Ein verwunschenes Paradies: Kōyasan und der Friedhof Okunoin

Emma Miesler
Emma Miesler

Südlich von Kyōto versteckt sich der Tempelberg Kōyasan, Hauptsitz der buddhistischen Shingon-Sekte und der größte Friedhof Japans. Und das Besondere: Hier kann man in einem der vielen Tempel übernachten und zusammen mit den Mönchen beten.

Okunoin Friedhof
© Photo AC / MOON CHILD

Der Berg Kōya  (auf Japanisch: Kōyasan, die Endung -san heißt hier einfach nur „Berg“) liegt in der Präfektur Wakayama und ist von Kyōto bequem mit dem im Voraus reservierbaren Keihan Limousine Bus in knapp drei Stunden (von Ōsaka aus ähnlich schnell zu erreichen, jedoch mit vielen Umstiegen) direkt erreichbar. Hier befindet sich auch der Kongobuji, der Haupttempel der Shingon-Sekte einer der Hauptschulen des Buddhismus in Japan. Spricht man von einem Tempel, denken die meisten an ein einzelnes Gebäude – doch im Falle des Kōyasan ist der ganze Berg ein einziger Tempel, in dessen Zentrum der Kongobuji steht, der wiederum von über 100 Untertempeln umringt wird. Rund die Hälfte dieser Tempel bietet eine ganz besondere Erfahrung an: eine Nacht in einem Tempel übernachten – ein von Mönchen zubereitetes Frühstück und Abendessen inklusive.

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Nachdem der Mönch Kōbō Daishi, besser bekannt als Kūkai, im Jahre 816 vom Kaiser Saga das Land zugewiesen bekommen hat, hat er auf dem Kōyasan den Kongobuji errichtet. Hier befindet sich auch der größte Steingarten Japans, der Banryūtei. Die zentralen großen Steine (ein Kernelement eines buddhistischen Steingartens) sollen einen aus den Wolken emporsteigenden Drachen darstellen und wurden aus Shikoku, Kūkais Heimatregion, bis nach Wakayama gebracht.

Eingang zum Kongobuji-Tempel
Eingang zum Kongobuji-Tempel. © Photo AC / Nakaoka Hajime
Steingarten des Kongobuji. © Photo AC / PhotoNetwork_Free

Ein Friedhof wie kein anderer

Das andere Highlight des Kōyasan ist der Okunoin, der größte Friedhof Japans, auf dem über 200.000 Gräber zwischen den alles überragenden Zypressen und Zedern ihren Platz finden. Es führen zwei Hauptwege ins Innere des Friedhofs, auf denen sich so einiges entdecken lässt: Wer die Augen offenhält, entdeckt den ein oder anderen unüblich geformten Grabstein, wie zum Beispiel bei den Firmengräbern des Joghurtdrink-Herstellers Yakult oder der Kaffee-Marke UCC. Auch finden japanische Geschichts-Enthusiasten sicherlich Namen, die ihnen aus den Geschichtsbüchern sehr bekannt vorkommen müssen, wie Oda Nobunaga oder Toyotomi Hideyoshi.   

Ein besonderer Grabstein: Das Firmengrab des japanischen Kaffee-Herstellers UCC.

Ein Turm aus kleinen Mönchstatuen fällt ebenfalls ins Auge: Das ist das Grab derer, die keine Familie haben, der sie ins Jenseits folgen können. Die Figürchen stellen den Bodhisattva Jizō da, von dem geglaubt wird, dass er verstorbene oder totgeborene Kinder in die Ewigkeit führt. Denn Kinder, die vor ihren Eltern sterben, schaffen es laut buddhistischem Glauben, nicht alleine den Fluss, der sie ins Leben nach dem Tod führt, zu überqueren. Erst wenn sie einen Steinturm aufgebaut haben, ist es ihnen möglich, weiterzuziehen. Doch die bösen Geister schubsen diese Steintürme immer wieder um, weshalb man oft neben den Jizō-Statuen aufgehäufte Türme von Eltern findet, die ihren Kindern helfen wollen.

Auf einigen Grabsteinen stehen die Namen der Verstorbenen in roter Farbe, statt in der üblichen schwarzen. Der Grund dafür ist etwas makaber: Wenn ein Familienmitglied oder ein Ehepartner verstirbt, ist es günstiger, den Namen der Hinterbliebenden gleich mit in den Grabstein zu gravieren. Um zu symbolisieren, dass die Person aber noch nicht verstorben ist, wird der Name in rot eingefärbt. Bei der Beisetzung wird dann die Farbe ausgewaschen. Aus diesem Grund ist es auch ein ziemliches Faux-Pas, in Japan einen Namen in Rot zu schreiben.

© Photo AC / MOON CHILD

Im Allerheiligsten

Je tiefer man in den verwunschenen Friedhof hineinkommt, umso heiliger wird es – und so ist es, nachdem man die dritte und letzte Brücke überquert hat, verboten, zu fotografieren und, wie eigentlich auf jedem heiligen Gelände, zu essen und zu trinken. Sich zu unterhalten ist zwar im Prinzip erlaubt, aber die Ehrfurcht, die der Ort auslöst, bringt einen fast wie von selbst dazu zu flüstern. Dort befindet sich auch das Herzstück des Friedhofs: der Okunoin-Tempel, im Allerheiligsten des Friedhofs.

Über 10.000 Laternen hüllen das Innere und Äußere des Tempels in einen andächtigen Schein und geben dem Ort, insbesondere bei etwas diesigem Wetter, einen besonders magischen Eindruck. Die Laternen wurden von Gläubigen gespendet und werden nie gelöscht. Hinter der Haupthalle befindet sich das Mausoleum Kūkais. Man glaubt, dass er dort in ewiger Meditation verweilend auf den Buddha der Zukunft wartet. Im Keller des Tempels versteckt sich eine Armee aus kleinen Kūkai-Statuen. 50.000 davon wurden im Jahre 1984 zum 1150-jährigen Jubiläum von Kūkais Beerdigung gestiftet – und in den letzten Jahren sind es nur noch mehr geworden.

Ein Abend im Tempel

Wer nach dem Besuch des Friedhofs vor dem Abendessen noch ein bisschen Zeit hat, kann sich in vielen Tempeln im Kopieren von Sutren probieren. Keine Angst: Japanisch-Kenntnisse sind dafür nicht erforderlich. Sie können beim Check-In fragen, ob der Tempel das sogenannte shakyō anbietet.

Am Abend tischen die Mönche auf: Es gibt ein abwechslungsreiches Abendessen mit vielen kleinen Gerichten zum Ausprobieren. Doch nach Fleisch und Fisch wird  vergeblich gesucht, denn die traditionelle buddhistische Küche ist immer vegetarisch und meistens auch vegan. Dafür gibt es eine köstliche Auswahl aus gedünstetem und eingelegtem Gemüse, den allerherrlichsten Tōfu (nicht zu vergleichen mit den meisten Tōfu-Varianten, die wir in Deutschland bekommen und die eher etwas von einer traurigen Alternative haben), frische Miso-Suppe und dampfenden, perfekt fluffigen Reis. Gegessen wird mit den anderen Gästen zusammen in einem Tatami-Raum auf dem Boden sitzend mit einem kleinen Tisch vor sich. Sehr entspannt ausklingen lässt sich der Abend dann entweder bei einem nächtlichen Spaziergang über den Friedhof (hier aber Achtung; Teile des Friedhofs sind nicht gut beleuchtet und Tore der Tempel werden früh zugesperrt und es gibt keinen Weg zurück) oder bei einem Bad in einem der heißen Bäder.

Mahlzeit im Tempel.

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Für eine ganz besondere Erfahrung lohnt es sich aber, von der Nachteule zum frühen Vogel zu werden: Die meisten Tempel bieten für Übernachtungsgäste die Teilnahme an einem  Shingon-Morgengebet vor dem Frühstück an. Zwar ist das Gebet komplett auf Japanisch, aber die Mönche geben anschließend ein paar Erklärungen auf Englisch und manchmal auch eine kurze Führung durch das Allerheiligste des Tempels – eine Möglichkeit, die sich fast nie bei einem regulären Tempelbesuch eröffnet. Ein Besuch auf dem Kōyasan ist eine großartige Möglichkeit, auf einer geschäftigen Japan-Reise einen kleinen Moment der Ruhe und der Andacht zu finden, bevor man sich wieder in das Getümmel der Großstädte wirft.

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