Am Anfang, so erzählen Lieder und Legenden, war die Göttin Amamikyu. Sie gebar die Insel Kudaka und hunderte von anderen Inseln des Ryūkyū-Archipels. Dann schuf Amamikyu die Menschen, schenkte ihnen fünf Arten Korn und das Leben begann.
An Okinawas Stränden gibt es einige der ältesten bisher bekannten Spuren der erdgeschichtlichen Vergangenheit zu bestaunen. Der Sand vieler Ryūkyū-Inseln besteht aus winzigen Kalksteinskeletten, sogenannten Foraminiferen. Dieser Sternsand von Okinawa erzählt die Geschichte der kambrischen Explosion, während der sich vor 500 Millionen Jahren das Leben auf der Erde in unzählige Arten entfaltete.
Zeugnisse der Vergangenheit
Eine Wiege der Ureinwohner Okinawas befindet sich im Gangala-Tal, etwa ein dutzend Kilometer südwestlich der Präfekturhauptstadt Naha auf der Hauptinsel. Dort können Besucher an einer spektakulären Führung durch steinzeitliche Höhlen und prähistorische Grabstätten teilnehmen. 1968 entdeckte ein lokaler Archäologe in der Schlucht menschliche Gebeine, deren Alter auf mehr als 18.000 Jahre geschätzt wird. Die Entdeckung vom Minatogawa-Menschen gilt als einer der am besten erhaltenen Funde eines homo sapiens in Ostasien.
Prähistorische Flora und Fauna
Urmenschen und prähistorische Tiere fanden ihren Weg auf die Inseln während der letzten Eiszeit, als es eine Landbrücke zwischen dem Ryūkyū-Inselbogen, Taiwan und dem asiatischen Kontinent gab. Als der Meeresspiegel wieder stieg, wurde der Ozean zu einer Sicherheitsbarriere, weshalb viele anderswo ausgestorbene Arten auf den Inseln überlebten. So sind Zykas, Baumfarn und Riesenpalmen auf Okinawa heimisch.
Zu den endemischen Tieren gehören die flugunfähige Kuina-Ralle, die im Yanbaru-Dschungel auf der Hauptinsel lebt. Den ansonsten braun gefiederten Bodenvogel ziert ein roter Schnabel und eine schwarz-weiß marmorierte Brust. Die Iriomote-Wildkatze, eine Unterart der Leopardenkatze, ist nur auf der Insel Iriomote zu finden. Sie erreicht die Größe einer europäischen Hauskatze.
Faszinierende Natur
Die Ryūkyū-Inseln werden vor dem rauen Pazifik durch einen ausgedehnten Korallenriffgürtel geschützt, der auch einen großen Teil der Landmasse ausmacht. Über die Jahrtausende schuf die Natur kilometerlange Kalksteinlabyrinthe, Tropfsteinhöhlen und bizarre Felsformationen. Darunter sind erstaunlich regelmäßige Strukturen wie die Tatami-Steine auf der Insel Kume. Die sechseckigen Platten fügen sich zu einem Steinfeld zusammen, das an einen Schildkrötenpanzer erinnert. Die monumentale Yonaguni-Schorre kann man tauchend erkunden. Ihr pyramidenähnlicher Aufbau lässt so manchen Abenteurer von einer vor langen Zeiten versunkenen und längst vergessenen Hochkultur träumen.
Reiche Kultur
Die üppige subtropische Natur mit ihrem Rausch an Formen und Farben hat die Inselbewohner und ihre Lebensweise stark beeinflusst. Unzählige Gesänge und Riten zu ihrer Verehrung wurden von Generation zu Generation weitergegeben. Die Tradition des „Mit-“ und nicht „Von-der-Natur-Lebens“ besteht bis heute, allen geschehenen Widrigkeiten und Verlockungen der Moderne zum Trotz. So unterschiedlich die Feste von Insel zu Insel sein können, der Geist der Gemeinsamkeit ist allen gemein – ob bei fröhlichen Eisā-Tänzen -Paraden mit Trommel und Tanz, alljährlichen Drachenbootrennen, Strandfesten oder Tauziehwettbewerben, bei denen schon einmal mehrere tausend Leute beteiligt sein können.
Von den Schätzen der Inselbewohner (shimanchu nu takara) singt die Kultband Begin von der Insel Ishigaki. Es gilt, diese Schätze zu bewahren. Gemeint sind Bilder und Geschichten, die die Sterne und Wolken malen; gemeint ist das Meer, das Riffe und Küsten umspielt, und gemeint sind die Lieder, die man überall hört.
Dieser Artikel von Valeria Jana Schwanitz und August Wierling erschien im JAPANDIGEST 2015 und wurde für die Online-Ausgabe nachbearbeitet.
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