Kyōto mit seinen rund 1,5 Millionen Einwohnern ist wahrhaftig eine Stadt der Superlative: Paläste, Burgen, ca. 1.700 Tempel, fast 800 Schreine, 15 Welterbestätten und eine einzigartige Kultur – Kyōto kann mit vielen Pfunden wuchern, und der weltweite Bekanntheitsgrad sorgt quasi automatisch für hohe Touristenzahlen. 2019 besuchten 55 Millionen Menschen die Stadt, knapp 9 Millionen davon waren Ausländer:innen. 13 Millionen blieben über Nacht, während der Rest für einen Tagesausflug dort war. In den Jahren der Corona-Pandemie verschwanden ausländische Touristen quasi über Nacht fast vollständig aus dem Stadtbild. Doch die Reisefreude nach dem Ende der Pandemie, gepaart mit einem historisch schwachen Yen, sorgte 2024 für sich rasch erholende Zahlen. Allein im März zählte man fast 950.000 Übernachtungen in Kyōto, 60 % davon fielen auf Ausländer:innen.
Die Kehrseite der Popularität
Eigentlich sind das gute Nachrichten für die Stadtverwaltung. Denn diese ließ 2021 verlauten, dass Kyōto möglicherweise schon 2028 bankrottgehen könnte, sollte sich nicht schnell etwas ändern. Die finanziellen Sorgen sind nicht unberechtigt: So leistete sich die Kaiserstadt während der Hochwachstumsphase in den 1980ern zwei U-Bahnlinien, die jedoch nie die geplanten Fahrgastzahlen erreichten – stattdessen müssen die Strecken jährlich hochgradig subventioniert werden. Es mangelt an Kommunalsteuereinnahmen, da fast 10 % der Bevölkerung Geringverdienende bzw. nicht erwerbstätige Studierende sind. Gewinnbringende, steuerzahlende Industrieanlagen gibt es ebenfalls relativ selten, und die zahllosen Tempel und Schreine sind allesamt von der sonst für die Verwaltung lukrativen Grundsteuer befreit. Mit anderen Worten: Kyōto kämpft seit langem mit klammen Kassen. Dass eine Stadt in Japan den Bankrott erklären und auf viele Freiheiten verzichten muss, wäre nicht das erste Mal – Yūbari auf der nördlichen Insel Hokkaidō ist ein prominentes Beispiel.
Dieses „2028-Problem“ wurde zwar zu einer Zeit verkündet, als die Auslastung der Unterkünfte Corona-bedingt bei unter 25 % lag und die Kommunalverwaltung viel Geld aufbringen musste, um die Gastronomie und das Hotelgewerbe am Leben zu erhalten. Doch die Touristenscharen bringen nicht nur Geld, sondern auch etliche Probleme mit: Dazu gehört die regelrechte Belästigung der berühmten Geisha und Maiko im traditionellen Viertel Gion, die Missachtung von Privatgrundstücken, ein hoffnungslos überfüllter öffentlicher Nahverkehr rund um die Hauptattraktionen der Stadt und viele weitere Unannehmlichkeiten. Die sozialen Medien tragen maßgeblich zu dieser Entwicklung bei – viele Reisende kommen mit dem erklärten Ziel, das perfekte Foto des Goldenen Pavillons, des Fushimi Inari-Schreins oder von einer Maiko zu schießen. Natürlich sind nicht wenige enttäuscht, wenn ihnen das aufgrund der vielen anderen Touristen nicht gelingt.
Maßnahmen gegen den Übertourismus
Um diesen Problemen entgegenzutreten, ließ sich Kyōtos Stadtverwaltung bereits einiges einfallen. So richtete man online einen sogenannten „Crowd Simulator“ ein, der berechnet, wann es wo und zu welcher Tageszeit wie voll werden wird. Leider, aber dennoch nachvollziehbar, zählen zu den Maßnahmen auch Verbote. Mittlerweile sind einige Seitengassen in Gion für Angereiste tabu. Eigens für Touristen eingerichtete Buslinien hingegen gehören wiederum zu den positiven Entwicklungen. Diese Busse halten nur an den bekanntesten Sehenswürdigkeiten, sind somit für die meisten Einheimischen unattraktiv und für Touristen äußerst praktisch.
All diese Maßnahmen sind Teil der Bemühungen um eine nachhaltige Stadtentwicklung, basierend auf drei Prinzipien: die Etablierung einer sogenannten „Touristenethik“ (sprich eine Sensibilisierung der Touristen), die bessere Verteilung der Menschenströme, zum Beispiel durch den „Crowd Simulator“, aber auch durch die Erhöhung des Bekanntheitsgrades von Kyōtos weniger frequentierten Orten, sowie die Förderung der Akzeptanz durch die Einheimischen. Denn spätestens seit 2021 weiß man: Ohne Touristen könnte es für die stolze Kaiserstadt finanziell schon bald sehr eng werden.
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