Südwestlich von Tōkyō liegt Kamakura in der Präfektur Kanagawa. Die Stadt an der Sagami-Bucht hat ca. 173.000 Einwohner und ist vor allem eins: voller Touristen! Mit mehr als 20 Millionen Besuchern pro Jahr ist Kamakura eines der meistfrequentierten Ausflugsziele Japans, vor allem aufgrund der Nähe und guten Anbindung zu den Megastädten Tōkyō und Yokohama. Was hat diese berühmte “Stadt der Tempel” zu bieten?
Eine kurze Einführung in die Kamakura-Zeit
Als im Jahre 1192 ein Sohn des Minamoto-Clans (damals eines der mächtigsten Adelshäuser), Minamoto no Yoritomo, nach diversen politischen und gewalttätigen Schachzügen zum Shōgun ernannt wurde, verlegte er den Sitz seiner Regierung, das bakufu, in die Stadt Kamakura. Von dort aus etablierte Yoritomo die erste militärisch geführte Regierung Japans und würde im Laufe der nächsten 140 Jahre in der sogenannten Kamakura-Zeit (1185–1333) den Grundstein des japanischen Feudalismus legen, so heißt es. Nach Yoritomos Tod im Jahre 1199 übernahm der Hōjō-Clan das Regierungsgeschäft, der im Laufe des 13. Jahrhunderts einen florierenden Handel und Austausch mit dem benachbarten China in die Wege leitete: So kamen verschiedene Aspekte der chinesischen Kultur nach Japan, insbesondere der Zen-Buddhismus und die Zen-Architektur.
Die Kamakura-Zeit war geprägt von einer aufstrebenden Kriegerklasse, den späteren Samurai, die Werte wie Pflichtbewusstsein, Loyalität und Mut zusammen mit ihren Kampfkünsten über alles stellten. Diese Klasse stellte einen direkten Gegenpol zum in Kyōto ansässigen Hofadel dar, der während der vorangegangenen Heian-Zeit (794–1185) noch die Geschicke des Landes dominierte. Die Stadt Kamakura entwickelte sich zum politischen und kulturellen Machtzentrum Japans. Bis zum Jahre 1333 hatte die Familie Hōjō jedoch viel an Macht einbüßen müssen, als es im Zuge von Kriegsvorbereitungen gegen mongolische Invasoren seine Samurai nicht entlohnen konnte. Diese wandten sich daraufhin gegen das Shōgunat und kehrten in die Dienste des Kaisers zurück. Der Kaiser Go-Daigo nutzte diesen Moment der Schwäche, um die Hōjō-Regierung zu stürzen und eine Wiederherstellung der kaiserlichen Macht einzuleiten, angefangen mit dem Umzug des Regierungssitzes zurück nach Kyōto und der Ernennung des Oberhauptes des Ashikaga-Clans zum neuen Shōgun.
Diesen Einflüssen verdankt Kamakura seine zahlreichen (Zen-)buddhistischen Richtungen zugehörigen Tempel. Größere Bekanntheit als Tempelstadt erlangte die Stadt jedoch erst im Laufe des 17. Jahrhunderts, während im 19. Jahrhundert auch ihre Reize als Bade- und Wohnort entdeckt wurden.
Entwicklung zum Touristen-Hotspot
Nicht nur wegen seiner traumhaften Strände, allen voran Yuigahama, wo im Sommer aufregende Feuerwerksfestivals stattfinden, gehört Kamakura zu den beliebtesten Tagesausflugszielen unter Touristen, sondern auch wegen der zahlreichen sehr gut erhaltenen Schreine und Tempel. Der Große Buddha und der imposante Tsurugaoka Hachimangu beeindrucken genau so wie die vielen Wanderwege, die durch Stadt und Wälder führen. Um wirklich alles zu besichtigen, sollte man durchaus mehr als einen Tag in dieser facettenreichen Region verbringen, die im Frühjahr und Herbst, wenn die Kirschblüten und die Herbstlaubfärbung ihre jeweiligen Höhepunkte erleben, besonders reizend ist.
Bevor wir Ihnen die besten Sehenswürdigkeiten vorstellen, eine kleine Anekdote: Dass Starbucks in Japan unheimlich populär ist, ist längst kein Geheimnis mehr. Doch wussten Sie, dass der Starbucks am JR-Bahnhof Kamakura zu den Top 5 im ganzen Land zählt? Das liegt an seiner außergewöhnlichen Architektur, denn diese Filiale ist einem traditionellen japanischen Teehaus nachempfunden. Als einziges Starbucks Japans besitzt es zudem eine Veranda mit Blick auf einen kleinen Garten.
Kamakuras schönste Sehenswürdigkeiten
Enoden-Bahnlinie
Während die Stadt sehr gut an das JR-Liniennetz angeschlossen ist (die JR Yokosuka-Linie und JR Shonan Shinjuku-Linie fahren beide Kamakura an), so ist es viel stilvoller mit der berühmten Lokalattraktion zu fahren: der Enoshima Dentetsu-Linie, oder kurz Enoden. Sie gehört einer privaten Bahngesellschaft und verbindet seit 1902 die Städte Fujisawa und Kamakura mit den wichtigsten Sehenswürdigkeiten wie dem Hasedera-Tempel und der Großen Buddha-Statue. Zugegeben, mit dem Enoden sind Sie nicht unbedingt flott unterwegs – dafür werden Sie einer szenischen Strecke belohnt, die mal am Meer entlang, mal durch enge Wohngebiete führt. Fans des überaus populären Basketball-Manga „Slam Dunk“ sollten an der Station Kamakurakōkō-mae aussteigen, um die Originalschauplätze zu besichtigen.
Der Große Buddha (Kōtokuin)
Etwa 10 Minuten Fußweg von der Enoden-Station Hase entfernt liegt wohl Kamakuras berühmteste und größte Touristenattraktion: der buddhistische Tempel Kōtokuin mit seinem 13 m hohen Großen Buddha (daibutsu). Die über 120 Tonnen schwere Bronzestatue des Amida Buddha ist im Inneren hohl und lässt sich gegen einen kleinen Obulus von 50 Yen sogar betreten. Ursprünglich stand die Statue in einer Halle, die vermutlich Mitte des 13. Jahrhunderts erbaut wurde, doch diese fiel in den darauffolgenden Jahrhunderten diversen Naturkatastrophen zum Opfer. Seit Ende des 15. Jahrhunderts steht der Buddha daher im Freien. Der Eintritt zum Tempel ist mit derzeit 300 Yen pro Person erschwinglich und gehört zu den absoluten Pflichtbesuchen einer jeden Japanreise.
Hasedera
Vom Kōtokuin ist es nur ein kurzer Fußmarsch zum nächsten wichtigen buddhistischen Tempel, dem Hasedera. Mitte des 8. Jahrhunderts gegründet, ist er bekannt für seine massive Holzstatue der Göttin der Barmherzigkeit, Kannon (auch Hase Kannon genannt). Die 9 m hohe Statue besitzt 11 Köpfe, die die verschiedenen Stufen der Erleuchtung repräsentieren. Der Tempel gehört zur Jōdo Shinshū-Schule und zu ihm ein kleines Museum sowie eine weitere Halle mit einer 3 m hohen goldenen Statue des Amida Buddha; außerdem befindet sich dort die jizō-dō-Halle, in der hunderte kleine Figuren und Statuen des jizō-Bodhisattva stehen. Jizō gilt als der Schutzherr der verstorbenen und ungeborenen Kinder, der ihren Seelen hilft, die Unterwelt zu durchqueren. Darüber hinaus findet sich hier ein wunderschöner japanischer Garten, zusammen mit einer Höhle voller Skulpturen der Gottheit Benten.
Tsurugaoka Hachimangu
Kamakuras wichtigster Shintō-Schrein wurde ursprünglich dem 15. japanischen Kaiser Ōjin und seiner Frau gewidmet, als er 1063 von Minamoto no Yoriyoshi gegründet wurde. Minamoto no Yoritomo ließ ihn jedoch im Jahre 1180 vergrößern und zusätzlich den Schutzgott der Minamoto und der Samurai, Hachiman, verehren. Im Inneren des Tsurugaoka Hachimangu befinden sich ein kleines Museum, in dem die Schätze des Schreines aufbewahrt werden, sowie ein traditioneller japanischer Garten. Ein Besuch lohnt sich vor allem zur Kirschblüte und zur Herbstlaubfärbung, wenn der Schrein von den bunten Farbspielen hervorgehoben wird. Besonders beliebt ist er auch an Neujahr, wenn Tausende Menschen ihre Gebete und Wünsche zum neuen Jahr, beim sog. hatsumōde, sprechen. Im September findet im Tsurugaoka Hachimangu das Reitaisai-Fest statt: ein aus der Heian-Zeit stammender Wettkampf, bei dem berittene Bogenschützen (auch Yabusame genannt) Geschick und Ausdauer unter Beweis stellen.
Egara Tenjin-Schrein
Noch vor der Ankunft Minamoto no Yoritomos in Kamakura wurde der Legende nach im Jahre 1104 der Egara Tenjin-Schrein gegründet. Dort wird der Politiker und Intellektuelle Sugawara no Michizane verehrt, auch bekannt als Tenjin (“Himmelsgott”). Ende des 9. Jahrhunderts starb er im Exil, nachdem er Opfer der Intrigen seiner Rivalen des Fujiwara-Clans wurde. Als zahlreiche Mitglieder des Clans anschließend nach schweren Stürmen den Tod fanden, machte man Sugawaras zornigen Geist dafür verantwortlich und begann, ihn unter dem Namen Tenjin verehren, um ihn milde stimmen. Obgleich er zunächst als Gott der Naturkatastrophen galt, würdigten Gelehrte der Edo-Zeit (1603-1868) Sugawaras intellektuelle Leistungen, sodass er sich schließlich zum Schutzgott der Schüler, Gelehrten und Wissenschaftler entwickelte.
Der ca. 10-15 Minuten vom Tsurugaoka Hachimangu entfernte Schrein ist deshalb vor allem bei Schülern und Studierenden beliebt. Kurz bevor Prüfungen anstehen, pilgern sie zum Schrein, um für gute Noten zu beten. Bei Schülern als Glücksbringer beliebt sind auch die dort verkauften Bleistifte (da bei Prüfungen an japanischen Schulen meistens nur Bleistifte erlaubt sind).
Zeniarai Benten
Zum Zeniarai Benzaiten Ugafuku-Schrein, oder kurz Zeniarai Benten, geht man zur Geldwäsche – im wahrsten Sinne des Wortes. Zeniarai bedeutet übersetzt „kleine Münzen waschen“. Es heißt, wenn man im heiligen Wasser des Schreins seine Scheine und Münzen wäscht, dann wird sich das Geld verdoppeln. Minamoto no Yoritomo ließ den Zeniarai Benten errichten, nachdem ihm im Traum ein Gott erschien und ihn beauftragte, dieses Gotteshaus zu bauen, um Frieden ins Land zu bringen. Weil er diesen Traum am Tag, im Monat und im Jahr der Schlange hatte, widmete Yoritomo den Schrein zugleich Benten, einer buddhistischen Gottheit, der eine enge Verbindung mit dem Element Wasser und Schlangen (als Wassertiere) nachgesagt wird. Dass diese interessante Fusion zwischen shintoistischem und buddhistischem Glauben im Zeniarai Benten überlebt hat, ist besonders bemerkenswert, da während der Meiji-Zeit (1868-1912) viele politische Maßnahmen unternommen wurden, um beide Religionen streng voneinander zu emanzipieren. Der Schrein liegt ein wenig außerhalb auf dem Daibutsu-Wanderweg. Der Fußmarsch dauert ca. 20-30 Minuten vom JR-Bahnhof Kamakura aus.
Kamakuras Zen-Tempel
Wie bereits erwähnt, war während der Kamakura-Zeit einer der wichtigsten Importe aus China der Zen-Buddhismus. Im Laufe des 13. Jahrhundert wurden die folgenden fünf Stätten in Kamakura erbaut, die heute als die wichtigsten Zen-Tempel in Japan gelten:
- Kenchōji: Der bedeutendste und älteste Zen-Tempel wurde 1253 von der Familie Hōjō errichtet und enthält einen wunderschönen Zen-Garten. Von hier aus erreicht man über die Wanderwege diverse Aussichtsplattformen, von der man das gesamte Tempelgelände sowie die Wälder Kamakuras betrachten kann – zur Herbstlaubfärbung ein imposantes Spektakel.
- Engakuji: Der Engakuji ist nicht weniger beeindruckend als der Kenchōji und wurde 1282 zu Ehren der gefallenen Soldaten während der Mongolen-Invasion gebaut. Einer der heiligen Nationalschätze, ein Zahn Buddhas, wird hier aufbewahrt.
- Jufukuji: Minamoto no Yoritomos Ehefrau Masako ließ diesen Tempel nach seinem Tod in Auftrag geben und wurde von niemand anderem als dem Mönch Eisai, der den Zen-Buddhismus nach Japan brachte, gegründet. Er ist für die Öffentlichkeit jedoch nicht zugänglich.
- Jōchiji: Nur ein paar hundert Meter vom Engakuji entfernt steht dieser Tempel, der 1283 von Mitgliedern der Hōjō-Familie erbaut wurde. Zwar nicht ganz so eindrucksvoll wie seine Geschwister, besticht der Jōchiji mit einer ruhigen Atmosphäre und schönen Gärten.
- Jōmyōji: Dieser Tempel liegt in den Bergen Ost-Kamakuras. Gegründet von der Ashikaga-Familie wurde das einst prächtige Gelände über die Jahrhunderte so oft Opfer von Bränden und anderen Naturkatastrophen, dass heute nur noch die historische Haupthalle und das Eingangstor übrig geblieben sind. Gäste können in einem restaurierten Teehaus eine Tasse Tee mit Blick auf einen Steingarten trinken.
Meigetsuin
Dieser Tempel der buddhistischen Rinzai-Schule wurde ca. 1160 erbaut und ist landesweit bekannt für seine tausenden Hortensien, weshalb er auch den Spitznamen ajisaidera (“Hortensientempel”) trägt. Der Meigetsuin liegt ca. 10 Gehminuten vom JR-Bahnhof Kitakamakura entfernt. Wenn im Juni während der Regenzeit die blau-weißen Blumen in voller Blüte stehen, füllt sich die Tempelanlage mit Besuchern aus aller Welt. Besonders markant ist die Haupthalle, in der sich ein charakteristisches rundes Fenster in einem traditionellen Teezimmer befindet. Das Fenster rahmt den dahinter liegenden Garten auf geradezu mystische Weise ein und ist tatsächlich nur zweimal im Jahr für je zwei Wochen für Besucher geöffnet: im Juni, wenn die Hortensien und Schwertlilien im Garten blühen und im November/Dezember zur Herbstlaubfärbung.
Hōkokuji
Dieser kleine Tempel der Rinzai-Schule liegt relativ versteckt in den Wäldern östlich der Stadt Kamakura. Man kann ihn nach einem ca. 40-minütigem Fußmarsch vom JR-Bahnhof Kamakura aus oder per Bus erreichen. Der Hōkokuji ist berühmt für seinen besinnlichen Bambushain, daher wird er auch der Bambustempel genannt. Ursprünglich erbaut in der frühen Muromachi-Zeit (1333-1573), diente er als Familientempel des Ashikaga- und des Uesugi-Clans. Hier können Sie die Ruhe und Nähe zur Natur spüren, während Sie sich mit Blick auf die dichten Bambuswälder und zahlreichen Blumen eine Tasse grünen Tee im angrenzenden Teehaus gönnen.
Komachi Street
Eine willkommene Abwechslung nach einer ausgiebigen Wanderung durch Kamakuras Tempelwelt finden Sie auf der Komachi Street direkt am JR-Bahnhof Kamakura – eine kleine, moderne Einkaufsstraße, wo Sie auf gerade einmal 350 Metern trendige Modegeschäfte, süße Cafés und lokale Restaurants finden. Besonders lohnenswert sind die diversen Souvenirshops, die von typisch japanischen Mitbringseln bis hin zu originellen, nur in Kamakura erhältlichen Waren alles verkaufen. Fans von Miyazaki Hayao finden zahlreiche Schätze im offiziellen Ghibli-Shop.
Hato Sablé
Wenn Sie schon auf Kamakuras populärster Einkaufstraße bummeln, nehmen Sie doch Kamakuras berühmtestes Souvenir gleich mit! Die Butterkekse namens “Hato Sablé” in Form einer Taube (hato) wurden erstmals im Jahre 1894 vom Süßwarenhändler Toshimaya in Kamakura hergestellt, nachdem er sich von Ausländern und ihren Süßigkeiten hat inspirieren lassen. Die Taubenform verdankt der Keks Kamakuras Hachimangu-Schrein, denn Tauben gelten als die Boten der Gottheit Hachiman.
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