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Buchrezension: KAISEKI – Die Weisheit der japanischen Küche

Nils Gärtner
Nils Gärtner

Im Gegensatz zur europäischen Haute Cuisine werden im Kaiseki, dem Inbegriff der japanischen Hochküche, die Schlichtheit und Natürlichkeit des Essens gefeiert. Wie dies mit der heutigen Gastronomie zu vereinbaren ist, ergründet Malte Härtig in seinem neuen Buch.

Kaiseki Cover small

In seinem Buch „Kaiseki: Die Weisheit der japanischen Küche“ setzt sich der Koch und Philosoph Malte Härtig mit der grundlegenden Erkenntnis des Kaiseki auseinander: Es ist, wie es ist und die Dinge sind so, wie sie sind. Diese Vergegenwärtigung mag erst mal trivial erscheinen, doch ist sie der Schlüssel, um die mit Reduziertheit gepaarte Ruhe des Kaiseki fassbar zu machen.

So stellt der Autor die sein Buch durchziehende Frage, wie die japanische Küche mit dieser Erkenntnis umgeht. Wie genau schmälert man Dinge und Zutaten auf ihr Wesentliches und was genau sei denn überhaupt die Essenz einer Sache?

Auf Beirat eines japanischen Philosophen beginnt Härtig Antwort auf diese Fragen in der japanischen Teezeremonie zu suchen. Er begibt sich also in die Geburtsstätte der klassisch japanischen Kultur, Kyōto, nimmt an einem Teezeremoniekurs teil, besucht Kaiseki-Restaurants und ergründet Zubereitungsarten von elementaren Zutaten der Kaiseki-Küche. Während seiner Nachforschungen erfährt der Autor weiterhin mehr über den Ursprung des Kaiseki, dessen damalige Grundzüge noch heute in der Zeremonie erhalten bleiben: Einfachheit, Bedachtsamkeit, Stille und die übergeordnete Rolle des Matcha-Tees. Diese Basis der Teezeremonie aufgreifend, widmet sich die Kaiseki-Küche einer Melange aus bis ins letzte Detail ausgesuchter und dem Anlass gebührender Zutaten, einer speziell hergerichteten Atmosphäre und den anmutig ritualisierten Handlungs- und Darreichungsabläufen des Gastgebers.

Kaiseki: Japans Haute Cuisine, frisch dahingeträumt auf KyūshūKaiseki ryōri ist Japans höchste Kochkunst, saisonal und virtuos arrangiert. Das Restaurant Ōhara chaya auf Kyūshū hat Kaiseki von seiner st...22.03.2017

Während seiner Reise begegnet Härtig einigen Widersprüchen in der Translation des Kaiseki von der Teezeremonie hin in die Welt heutiger Restaurants: Wie kann ein Restaurant den artistischen Spagat zwischen kommerzieller Viabilität eines gehobenen Standards und traditionell „einfachem“ Essen schaffen? Ganz zu schweigen von der Herausforderung, ausschließlich kleine Portionen von Speisen zu servieren, welche die Essenz der Dinge selbst, in all ihrer natürlichen Schönheit, aufzeigen und den Gast gleichzeitig gesättigt nach Hause gehen lassen. Und was macht Essen überhaupt „einfach“? Den Widerspruch kann Härtig zunächst nicht auflösen, sieht darin aber eine Lebendigkeit und Chance, die Tradition des Kaiseki weiterzuentwickeln.

Etwas jedoch stellt der Autor fest: Trotz der Simplizität und Geringheit der Speisen, wirkt das Tablett, auf welchem diese serviert werden, keinesfalls leer. Durch ein geschicktes Spiel mit den Leeren zwischen den Mählern und Essensutensilien kommt ein Gefühl der perfekten Fülle zum Ausdruck. Auch hier wird sich einem Prinzip des Zen bedient, der „Fülle des Nichts“, um dem Essen ein Maximum der schlichten Eleganz und natürlichen Schönheit zukommen zu lassen.

Malte Härtig © Jule Frommelt

Eine weitere vermeintliche Unvereinbarkeit zwischen dem altherkömmlichen Tee-Kaiseki und dem der Kaiseki-Küche findet Härtig im hohen metaphysischen Anspruch des ersteren. Hier soll eine direkte zwischenmenschliche Beziehung, von Herz zu Herz, unter den Gästen und mit dem Gastgeber, durch die Ästhetik, Bedachtsamkeit und gleichzeitige Effizienz der beiderseits ausgeführten Rollen entstehen. Wie also soll ein Spitzenrestaurant, welches schließlich u.a. auf der Motivation des Kommerz operiert, eine solch intime Verbindung überhaupt herzustellen vermögen? Zu diesem Puzzle scheint der Autor jedoch eine teilweise Antwort im Ablauf eines Kaiseki-Essens gefunden zu haben: Betritt man ein Kaiseki-Restaurant, wird man rasch von den Ablenkungen des Alltags befreit. Im privaten Esszimmer gibt es nur einige wenige Dekorationen. Das Material des Raumes und der Gegenstände scheint auf den Blick schlicht, doch deren versteckte, hochwertige Qualität lädt subtil und still alle Sinne dazu ein, sie aufs Genaueste zu betrachten. An dieser Stelle, so der Autor, hat das Kaiseki-Essen schon längst begonnen. Die einzigartig friedvolle Atmosphäre bereitet den Boden, das anstehende Mahl mit einer angemessenen Mentalität zu genießen und zu würdigen. Die über vorhandene Dinge hergestellte, indirekte Verständigung des Gastgebers zum Gast wird im Höhepunkt des Besuchs fortgeführt, dem Essen; ein weiterer Widerspruch zur Teezeremonie offenbart sich. Der starre Ablauf und die von vorn bis hinten durchgeplante Rollenverteilung in Kaiseki-Ritualen, sei es in der Teezeremonie oder im Restaurant, welche vermeintlich keinen Spielraum für Kreativität offenlassen, sind für Härtig ein weiterer, sehr wichtiger Bestandteil für die zwischenmenschliche Verbindung und spontane Schönheit, welche so entstehen kann und soll.

 

Die zufällige Schönheit des Augenblicks, welche ihn als momentan perfekt erscheinen lassen, beschreibt der Autor anhand eines Beispiels: Im Kaiseki benutzt man gerne makelbehaftete, wenig oder gar nicht glasierte Teeschalen. Die rau-erdige Farbe des Tons soll an eben diese erinnern und so dem Trinkenden helfen, die natürliche Ästhetik der Schale zu bewundern, sich fragend wie, wo, von wem und unter welchen Umständen diese hergestellt wurde. Da die sprachliche Kommunikation nicht notwendig ist und eine tranquile Umgebung für Konzentration sorgt, hat man Zeit und Vergnügen, sich solchen Fragen zu widmen. Beim Brennprozess der Teeschalen kann es nun sein, dass Asche aus dem Feuer hoch an die Keramik fliegt, sich dort anheftet und durch die hohen Temperaturen schmilzt. Durch diesen willkürlich ablaufenden Prozess entsteht ein winziges Stück Glasur an der Schale, was sie nach dem Brennvorgang umso einzigartiger werden lässt – eine zufällige Schönheit.

Neben der Teeschale untersucht Härtig weitere elementare Zutaten des Kaiseki und ergründet deren Ursprung, Zubereitungsart und Bedeutung für das Kaiseki. Diese Dimensionen werden vom Autor illustrativ und anekdotisch ausgeführt und untermalt, welche den Inhalt greifbar und einfach nachvollziehbar machen. Dahingehend läuft man beim Lesen kaum Gefahr, in allzu abstrakte Gedankenwelten abtauchen zu müssen. Nur wenn Härtig seine eigenen perfekten Momente der Anerkennung und der Wertschätzung für die einfachen, kleinen Dinge des Kaiseki beschreibt, die er auf seiner Reise erfährt, kann man ohne selbst diesen Augenblick genossen zu haben, dessen Wichtigkeit für das Verständnis von Kaiseki nur schwer nachfühlen. Dies sei dem Autor jedoch verziehen. So handelt es sich bei diesen Epiphanien schließlich um tiefst emotionale und intime Erfahrungen, welche man, wie man so schön sagt, selbst erlebt haben muss.

Härtigs Buch „Kaiseki: Die Weisheit der japanischen Küche“ sei damit jedem empfohlen, der gerne mehr über die Mentalität der japanischen Kaiseki-Küche und vielleicht auch die japanische Seele selbst erfahren möchte. Trotz seines philosophischen Hintergrunds bleibt Härtigs Ausdrucksweise dabei sachlich und verständlich, was der Zugänglichkeit seines Werks zugutekommt. Die teils sehr schönen bildlichen Vergleiche japanischer und europäischer Denk- und Lebensweisen (Bambus – Eiche; Metall – Plastik) und die nicht zu ausführlich umrissenen, aber dennoch immersiven Geschichten, zeugen von einer klaren Begeisterung für die japanische Kultur und einer Offenheit für neue Betrachtungsweisen.


Malte Härtig – Kaiseki: Die Weisheit der japanischen Küche

Taschenbuch, 128 Seiten

Verlag: mairisch mono

ISBN: 978-3-938539-52-1

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