Tōkyōs Architekturgeschichte ist ein faszinierender Spiegel der städtischen Entwicklung. In den früheren Jahrhunderten prägten traditionelle japanische Bauweisen, die sich durch Holzstrukturen und eine harmonische Integration in die Natur auszeichneten, das Stadtbild. Tempel und Schreine wie der Sensō-ji in Asakusa stehen auch heute für diesen traditionellen Stil, der eine enge Verbindung zur Umgebung und zur Spiritualität widerspiegelt. Mit der Meiji-Restauration 1868 und der Öffnung Japans für westliche Einflüsse begann sich das architektonische Gesicht Tōkyōs zu verändern: Europäische inspirierende Baustile wie Neoklassizismus, Barock und Jugendstil fanden ihren Weg in die asiatische Stadt, was sich in Bauwerken wie dem Bahnhof Tōkyō niederschlug.
In der Taishō- und frühen Shōwa-Periode (1912–1945) entwickelte sich die Stadt weiter: Art-Déco-Architektur und erste moderne Hochhäuser reflektierten den zunehmenden westlichen Einfluss auf die japanische Baukunst. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Tōkyō einen echten Architektur-Boom: Die Einführung futuristischer Designs und umweltfreundlicher Bauweisen sorgte dafür, dass sich die Stadt in den letzten Jahrzehnten immer weiter zu einem Hotspot für zeitgenössische Architektur entwickelt hat. Dabei liegt Japan jedoch im Pazifischen „Feuerring“ und gehört zu den erdbebengefährdetsten Ländern der Welt. Um dieser ständigen Gefahr zu begegnen, hat das Land über Jahrzehnte eine der weltweit strengsten Bauordnungen entwickelt, die erdbebensicheres Bauen zur Pflicht macht. Hierbei liegt das Geheimnis in fortschrittlichen Techniken wie der Basisisolation (menshin), bei der Gebäude auf gedämpften Fundamenten „schwimmen“, und der Vibrationskontrolle (seishin), die mithilfe aktiver Dämpfungssysteme Schwingungen ausgleicht. Selbst die höchsten Gebäude Tōkyōs können so flexibel auf Erschütterungen reagieren und „tanzen“, was Japan zum globalen Vorbild für erdbebensichere Architektur macht – welche auch noch den Sinn für Ästhetik wahrt. Heute ist die Hauptstadt für ihre beeindruckende Skyline und innovativen, modernen Gebäude bekannt, die traditionelles Erbe und zeitgenössische Architektur nahtlos miteinander verbinden.
Azabudai Hills: Eine moderne urbane Oase
Azabudai Hills, eines der neuesten Großprojekte in Tōkyō, spiegelt das Konzept des „modernen urbanen Dorfes“ wider. Dieses Megaprojekt, das im Herzen der Stadt liegt, wurde 2023 nach mehr als 30 Jahren Planung und Bauzeit abgeschlossen. Das 8,1 Hektar große Gelände ist ein grünes städtisches Paradies mit 24.000 m² üppigem Grün, darunter ein zentraler Platz von 6.000 m². Die Vision der Azabudai Hills besteht darin, eine offene und einladende Gemeinschaft zu schaffen, die das Leben, Lernen und Arbeiten in einem urbanen Umfeld nahtlos miteinander verbindet. Die Anlage integriert Büros, Wohnräume, ein Hotel, eine internationale Schule, Geschäfte, Restaurants und kulturelle Einrichtungen in einem einzigen Komplex und schafft so eine „Stadt in der Stadt“. Das Herzstück der Anlage ist der Mori JP Tower: Mit beeindruckenden 330 m ist er der neue höchste Wolkenkratzer Japans und löste das Abeno Harukas (300 m) in Ōsaka ab. Auch das beliebte digitale Museum teamLab Borderless ist nach Azabudai Hills umgezogen und ermöglicht dort eine magische Atmosphäre mit dem Kernkonzept der „Grenzenlosigkeit“.
Tokyo International Forum: Leuchtendes Wahrzeichen moderner Baukunst
Das Tokyo International Forum, entworfen von amerikanischen Architekten Rafael Viñoly, ist ein weiteres herausragendes Beispiel moderner Architektur. Fertiggestellt im Jahr 1996, wurde dieses Meisterwerk durch Japans ersten internationalen Designwettbewerb ausgewählt, der von dem berühmten japanischen Architekten Tange Kenzō geleitet wurde. Tange, der erste japanische Preisträger des Pritzker-Preises, ist u. a. bekannt für das Design des Rathauses von Tōkyō.
Das Tokyo International Forum besticht durch seine monumentale Glashalle, die sich auf 207 m Länge erstreckt und durch minimalistische strukturelle Unterstützung beeindruckt. Die Glaswände und das aufwendige Dach erinnern an ein skulpturales Gitter, das nachts wie eine leuchtende Laterne wirkt und die Skyline Tōkyōs prägt. Mit seiner Fähigkeit, sowohl als Kulturzentrum als auch als öffentlicher Raum zu fungieren, ist es ein beliebtes Ziel für Einheimische und Touristen gleichermaßen. Im ersten Stock befindet sich in Richtung des Kaiserpalastes eine Bronzeskulptur von Ōta Dōkan, dem Stadtgründer Tōkyōs.
Das V88 Building: Eine tanzende Fassade
Das frühere De Beers Ginza Building, heute bekannt als V88, ist berühmt für seine wellenförmige Fassade, die wie eine elegant schwingende Tänzerin wirkt. Es stellt einen der fotogensten Orte in Tōkyō dar: Die Fassade besteht aus wellenförmig gebogenen Edelstahlrahmen, die im Sonnenlicht reflektieren und so eine fast magische Wirkung erzeugen. Das Geschäftsgebäude ist das Werk von Jun Mitsui & Associates Inc. Architects aus dem Jahr 2008. Ein Tipp für Fotografen: Um die ganze Pracht dieses Gebäudes einzufangen, sollte man es am besten aus einem diagonalen Winkel von der gegenüberliegenden Straßenseite aus fotografieren. Es befindet sich im Herzen des Luxus-Shoppingviertels Ginza.
Revolutionäre Transparenz: Die innovativen Toiletten Tōkyōs
Der preisgekrönte Architekt Ban Shigeru, bekannt für seine innovativen und oft unkonventionellen Entwürfe, hat in Tōkyō öffentliche Toiletten gestaltet, die durch transparente Wände bestechen. Diese Toiletten, die in Parks wie dem Yoyogi Fukamachi Mini Park (unweit des großen Yoyogi-Parks) zu finden sind, erscheinen auf den ersten Blick durchsichtig. Sobald jedoch die Tür abgeschlossen wird, verwandeln sich die Glaswände in blickdichte, farbenfrohe Paneele. Diese innovative Idee soll sowohl die Sauberkeit als auch die Sicherheit der öffentlichen Toiletten erhöhen. Neben Ban waren an diesem Projekt auch die Pritzker-Preisträger Andō Tadao, Itō Toyoo und Maki Fumihiko beteiligt. Sie haben sogar einen Oscar-nominierten Film inspiriert, “Perfect Days” (2023) vom deutschen Regisseur Wim Wenders.
SunnyHills: Traditionelle Holzbaukunst im modernen Kontext
SunnyHills ist einer der renommiertesten Hersteller von Pineapple Cake in Taiwan, einer traditionellen, buttrigen Süßspeise, die mit marmeladenartiger Ananaspaste gefüllt ist. Im Stadtviertel Minami-Aoyama, unweit der Luxusmeile Omotesandō, befindet sich eine ihrer internationalen Niederlassungen: ein weiteres beeindruckendes Beispiel für moderne Architektur, das auf einer alten japanischen Holzbautechnik, der jigoku-gumi, basiert. Hierbei werden Holzleisten ohne Nägel oder Kleber zu einem stabilen Gitter verbunden. Das Gebäude erinnert an einen kunstvoll gefertigten Bambuskorb und strahlt eine warme und einladende Atmosphäre aus. Das außergewöhnliche Design vom japanischen Stararchitekten Kuma Kengo symbolisiert die Verschmelzung von Tradition und Innovation in der modernen Architektur.
Tokyu Kabukicho Tower: Zentrum moderner Unterhaltung
Im lebhaften Viertel Kabukichō in Shinjuku befindet sich der beeindruckende Tokyu Kabukicho Tower, ein 225 m hoher Mehrzweck-Wolkenkratzer mit 48 Etagen, der im April 2023 eröffnet wurde. Der Entwurf des Gebäudes von Yuko Nagayama Associates – somit das erste Hochhaus Tōkyōs, das von einer Frau entworfen wurde – erinnert an einen riesigen, animierten Wasserbrunnen. Die gläserne Fassade ist mit Keramikpunkten bedruckt, die wie sprudelndes Wasser wirken. Das Design zieht Inspiration aus lokalen Schreinen, wie dem Itsukushima Jinja Nukebenten, der der Göttin Benzaiten gewidmet ist. Diese buddhistische Beschützergottheit wird auch im Shintōismus verehrt und zählt dort zu den Sieben Glücksgöttern (shichi fukujin). Sie steht mit der Musik, der Kunst und Weisheit in Verbindung, aber eben ganz besonders mit dem Element Wasser. Da es sich bei Kabukichō ursprünglich um ein Sumpfgebiet handelte, ist diese Göttin ein wichtiges historisches Verbindungsglied zur Vergangenheit des Stadtteils. Generell ist seigaiha, ein traditionelles japanisches Muster, das Wasser darstellt, an verschiedenen Stellen im gesamten Design des Gebäudes zu finden. Dieser spielerische Ansatz verleiht dem Wolkenkratzer eine freundliche und einladende Ausstrahlung. Im Inneren des Gebäudes befinden sich unter anderem ein Kino, ein Theater, Spa- und Wellnesseinrichtungen, Karaoke-Bars und zwei Hotels, die den Turm zu einem der größten Unterhaltungszentren Japans machen.
National Art Center: Raum für Kunst
Das National Art Center in Tōkyō ist nicht nur das größte Museum Japans sowie eines der meistbesuchten Kunstmuseen der Welt, sondern auch ein architektonisches Highlight. Entworfen von Kurokawa Kishō, der als Vertreter des Metabolismus weltweit Beachtung gefunden hat, beeindruckt das Gebäude seit seiner Eröffnung 2007 durch seine wellenförmige Glasfassade und die riesigen, säulenfreien Ausstellungsräume. Die Flexibilität der Räume ermöglicht eine Vielzahl von Kunstausstellungen, wodurch das Zentrum ein wichtiger Ort für zeitgenössische Kunst in Japan geworden ist. Die Besucher:innen bewegen sich im Gebäude vertikal über Rolltreppen und dies erlaubt kreative Blickwinkel im Vergleich zu herkömmlichen rechteckigen Ausstellungsräumen.
Mode Gakuen Cocoon Tower: Ein futuristischer Lernort
Der Mode Gakuen Cocoon Tower, der 2008 fertiggestellt wurde, ist ein ikonisches Beispiel für futuristische Architektur in Tōkyō. Das organisch anmutende Gebäude beherbergt drei Hochschulen und ist einer der wenigen Wolkenkratzer weltweit, die ausschließlich Bildungseinrichtungen Raum geben. Er ist bekannt für seine einzigartige, kokonartige Form. Der Wettbewerb um das Design wurde von der Modeschule Tōkyō Mode Gakuen ausgeschrieben und von Tange Associates gewonnen. Das futuristische Design hebt sich deutlich von den eher konventionellen Wolkenkratzern in der Umgebung ab und macht es zu einem Wahrzeichen von Shinjuku. Vom Bahnhof Shinjuku aus gibt es einen direkten unterirdischen Zugang in das Foyer des Gebäudes, aber es haben nur Lehrpersonal und Studierende Zutritt.
Tokyu Plaza Harajuku: Neue Kultur-Ecke an der Jingūmae-Kreuzung
Harajuku, bekannt als pulsierendes Zentrum für junge Mode und kreatives Schaffen, erhielt im April 2024 ein weiteres architektonisches Highlight: Tokyu Plaza Harajuku, auch als Harakado bekannt. Das von dem Architekten Hirata Akihisa entworfene Gebäude beeindruckt mit seiner verwobenen, organischen Struktur. Die reflektierenden Oberflächen des Gebäudes stehen in reizvollem Kontrast zum kaleidoskopartigen Spiegeleingang seines Schwestergebäudes, dem Tokyu Plaza Omotesando oder Omokado, an der gegenüberliegenden Straßenecke. Diese kado (Japanisch für Ecke) ist ein Ort, der den Geist des legendären Harajuku Central Apartments aus den 1960er Jahren aufgreift und setzt auf Co-Creation und Austausch, wodurch es zu einem neuen Herzstück der kreativen Szene wird. Das Gebäude umfasst 75 Geschäfte, die sich auf neun Etagen verteilen, einschließlich einer Dachterrasse. Hier finden sich unter anderem ein öffentliches Badehaus, eine kostenlose Magazinbibliothek und zahlreiche kreative Plattformen.
Torch Tower: Tōkyōs zukünftiger Rekordhalter
Der im Bau befindliche Torch Tower soll 2028 fertiggestellt werden und wird mit einer Höhe von 390 m der neue höchste Wolkenkratzer Japans sein. Das unter anderem von Fujimoto Sou Architects, Yuko Nagayama Associates und Mitsubishi Jisho Sekkei entworfene Gebäude soll neben Büroflächen auch luxuriöse Wohnungen, ein Hotel und eine Aussichtsplattform für Besucher:innen umfassen. Dabei symbolisiert das Design des Torch Tower die Verbindung von Historik und einer leuchtende Zukunft. Die einzigartige Kronenstruktur, die wie ein leuchtender Leuchtturm anmutet, macht den Turm zu einem neuen markanten Wahrzeichen Tōkyōs.
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