildern oder Google Maps folgt, sieht sich schnell verloren zwischen Ticket-Kontrollen, Einkaufszentren und Sackgassen.
Die vielleicht etwas kompliziertere Anreise sollte aber keineswegs von einem Besuch abschrecken. Denn Shinjuku hat vieles zu bieten, schließlich erstreckt sich der Bezirk über eine Fläche von rund 18 km² (in etwa so groß wie Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin!) auch über die Gebiete Shin-Ōkubo (Tōkyōs Korea Town), Takadanobaba oder Kagurazaka.
Ein Highlight für Film-Begeisterte
Shinjuku ist voll. Egal zu welcher Tageszeit und fast egal wo. Ein kleiner Rückzugsort und Ruhepol inmitten der geschäftigen Innenstadt, der Anime-Fans und Enthusiasten des japanischen Anime-Filmregisseurs Shinkai Makoto wohl mehr als bekannt ist: Der Shinjuku Gyoen National Park, der Shinkais romantischem Drama „Garden of Words“ aus dem Jahre 2013 als Vorbild und Kulisse diente. Im Frühling ein weiß-rosafarbenes Traumland aus Kirschblüten, im Sommer eine grüne Oase und im Herbst ein Meer aus Orange — ein farblicher Kontrast zu dem Grau der Hochhäuser, die hinter den Bäumen hervorschauen.
Auch Liebhaber:innen von älteren Filmklassikern kommen in Shinjuku auf ihre Kosten: Hinter dem Dach des Toho-Kinos lugt der 12 m hohe Kopf Godzillas hervor und wer Glück hat, sieht das Monster sogar manchmal Rauch speien.
Etwas kostspieliger, aber für Fans des Filmklassikers „Lost in Translation“ (2003) ein absolutes Muss: Die New York Bar im Park Hyatt Hotel, in der Bill Murray und Scarlett Johansson mit einem Suntory Whisky anstießen. Nach diesem Signature Drink sucht man auf der Karte zwar vergeblich, doch der grandiose Blick aus dem 52. Stock auf das Lichtermeer Tōkyōs entschädigt für diese filmische Ungenauigkeit.
Nicht so geheime Geheimtipps
Schon lange kein Geheimtipp mehr, deswegen aber nicht weniger sehenswert, ist das Metropolitan Government Building, in dem die Verwaltung der Präfektur Tōkyōs sitzt. Obwohl der Einblick in die japanische Bürokratie-Hölle sicher auch spannend ist, strömen die Touristen doch eher in das 240 m hohe Gebäude, um eine kostenlose Aussicht über das Stadtpanorama Tōkyōs zu erhaschen. Eine Alternative für Sparfüchse, denen der Tokyo Tower (ab 1200 Yen) oder Tokyo Skytree (ab 1800 Yen) zu teuer sind.
Wer an Sport in Japan denkt, dem kommen wahrscheinlich zunächst Sumō, Karate, Judō, vielleicht noch Aikidō in den Sinn — weniger bestimmt Baseball, der inoffizielle Nationalsport Japans. Während ein Besuch in einem der größten Baseball-Stadien in Tōkyō, dem Meiji-jingu-Stadion, allein schon wegen der ansteckenden Begeisterung der japanischen Fans einen Besuch wert ist, kann man im Zentrum Shinjukus selber Hand an den Schläger anlegen. Für 300 Yen pro Spiel hat man im Shinjuku Batting Centre eine kleine Chance selbst einen Homerun zu schlagen. Aber Achtung: Die Bälle können hier mit bis zu über 120 km/h auf den oder die Spielende zukommen und einen schnell Demut lehren.
Wem das dann doch zu viel sportliche Betätigung ist, der wagt vielleicht lieber einen Abstecher in das benachbarte Nationalstadion – ehemalige Olympia-Location und heute immer noch beliebter Wettkampfort.
Im Zentrum des Nachtlebens
Shinjuku bietet als eines der Vergnügungsviertel der Metropole reichlich Möglichkeiten, den Abend auf die eine oder andere Art ausklingen zu lassen. Da wären zum einen die engen Gässchen mit den unzähligen japanischen Bars, in denen gerade einmal vier, fünf Gäste Platz haben, die verqualmten Yakiniku-Stände, bei denen der Grillspieß sofort vom Feuer auf dem Teller landet oder die Izakaya, in denen den meisten Trinkfreudigen bereits der Alkohol deutlich zu Kopf gestiegen zu sein scheint.
Dafür bieten sich am besten die Golden Gai oder die Omoide Yokochō an. Letztere wird auch scherzhaft „Piss Alley“ genannt, da die früher noch fehlenden öffentlichen Toiletten zu einem etwas unangenehmen Geruch in den engen Gassen geführt haben — da wurde zum Glück in den letzten Jahren nachgerüstet. Oft werden in diesen Bars Jazz oder Rock gespielt, in Erinnerung an die Counter Culture der 60er und 70er Jahre, die in Shinjuku eine Heimat fand.
Wer nach einem etwas anderen Vergnügen sucht, wagt sich nach Kabukichō, dem Rotlichtviertel Tōkyōs nördlich des Bahnhofs. Hier buhlen überlebensgroße, glitzernde Fotos von im höchsten Maße retuschierten Männern und Frauen um Aufmerksamkeit — und Geld — der Host- und Hostess-Clubs-Besucher:innen. Das sind Bars, in denen sich attraktive Menschen für Geld mit ihren Gästen unterhalten, flirten und zusammen trinken — Drinks, die natürlich von den Gästen bezahlt werden.
Von Snackbars und Soaplands
An dieser Stelle ein kurzer Exkurs in die japanische Vergnügungsindustrie. Denn wer in Shinjuku auf der Suche nach einem leichten Abendessen versucht, in einer Snackbar fündig zu werden, ist vielleicht überrascht, dort auf eine Dame mittleren Alters zu treffen, die zusammen mit ihren Gästen Bier- und Sakegläser leert. Auch versteckt sich in den sogenannten „Soaplands“ keine Onsen-Quelle mit Schaumbad, sondern Bordelle, die hinter der Fassade von Massage-Einrichtungen das Prostitutionsverbot umgehen. Und auch der Kyabakura (ein Kofferwort aus „Kabarett“ und „Club“), hat nur wenig mit einem Kabarett im westlichen Sinne zu tun.
In Japan wägt man sich, aufgrund der vergleichsweise niedrigen Kriminalitätsrate, in den meisten Gegenden zu recht in Sicherheit — in Kabukichō ist aber doch zu etwas mehr Vorsicht geraten. Insbesondere Tourist:innen sind für die Promoter der diversen Clubs, die mit günstigen Angeboten locken, ein gefundenes Fressen. Hier kann ganz schnell aus einem scheinbaren Schnäppchen eine Rechnung im vierstelligen Bereich werden.
Etwas entspannter ist dann der Nichōme-Bereich Shinjukus (östlich des Bahnhofs) — das Lesben- und Schwulen-Viertel bietet ebenfalls eine bunte Auswahl an Bars und Clubs, ist aber weniger überlaufen als das eigentliche Kabukichō.
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