Japan - mit dem zug von Nord nach Süd 19-Tage-Studienreise

Aokigahara – Verkörperung des Lebens mit all seinen Facetten

Manuel Piwko
Manuel Piwko

Der Aokigahara-Wald am Fuße des Fuji wird auch als „Aokigahara-jukai“ („Meer aus Bäumen“) bezeichnet. Doch die wunderschöne Waldidylle wird von einer traurigen Vergangenheit überschattet.

Aokigahara-Wald mit moosbewachsenen Bäumen
Das kühle Klima sorgt für einen sattgrünen Moosbewuchs im Wald. © O. Heda "A moist atmosphere / 沁みる緑"/ flickr (CC BY-NC 2.0)

Wenn man dem stressigen Arbeitsalltag für einen kurzen Moment entfliehen möchte, so kann es durchaus verlockend klingen, einen Tag in einem „Meer aus Bäumen“ zu verbringen und den Fokus auf die Natur legen. Dafür bietet sich der nur zwei Autostunden von Tōkyō entfernte, dicht bewaldete Aokigahara-Wald an. Der Begriff „Waldbaden“ könnte treffender nicht sein. Denn auch wenn der Wald in den westlichen Medien hauptsächlich als der „Selbstmord-Wald“ bekannt ist, hat dieser weitaus mehr zu bieten als sein dunkler, ihm vorauseilender Ruf vermuten lassen mag.

Entstanden aus Asche und Lava

Die Lage des Aokigahara könnte schöner kaum sein: Am nördlichen Fuße des Fuji in der Präfektur Yamanashi und inmitten von mehreren Seen erstreckt sich ein 3.000 Hektar großes, dicht bewaldetes Gebiet. Dieses lädt Wanderer und Naturliebende förmlich dazu ein, die unberührte Natur zu bestaunen. Der Wald selbst steckt entwicklungsgeschichtlich fast noch in den Kinderschuhen, denn mit etwa 1.200 Jahren ist dieser vergleichsweise jung. Im Jahr 864 n. Chr. brach der Fuji ununterbrochen zehn Tage lang aus und warf eine beträchtliche Menge an Asche und Lava aus. Das führte zum einen dazu, dass ein Teil der Lava den damals existierenden Senoumi-See füllte und ihn in den Shōji-See und den Saiko-See teilte, die nun zu den fünf Fuji-Seen gehören, welche an das Aokigahara-Waldgebiet grenzen. Zum anderen entwickelte sich aus der sogenannten Aokigahara-Lava der heutige Wald, dessen nährstoffreicher Boden für eine bemerkenswerte Artenvielfalt sorgt.

Die Tier- und Pflanzenwelt

Betritt man den Aokigahara, wird einem sofort die unvergleichliche Stille auffallen, welche Balsam für die unter Mitleidenschaft gezogenen und an Lärm gewöhnten Großstadtohren ist. Auch das liegt unter anderem am porösen Lavaboden, der alle Geräusche verschluckt. Diese Ruhe wird nicht nur von Wanderern, sondern vor allem den einheimischen Tieren geschätzt. Fledermäuse, Vögel, Hirsche oder auch der gefährdete Kragenbär profitieren von den einzigartigen Gegebenheiten des Waldes.

Das kühle und feuchte Klima schützt Besucher im Sommer nicht nur vor der drückenden Hitze, sondern ist auch die ideale Grundlage für die Verbreitung einer Vielzahl an Moosen. Diese sorgen für die bewachsenen Bäume, die beinahe schon an einen Urwald erinnern. Auch die drei Vulkanhöhlen, die mit fantastischen Namen wie „Narusawa-Eishöhle“, „Fugaku-Windhöhle“ und der majestätisch anmutenden „Drachenpalasthöhle“ Touristen in ihren Bann ziehen, haben etwas Magisches an sich. Alle drei Höhlen sind seit 1929 Naturdenkmale: Die Narusawa-Eishöhle hat nicht ohne Grund ihren Namen, denn darin herrschen Temperaturen, die im Sommer für Abkühlung sorgen, und so dient die Höhle auch als natürlicher Kühlraum für Seidenspinner-Kokons.

Narusawa-Eishöhle
In der Narusawa-Eishöhle. © Photo AC / RERE0204

Auch die Fugaku-Windhöhle ist für frostige Temperaturen bekannt, man kann dort unter anderem beeindruckende Eisstalaktiten betrachten. Eine weitere Besonderheit der Fugaku-Windhöhle ist das Fehlen eines Echos, da die Basaltwände der Höhle dieses verschlucken. Die Drachenpalasthöhle ist leider für Touristen nicht zugänglich, da diese eine besondere, religiöse Bedeutung hat und zudem Einsturzgefahr besteht. Für Menschen mit Arachnophobie ist die Höhle sowieso nicht geeignet, denn sie beherbergt seltene Spinnenarten, die sich an die extrem kühlen Temperaturen angepasst haben.

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Die Schattenseiten des Waldes

Mit der beeindruckenden und reichhaltigen Natur hat der Aokigahara genügend Gründe, um zu glänzen. Allerdings werden diese Naturschönheiten von den tragischen Berichten über die zahlreichen Selbsttötungen überschattet. Der Name des Waldes liefert im Internet seitenlange Suchergebnisse, welche sich ausschließlich damit beschäftigen. Aokigahara ist ein Begriff geworden, welcher nicht mehr den Wald zu beschreiben scheint, sondern einen düsteren Ort, voller Leid und fragwürdiger Sensation.

Das ist zum großen Teil verschiedenen Medien zu verdanken, die sich mit der Thematik beschäftigen. Ein fragwürdiges Beispiel hierfür ist das Buch „Kanzen jisatsu manyuaru (engl.The Complete Manual of Suicide) von Tsurumi Wataru. Das Buch wurde 1993 veröffentlicht und mit über einer Million verkauften Einheiten ein japanischer Bestseller. Darin wird der Aokigahara als Ort für einen Suizid empfohlen. Bücher wie dieses geben dem Mythos des „Suizidwaldes“ Stoff und sorgen für dessen traurige Popularität.

Auch westliche Filmschaffende nutzen den Wald als Schauplatz und verpacken diesen in Filmen wie „The Sea of Trees“ (2015) oder „The Forest“ (2016). Doch auch online erhielt der Ort große Aufmerksamkeit: 2017 veröffentlichte Logan Paul, ein bekannter amerikanischer Influencer, ein YouTube-Video, in dem er mit seiner Crew im Aokigahara-Wald umherwanderte. Er filmte ausführlich auf die Leiche eines unbekannten, jungen Mannes, machte geschmacklose Witze und nutzte sogar (zensierte) Bilder der Leiche als Vorschaubild für das YouTube-Video. Das Video erreichte über 6 Millionen Klicks, bevor es von der Plattform entfernt wurde.  Nach einer heftigen Protestwelle entschuldigte er sich öffentlich.

Die Suizid-Thematik beschäftigt auch lokale japanische Behörden und geschulte Freiwillige. Diese streifen durch den Wald, sprechen mit Suizidgefährdeten oder sammeln Hinterlassenschaften wie verlassene Zelte auf. Außerdem gibt es überall Schilder, auf denen „Das Leben ist kostbar“ geschrieben steht, mit Hinweisen auf die Telefonseelsorge.

Durch diese traurige Geschichte überwiegt die düstere Atmosphäre des Waldes. Dabei bietet die wunderschöne Natur mit ihrer artenreichen Flora und Fauna, den Naturdenkmalen und der beruhigenden Stille eine Vielzahl an Gründen, diese in den Fokus zu rücken und zu genießen. Hoffentlich weicht die makabre Faszination bald einer Leidenschaft für diesen idyllischen Lebensraum für Mensch und Tier in einem Meer aus Bäumen.


Wenn Sie depressiv sind oder suizidale Gedanken haben, können Sie sich telefonisch an die folgenden Hilfestellen wenden.

Info-Telefon Depression:

  • 0800 / 33 44 533
    • Mo, Di, Do: 13:00 – 17:00 Uhr
    • Mi, Fr: 08:30 – 12:30 Uhr

Telefonseelsorge:

  • 0800-111 0 111 / 0800-111 0 222
    • rund um die Uhr und kostenfrei

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