Shikoku ruft zur Fahrrad-Challenge!
Vor einigen Jahren fuhren wir den Shimanami Kaidō – eine Radtour über die Seto-Inlandsee von Okayama nach Imabari auf Shikoku. Dieses Erlebnis wurde zum Wendepunkt für unsere Art zu reisen: Fortan suchten wir aktiv nach Zielen, die sich für kurze Radtouren eigneten und probierten Leihräder-Angebote in ganz Japan aus. Folgerichtig wurde es langsam Zeit für die nächste Stufe: eine ausgedehnte Radreise in Japan! Wir entschieden uns, an der 1.000 km-Challenge teilzunehmen, bei der man einmal rund um Shikoku fährt. Als Reiseziel reizte uns Shikoku bereits seit einiger Zeit und die Tour versprach eine beeindruckende Kulisse am Meer.
Vorbereitung: die erste große Radreise
Beruflich verschlug es uns für einige Zeit in Japans Hauptstadt Tōkyō. Unsere erste größere Anschaffung: zwei Fahrräder, die als Stadt- und auch als Touren-Rad geeignet sind. Stabiler und leichter Rahmen, Scheibenbremsen, Gangschaltung und dazu ein Gepäckträger, um unsere wasserfesten Fahrradtaschen zu befestigen. Als Fußgänger oder in den öffentlichen Verkehrsmitteln fällt es kaum auf, aber Tōkyō ist erstaunlich hügelig. Schon beim täglichen Pendeln erleichtert ein vernünftiges Rad deshalb den Alltag. Aber besonders während der großen Tour zahlte sich die Investition in hochwertige Räder aus. Für die Radreise besorgten wir uns noch ein Zelt, Isomatten und dünne Schlafsäcke – immer im Hinterkopf, dass diese nicht viel wiegen und ein kleines Packmaß haben sollten. Es folgten noch Reisehandtücher, eine LED-Laterne für das Zelt und gepolsterte Fahrradhosen. Wir versuchten unser Gepäck auf das Nötigste zu reduzieren und kamen jeweils auf etwa 12 kg Transportgewicht.
Um an der 1.000 km-Challenge offiziell teilnehmen zu können, mussten wir uns vorab anmelden. Die Startgebühr beträgt 8.000 Yen (ca. 66 Euro), dafür erhalten die Teilnehmer ein offizielles „Round Shikoku“- Fahrrad-Trikot und ein Stempelheft. Nur wer eine Mindestanzahl an Stempeln entlang der Tour sammelt, erhält nach Abschluss der Tour eine Teilnahmebescheinigung. Alternativ kann auch das GPS-Tracking eines Radcomputers als Nachweis eingereicht werden.
Doch wie kommen wir mit unseren Fahrrädern von Tōkyō nach Shikoku? In Zügen darf man in Japan sein Fahrrad nur mitnehmen, wenn dieses in einer Transporttasche (rinkō baggu) verpackt ist. Dabei müssen Pedale und Räder demontiert und gesichert werden. Darauf hatten wir keine Lust, also entschieden wir uns für die Fährenverbindung von Tōkyō nach Tokushima. Für knapp 15.000 Yen pro Person in einer Gemeinschaftskabine kommt man in 18 Stunden nach Shikoku und das Fahrrad kann neben Autos, Containern und Motorrädern im Frachtraum mitfahren. Diese Art zu Reisen war zwar langsam, aber äußerst entspannend, da wir in normalen Betten schlafen und ein großes Gemeinschaftsbad mit Blick aufs Meer nutzen konnten. Zeltplätze und Hotels haben wir im Vorfeld keine reserviert. Wir wollten erst einmal sehen, wie viele Kilometer wir an einem Tag schaffen können und spontan unsere Tagesziele festlegen. Auch das Wetter war ein Teil dieser Abwägung. Denn als Reisezeitpunkt wählten wir Ende September bis Anfang Oktober – eine Zeit, in der auch öfter ein Taifun über Japan zieht.
Unterwegs: am Pazifik und die Seto-Inlandsee entlang
Die Strecke um Shikoku verläuft hauptsächlich entlang der Küste und durch alle vier Präfekturen der Insel. Unsere Reise begann in Tokushima und führte uns um Kap Muroto, die Großstadt Kōchi, vom Quellgebiet des Shimanto-Flusses bis zu dessen Mündung in den Pazifik, vorbei am Kap Ashizuri, entlang der Städte Ainan, Uwajima, Matsuyama, Imabari, Saijō, Marugame, Takamatsu und schließlich zurück zu den Naruto-Meeresstrudeln nördlich von Tokushima. Das Kurzfazit? Es war bergiger als erwartet, wärmer als gehofft und die Natur begeisterte mehr, als wir anfangs dachten. Und jeden Abend waren wir stolz auf uns, wenn wir zurückblickten, welche Entfernungen wir am Tag mit unserer eigenen Muskelkraft geschafft hatten.
Relativ schnell pendelten wir uns bei Tagesetappen von 70 bis 110 km ein, aber wir gönnten uns auch drei Pausentage, um Kōchi, Matsuyama und Naoshima zu entdecken und einen Taifun vorbeiziehen zu lassen. Außerdem gab es zwei kürzere Etappen-Tage, um die im Original erhaltenen Burgen von Uwajima und Marugame zu besichtigen. Wir übernachteten auf Zeltplätzen, in Business-Hotels und in Pilger-Unterkünften, die Gästen mit Fahrrädern offen gegenüberstanden. Oft wurden Stellplätze für die Räder angeboten und sogar Werkzeug und Luftpumpen bereitgehalten.
Herausforderungen: Steigungen, Tunnel und keine Infrastruktur für Fahrräder
Wer denkt, die Küstenregionen von Shikoku seien flach, der irrt sich. Gerade an der Pazifik-Seite führte die vorgegebene Strecke uns immer wieder über weite Teile bergauf, oft mit 10 % Steigung. Es war anstrengend. Mehrere tausend Höhenmeter legten wir während der Tour zurück. Es wurde geschwitzt und geflucht – aber wir haben es geschafft. Bei jeder Steigung im Hinterkopf: Wer hochfährt, darf sich erst über atemberaubende Aussichten und dann über entspannte Abfahrten freuen.
Trotz der Bemühungen der Präfekturen: Ein zusammenhängendes Radwegnetz ist auch in Shikoku nicht zu finden und Radfahrer fahren im Normalfall auf der Straße. Für die Tour wurde kaum Infrastruktur für Fahrräder geschaffen, außer ein paar blaue Richtungshinweise am Seitenstreifen und Ständern an den Raststätten. Da auf Shikokus Straßen, vor allem im Norden der Insel, auch viele größere LKWs der regionalen Industrien unterwegs sind, gab es einige Situationen, in denen wir uns auf der Straße ein wenig unwohl fühlten und auf den Gehweg auswichen. Diese sind in Japan normalerweise auch für Radfahrer freigegeben. Der Zustand der Gehwege war nicht immer gut, oft waren sie sogar ziemlich überwuchert – aber manchmal eben der einzige Ort, um genügend Abstand zwischen Betonmischer und uns zu bringen.
Bereits in den ersten Tagen der Radreise stellte sich auch eine bis zum Ende anhaltende Hass-Liebe ein: Tunnel. Ein Tunnel bedeutete, dass man zwar nicht weiter bergauf fahren musste, aber auch sehr beengte Verhältnisse. In den zahlreichen Tunneln auf der Strecke wichen wir bald schon immer auf einen schmalen Randstreifen aus, der meist auf einer Seite für Fußgänger und Radfahrer bereitgestellt wurde. Die Tunnel waren mal 50 Meter, aber auch mal 2 km lang, und die vorbeibrausenden Autos sorgten für eine unangenehm laute Geräuschkulisse, die an den Wänden widerhallte. Auch scheinen viele Autofahrer halb leere Flaschen oder Müll aus dem Auto zu entsorgen, denen wir hier am Rand immer wieder ausweichen mussten. Die Beleuchtung mancher Tunnel war dazu noch so schlecht, dass wir ohne unsere eingeschalteten Fahrrad-Lichter bald schon in keinen Tunnel mehr einfuhren.
Das Wetter lässt sich nicht immer planen, aber wir hatten großes Glück: Der Spätsommer meinte es gut mit uns und so hatten wir an vielen Tagen um die 30 °C und Sonnenschein und mit Ausnahme des Taifuns nur ein paar wenige kurze Regenschauer. Ansonsten genossen wir die Verlängerung des Sommers und planschten, so oft es möglich war, mit unseren Füßen im Meer.
Radfahrer profitieren von den Pilgern
Shikoku ist als Pilgerziel auch über Japans Grenzen hinaus bekannt und hat sich auf die unterschiedlichen Gäste eingestellt. An vielen Orten am Straßenrand gibt es öffentliche Toiletten, Hütten, die zu einer Pause einladen, sowie günstige Restaurants, öffentliche Bäder und Pilger-Unterkünfte. Auch die weite Verbreitung von Konbinis und Getränkeautomaten erleichterte die Versorgung mit Snacks und Getränken. Wir mussten uns nie mit vielen Vorräten eindecken oder literweise Wasser transportieren, denn der nächste Konbini war immer in der Nähe.
Radreise in Japan? Jederzeit wieder!
Nach den ersten Tagen im Fahrradsattel schmerzte der Popo irgendwann auch nicht mehr und es stellte sich eine gewisse Tagesroutine ein. Wir fühlten uns gut. Die Radreise um Shikoku füllte unsere Akkus wieder auf, von denen wir gar nicht gemerkt haben, wie leer sie waren.
Als wir nach zwei Wochen wieder unseren Startpunkt erreichten, kam der Wunsch auf, einfach weiter zu fahren. Wir haben die 1.000 km Challenge geschafft und feststeht: Dies war nicht unsere letzte Radreise in Japan!
Stephanie & Michael Drewing
Stephanie und Michael betreiben den Japan-Blog www.thehangrystories.com. Dort schreibt das Ehepaar über seine Liebe zu Japan. Beide kommen aus München, leben und arbeiten aber aktuell in Tōkyō. Das erste, was sie nach dem Umzug nach Tōkyō angeschafft haben, sind zwei Fahrräder.
Dieser Artikel erschien in der Januar-Ausgabe des JAPANDIGEST 2020 und wurde für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.
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