Bis ins 7. Jahrhundert aßen die Japaner:innen alle Arten von gejagten Tieren: Kühe, Schweine, Hirsche, Hühner, Pferde oder sogar Affen und Hunde. Doch mit dem Einfluss des Buddhismus, der die Wiedergeburt betont, veränderte sich auch die Esskultur. Im Jahr 675 erließ Kaiser Tenmu ein Gesetz, das den Verzehr von Fleisch verbot und Säugetiere schützte. Folgende Kaiser:innen betonten die Idee der buddhistischen Lehre, dass das Töten falsch sei, und die der Reinheit aus dem Shintoismus, in der Blut und tote Körper als unrein gelten. Das Essen von Tieren wurde in logischer Konsequenz von Teilen der Bevölkerung als unappetitlich stigmatisiert. Auch wenn die Vorschrift nicht immer von allen streng befolgt wurde (insbesondere von der wohlhabenden Aristokratie) und manche tierischen Produkte als Medikamente gehandelt wurden, ist der Fokus auf pflanzliche Erzeugnisse sowie Produkte aus dem Meer bemerkenswert für die Geschichte. Erst mit der Regentschaft von Kaiser Meiji (1867-1912), der eine Industrienation aufbauen wollte, kam es zu einem Umdenken. Er strebte die Modernisierung des Landes nach westlichem Vorbild an und förderte den Konsum von Fleisch und Milchprodukten als Mittel zur Verbesserung der körperlichen Stärke der Bevölkerung. Dieser radikale Wandel in der Politik markiert auch den Beginn der heutigen vielfältigen japanischen Küche: Es erscheint nicht konträr, dass ein Tōfu oder Gemüse-Burger auch Fleisch enthalten kann. Warum sollte man Zutaten nicht kombinieren?
Pflanzliche Ernährung in Japan
Laut Umfragen ernähren sich heutzutage rund 6 % der japanischen Bevölkerung vegetarisch oder vegan. Es gibt eine steigende Zahl an veganen Restaurants, die mit gutem Geschmack, den gesundheitlichen Vorteilen ihrer pflanzlichen Gerichte und einer ausgewogenen Ernährung werben. Das Marketing richtet sich damit nicht speziell an Vegetarier:innen oder Veganer:innen, sondern spricht Suchende der guten Küche an. Es ist nicht die bloße Tatsache, dass ein Gericht pflanzlich ist, die es zu etwas Besonderem macht; ebenso wenig wie der Einsatz tierischer Produkte automatisch guten Geschmack garantiert. Entscheidend sind die Form der Zubereitung und die Qualität der Zutaten – gerade darin glänzt Kyōto: Von allen Städten in der Kansai-Region ist die alte Kaiserstadt ein Paradies für alle, die Gemüse lieben!
Kyōto-Gemüse: Eine stolze Tradition
Die Region blickt auf eine lange und stolze Geschichte des lokalen Gemüseanbaus zurück. Eine Spezialität ist kyōyasai – das „Kyōto-Gemüse“, welches in ganz Japan als renommierte Marke bekannt ist. Das Gemüse zeichnet sich durch hervorragende Qualität sowie einen hohen Nährstoffgehalt aus und soll laut Studien im Vergleich zu anderen Gemüsesorten reicher an Vitaminen, Mineralien und Ballaststoffen sein. Doch welches Gemüse darf sich mit diesem Titel schmücken? Im Jahr 1974 begann die Regierung mit der Konservierung von kyōyasai-Saatgut. Damals definierte sie 37 Sorten als traditionelles Gemüse der Präfektur Kyōto. Zwei dieser Sorten (Kori-Daikon und Tojii-Kabu) sind heute ausgestorben. Um als „traditionelles Gemüse“ zu gelten, muss die Pflanze aus der Präfektur stammen und vor der Meiji-Zeit, also vor 1868, eingeführt worden sein – wobei grundsätzlich Pilze und Farne ausgenommen sind. Seit 1989 zertifizieren Behörden Gemüsesorten zusätzlich als Markenprodukt kyōyasai und arbeiteten mit Landwirtschafts- und Vertriebsverbänden zusammen, um den Absatz zu steigern. Zurzeit sind 31 Produkte im Verkauf mit einem rot-gelben Logo zertifiziert, das den Buchstaben „K“ repräsentiert. Bei der modernen Vermarktung gelten strengere Kriterien: Im Vergleich zu anderen lokalen Produktionsgebieten muss eine gewisse Originalität vorhanden sein. Außerdem müssen umweltfreundliche Anbaumethoden mit einem reduzierten Einsatz von chemischen Düngemitteln zum Einsatz kommen sowie die Produzenten eindeutig identifiziert werden. Es gibt Überschneidungen zu den traditionellen Gemüsesorten, doch unter dem Schirm der Marke werden beispielsweise auch zwei Meeresprodukte verkauft. Kyōyasai kann insgesamt als das kulinarische Äquivalent eines guten Weins verstanden werden und wie dieser hat jede Sorte seine eigene Persönlichkeit.
Buddhistische Tempelküche: shōjin ryōri
Ein bedeutender Bestandteil der pflanzlichen Ernährung in Kyōto ist die buddhistische Küche, bekannt als shōjin ryōri, die in vielen Tempeln der Stadt angeboten wird. Diese hat ihren Ursprung in der Mönchstradition und wird seit Jahrhunderten praktiziert. Die Mönche suchten eine Ernährungsform, die sich mit ihren spirituellen und ethischen Überzeugungen vereinbaren ließ. Shōjin ryōri betont Einfachheit, Harmonie und Respekt vor allen Lebensformen.
Charakteristika von shōjin ryōri
Dieser Artikel erschien in der JAPANDIGEST Oktober 2024-Printausgabe und wurde für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.
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