In den Wäldern Japans sind zwei Bärenarten beheimatet – der Kragenbär und der Braunbär. In Zeiten des schrumpfenden Lebensraums wilder Tiere kommt es mehr und mehr zu Begegnungen zwischen Mensch und Tier, weswegen achtsames und respektvolles Verhalten der Umwelt gegenüber eine immer tragendere Rolle spielt.
Der Kragenbär – tsuki no waguma
Seinen deutschen Namen verdankt der Kragenbär seinem zotteligen Fell, das in der Nackengegend deutlich länger ist als am Rest des Körpers, und diesen wie einen Kragen umgibt. Sein japanischer Name tsuki no waguma (tsuki = Mond, kuma = Bär) stammt von dem mondsichelförmigen, hellgefärbten Fleck auf seiner Brust. Ursprünglich waren Kragenbären in Japan auf Kyūshū, Shikoku und Honshū in Waldregionen beheimatet, inzwischen gilt jedoch nur noch der Bestand auf Honshū als gesichert. Da der Gallenflüssigkeit der Kragenbären in der chinesischen Volksmedizin heilende Eigenschaften zugesprochen wird, werden jedes Jahr viele Tiere gewildert. Bärengalle, dessen Wirkstoff auch synthetisch hergestellt werden kann, zählt in Japan zu den ertragreichsten Wildprodukten.
Der Kragenbär ist ein Omnivor, der sich hauptsächlich von Pflanzen und Nüssen, aber auch von Insekten, kleineren Nagetieren und gelegentlich Aas ernährt. Durch das wachsende Vorkommen von Zedern und Zypressen im Westen Honshūs, die für den Kragenbären keine Futterquelle bieten, wird der Lebensraum nach und nach eingeschränkt. Dort, wo es in Japan wilde Bambuswälder gibt, frisst der Kragenbär die jungen Sprossen. Da diese auch von Menschen gesammelt und in der Küche eingesetzt werden, kommt es hierbei öfter zu Begegnungen mit den Bären.
Der Braunbär – higuma
Den japanischen Braunbären, ezo higuma, findet man ausschließlich in den Wäldern Hokkaidōs. Eine besonders große Population gibt es auf der Shiretoko-Halbinsel. Wie der Kragenbär ist auch der Braunbär ein Omnivor, ernährt sich jedoch bevorzugt von Pflanzen. Außerdem frisst er Insekten, Säugetiere und Fisch.
Zwar meidet der Braunbär in der Regel Begegnungen mit Menschen, es gibt jedoch einen Ort, wo Mensch und Bär sich sehr nah kommen: In einem Fischerei-Gebiet namens Ban’ya auf der Shirotoko-Halbinsel koexistieren seit 200 Jahren Mensch und Bär friedlich nebeneinander. Die Menschen wie die Bären treffen hier beim Fischfang aufeinander. Warum die Bären ausgerechnet hier dem Menschen so nahe kommen, ist unklar. Theorien gehen davon aus, dass die Bärenweibchen mit ihren Jungen in die Nähe der Menschen kommen, da sie sich dort in Sicherheit vor den Männchen fühlen. Unter Bären ist ein infantizides Verhalten der Männchen gegenüber den Jungtieren begehrter Weibchen nicht unüblich. Eine andere Theorie geht davon aus, dass im Angesicht des schrumpfenden Lebensraums und der unweigerlichen Annäherung an den Menschen die Jungtiere von ihren Müttern hierher gebracht werden, um einen friedlichen Umgang mit den Menschen zu erlernen.
Geteilter Lebensraum – oder Mensch vs. Bär?
In Wald- und Flussgegenden kommt es in den letzten Jahren vor allem unter Wanderern und Bergsteigern zu Bärensichtungen. Gelegentlich greifen die Tiere auch an. Laut Umweltministerium wurden 2016 12.820 Sichtungen (Stand 10/2016) gemeldet. Zwischen April und September desselben Jahres kam es zu 58 Angriffen (Stand 10/2016), bei denen 61 Personen verletzt wurden und vier Menschen ums Leben kamen. Interessanterweise handelte es sich bei allen 58 Angriffen um Kragenbären, die in der Regel als friedlicher und weniger aggressiv als Braunbären gelten.
Warum kommt es zu Angriffen?
Der Fischerort Ban’ya beweist, dass eine friedliche Koexistenz zwischen Menschen und Bären durchaus möglich ist. Warum also kommt es immer häufiger zu Angriffen? Eine klare Antwort gibt es auf diese Frage nicht, allerdings drei Theorien: Durch Nahrungsmangel in den Wäldern und Entvölkerung ehemals landwirtschaftlich genutzter Gebiete verlassen Bären mehr und mehr den Schutz der Wälder und begeben sich in Wohngebieten auf Futtersuche.
Doch auch zu viel Futter ist eine mögliche Ursache. Durch den Überschuss an Bucheckern im Jahr 2016, die eine Hauptnahrungsquelle der Kragenbären bilden, haben überdurchschnittlich viele Jungtiere überlebt. Diese Theorie erklärt auch die vielen Angriffe durch Kragenbären, denn Muttertiere dieser Bärenart legen beim Schutz ihrer Jungtiere ein besonders aggressives Verhalten an den Tag. Die dritte, für den Mensch etwas makabere Theorie geht davon aus, dass die Bären womöglich einfach auf den Geschmack gekommen sind. Als Allesfresser stehen sowohl Pflanzen als auch Fleisch, Fisch und Aas auf ihrem Ernährungsplan – dass das den Menschen mit einschließt, haben die Bären in den letzten Angriffen gelernt.
Internationale Schlagzeilen verursachte im Mai und Juni 2016 eine Reihe von Angriffen in der Präfektur Akita, bei der vier Pilz- und Kräutersammler ums Leben kamen. Es ist nicht geklärt, ob die Angriffe von einem oder mehreren Bären verübt wurden. Im kollektiven Gedächtnis bleibt aber der schlimmste Bärenangriff der japanischen Geschichte, das sog. sankebetsu higuma jiken: Im Dezember 1915 griff ein riesiger Braunbär, der zu früh aus dem Winterschlaf erwachte, mehrere Siedlungen auf Hokkaidō an und tötete über einen Zeitraum von mehreren Wochen mindestens sieben Menschen.
Was tun bei einer Begegnung mit einem wilden Bären?
Trotz Geschichten über Monster-Bären und Schreckensmeldungen in den Nachrichten gilt: Bären sind keine Raubtiere oder spezialisierte Jäger. Es gibt durchaus Maßnahmen und Verhaltensregeln, um Begegnungen mit Bären zu vermeiden oder die Wahrscheinlichkeit eines glimpflichen Ausgangs einer Begegnung zu erhöhen:
- Informieren Sie sich vor Ausflügen in die Natur über Vorkommen und Aktivitäten von Bären in der jeweiligen Gegend.
- Vermeiden Sie Gebiete mit Bärensichtungen, insbesondere zur Morgen- oder Abenddämmerung, wenn Bären am aktivsten sind.
- Sollten Sie Bärenspuren oder Kot entdecken, kehren Sie sofort um.
- Sehen Sie ein Bärenjunges, nähern Sie sich diesem auf keinen Fall. Die Mutter ist vermutlich nicht weit weg und nimmt Sie als Bedrohung wahr.
- Tragen Sie ein Bärenglöckchen kumasuzu, ein Radio, oder machen Sie andere laute Geräusche. Bären, die sich in der Nähe aufhalten, werden so verscheucht. Bei lauten Umgebungsgeräuschen, zum Beispiel starkem Wind oder einem Wasserstrom, seien Sie besonders achtsam.
- Wenn Sie einem Bären begegnen, bewahren Sie Ruhe und legen Sie behutsam Ihr Gepäck auf dem Boden ab. Entfernen Sie sich langsam und kehren Sie dem Bären nicht Ihren Rücken zu. Im besten Fall findet der Bär Ihr Gepäck wesentlich interessanter als Sie, vor allem, wenn er darin Essbares vermutet.
- Achten Sie darauf, keine Essensreste zurückzulassen. Diese locken Bären an.
Viele Städte- und Präfektur-Regierungen bieten auf ihrer Website Tipps im Umgang mit Bären an. Auf diesen können Sie sich genauer informieren. Hier zum Beispiel ein Informationsflyer der Präfektur Fukushima.
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