Ein starker, süßlicher Duft liegt im spätsommerlichen Japan in der Luft. Er kommt von dunkelrosa und lilafarbenen Blüten, die von einem Dickicht aus Ranken und Blattwerk umgeben sind. Das üppige Grün bedeckt den Boden und wuchert über Bäume, Sträucher, Zäune und Lichtmasten einfach hinweg.
Sich auszubreiten liegt in der Natur der Kuzu (葛, Pueraria montana var. lobata), einer anspruchslosen, aber extrem fruchtbaren Kletterpflanze in der Familie der Hülsenfrüchtler. Sie ist in der gemäßigten Klimazone in Japan, Korea und China zu Hause und wächst von Hokkaidō bis Kyūshū überall. Den japanischen Bauern und der Straßenmeisterei ist dieses Gewächs ein Graus, denn es breitet sich unglaublich schnell aus. Die bis zu über zehn Meter langen Ranken kriechen am Ackerboden entlang und überwuchern Böschungen, Brücken und was sich ihnen sonst noch in den Weg stellt. Sie ranken sich vorwärts und aufwärts, wo auch immer man sie nicht bekämpft.
Wer hätte gedacht, dass dieses Bohnenmonster ein japanisches Superfood und eine reiche Quelle für gesunde Nahrungsmittel und alternative Medizin ist?
Das Geheimnis der Wurzel
Was man von der Kuzu sieht, ist nur die halbe Wahrheit. Denn unter der Erde ist Kuzu nicht weniger imposant: Die holzartige Kuzu-Wurzel ist nämlich ein Riese! Sie wächst in der Form einer länglichen Knolle, die bis zu 2 Meter Länge und 45 Zentimeter Durchmesser erreichen kann. Mit bis zu 180 Kilogramm Gewicht ist sie wohl die schwerste essbare Wurzel auf der Welt.
Aus der Wurzel wird in einem aufwendigen Prozess, der traditionell 120 Tage dauert, Stärkemehl (oder Kuzuko) gewonnen. Die Wurzeln werden zerquetscht und in klarem Wasser gewaschen, das viele Male gefiltert wird, ehe man ein Extrakt der Kuzu-Stärke erhält. Dieses Extrakt muss dann für einen Monat getrocknet werden, wobei weder direkter Sonnenschein noch Ofenhitze erlaubt sind. Das ist ein aufwendiger Prozess für einen relativ geringen Ertrag von nur 10 Prozent Stärke.
Kuzu für Überlebens- und für Lebenskünstler
Die Gegend um Yoshino in der Präfektur Nara ist als Produktionsort für Kuzu-Stärke von höchster Qualität seit Jahrhunderten bekannt. Es gibt dort sogar einen Ort, der Kuzu heißt. In dieser damals entlegenen Region diente Kuzu zuerst den dortigen Bergbewohnern als Ersatzessen in Zeiten von Lebensmittelknappheit und Hungersnot. Denn von der Kuzu-Pflanze kann man nicht nur die Wurzeln verwenden, sondern auch die jungen Triebe, Blüten und Blätter sind essbar. Was in den schlechten Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg noch als Ersatzessen galt, kann heute eine gesunde warme Zwischenmahlzeit für geschäftige Leute sein. Kuzu-yu, eine Trink-Brühe, wird ganz einfach aus Kuzu-Stärke und heißem Wasser angerührt. In Japan trinkt man auch Kuzu-gayu (Kuzu mit Milch) und Kuzu-mizu, ein gekühltes Kuzu-Getränk.
Anwendung in der japanischen Küche
Kuzu-Stärke wird sehr häufig als Binde- und Dickungsmittel in Suppen, Soßen, Glasuren und Süßspeisen verwendet. Kuzuko kann als gesunde Alternative zur industriell hergestellten Korn- oder Kartoffelstärke und als Ersatz für Gelatine genutzt werden. Sehr beliebt ist Kuzu-Stärke in kaiseki ryōri (mehrgängiges japanisches Menü) und im shōjin ryōri (buddhistisch-vegetarische Küche). Die japanischen Chefköche sind von ihrem subtilen Geschmack, der seidigen Farbe und der sämigen Konsistenz überzeugt.
In beiden Speisearten findet man Goma-dōfu, Tempura und Osuimono. Goma-dōfu ist nur dem Namen nach „Tōfu“, wird tatsächlich aber aus Kuzu-Stärke und Sesamsamen hergestellt. Osuimono, eine japanische klare Suppe auf Dashi-Basis, schmeckt mit Kuzu angedickt besonders gut. Wenn bei der Zubereitung von Tempura der Tōfu und das Gemüse mit Kuzu-Puder bestäubt werden, wird die Kruste erst richtig knusprig. Über 85 Prozent des Kuzuko soll jedoch in die Herstellung von japanischen Süßigkeiten fließen. Die bekanntesten sind Kuzu Mochi, traditionellerweise aus Reismehl hergestellte klebrige Küchlein, und Kuzu Kiri, eine Art Kuzu-Nudeln, die mit Sirup garniert in den Restaurants von Yoshino und in anderen Teilen Japans als leckeres Dessert serviert werden.
Mit Kuzu heilen
Das enorme medizinische Potential von Kuzu ist im europäischen Raum noch wenig bekannt. Dabei findet Kuzu in der traditionellen chinesischen und japanischen Medizin schon seit über 2.000 Jahren Anwendung. Traditionell wird es als Wurzelmehl-Getränk oder Tee eingenommen. Diese einfache Anwendungsart hat Kuzu als Hausmittel zur Vorbeugung und Behandlung von Erkältungen, Fieber, Grippe und Magenbeschwerden beliebt gemacht. Daneben gibt es heute auch Präparate in Pillenform.
Die Kuzu-Wurzel enthält eine hohe Konzentration von verschiedenen Isoflavonen, die sich als Antioxidantien positiv auf das Verdauungssystem und die Blutzirkulation auswirken sollen. Eine Anwendung aus Kuzu-Wurzelmehl ist ein effektives Mittel gegen einen sauren Magen und dadurch entstehende Magen- und Darmentzündungen. Weiterhin soll es Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen und hilft, den Blutdruck zu senken und den Blutzucker zu regulieren.
Als Kakkon bekannt wird der Kuzu-Wurzeltee als vorbeugende Medizin von Alternativmedizinern empfohlen. Kakkon besteht aus getrockneten und zerkleinerten Teilen der Kuzu-Wurzel, die oft mit anderen Medizinpflanzen vermischt werden. Es soll bei allerlei Beschwerden helfen – beispielsweise bei chronischer Migräne und auch bei Entzündungen der Atemwege, sogar bei Schulter- und Nackenbeschwerden, Muskelsteifheit und Hautbeschwerden, um nur einige zu nennen.
Hat Kuzu in Europa Zukunft?
In den letzten Jahren hat Kuzu-Stärke auch in den noblen europäischen Restaurants einen Platz gefunden. Kreative Chefs der italienischen und französischen Küche kreieren und experimentieren damit, und auch aus der makrobiotischen Küche ist Kuzuko nicht mehr wegzudenken.
Es wird auch zunehmend als gesunder Inhaltsstoff in Babynahrung und als Bestandteil des Speiseplans in der Kranken- und Altenpflege verwendet. Kuzu als Medizin wird sogar zur Unterstützung von Nikotin- und Alkohol-Entwöhnungskuren empfohlen. In Reformhäusern und Naturkostläden in Deutschland findet man schon einige Kuzu-Produkte, jedoch ist diese asiatische Wunderpflanze immer noch ein Geheimtipp und wartet darauf, von mehr Deutschen entdeckt zu werden.
Kommentare