Die Straßen der einstigen Megametropole Tōkyō wirken gespenstisch: Kein Mensch ist zu sehen und eine beängstigende Stille ist den Großstadtklängen gewichen. Eine beklemmende Atmosphäre liegt in der Luft und hinter jeder Ecke lauert die Gefahr. Eine Menschenseele wandert jedoch durch die Stadt, die zwar ihre Einwohner verloren hat, nicht jedoch ihren unvergleichlichen Charme. In „Ghostwire: Tokyo“ schlüpft man als Spieler in die Rolle von Akito. Er ist einer der wenigen, überlebenden Menschen eines noch unbekannten Desasters. Akito verbündet sich zu Beginn des Spiels, als die Geister in Tōkyō einmarschieren, mit dem Geist des ehemaligen Ermittlers KK. Sie verfolgen beide das gleiche Ziel: Dem Mysterium hinter den Ereignissen auf die Spur zu kommen und letzten Endes die ganze Stadt zu retten.
Leer, offen und überladen: Die Spielwelt
Die stilsicher und atmosphärisch beeindruckend inszenierte Stadt Tōkyō ist nicht nur namensgebend, sondern auch das Aushängeschild des Abenteuers. In den verregneten Straßen reflektieren die Neonlichter in den Pfützen, während einsam herumwehende Plastiktüten, und auf dem Boden liegende, verschlissene Kleidungsstücke an vergangene Zeiten erinnern. Läuft man durch das virtuelle Ebenbild der japanischen Hauptstadt, so bekommt man aufgrund der Detailverliebtheit und akkuraten Darstellung bekannter Sehenswürdigkeiten schnell das Gefühl, sich tatsächlich in Tōkyō zu befinden. Genau wie in der realen Millionenmetropole, hat man auch virtuell eine Vielzahl an Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben. Seien es Nebenmissionen, die erledigt werden wollen oder Geisterseelen, die erlöst werden möchten.
Ghostwire: Tokyo bietet viele Fleißaufgaben und noch mehr Symbole auf der Spielkarte, die abgehakt werden möchten. Dies ist auch schon der erste Kritikpunkt: Die Karte wirkt überladen und das Erledigen der Aufgaben fühlt sich schnell an wie mühselige Arbeit. Die Nebenmissionen sind mal mehr, mal weniger interessant und dienen, wie die meisten Aufgabenstellungen, nur dem Zweck, zusätzliche Erfahrungspunkte zu erlangen. Das ist zwar hilfreich und vereinfacht die Kämpfe, aber nicht unbedingt notwendig. Denn der Schwierigkeitsgrad von Ghostwire: Tokyo ist mehr als fair und könnte geübte Spieler sogar unterfordern.
Mit Fingerspitzengefühl gegen japanische Geistwesen
Durch die Verschmelzung mit dem Geist von KK erhält man als Spieler verschiedene Kräfte, mit denen man sich gegen die Gegner zur Wehr setzen kann. Von diesen gibt es eine Vielzahl, denn auch wenn die Stadt menschenleer erscheint, so ist diese nun von vielen feindseligen Yōkai bewohnt.
Vollkommen ausgeliefert ist man den Yōkai jedoch nicht: Akito bedient sich am sogenannten „Schneiden der neun Zeichen“ (jap. kuji kiri, 九字切り). Dabei handelt es sich um eine Abfolge von einstudierten Handgesten, denen man entsprechende Kräfte zuspricht. Durch die Anwendung dieser Technik hat man als Spieler die Macht, Gegnerhorden in Schach zu halten.
Die Attacken selbst erinnern dabei an Waffen, die man bereits aus anderen Videospielen kennt, insbesondere denen, die dem Ego-Shooter-Genre[1] zugeschrieben werden. Die grüne Wind-Kraft ist ein Schnellfeuer, während die blaue Wasser-Kraft mehrere Gegner auf einmal ins Visier nimmt und dabei an eine Schrotflinte erinnert. Die stärkste Kraft ist die des Feuers, welche explosiven Schaden hervorruft. Dies ist stimmungsvoll und visuell beeindruckend dargestellt und wirkt dabei wie eine Art „Fingerfäden“, mit denen man die Gegner bekämpft. Allerdings nutzt sich die anfängliche Begeisterung schnell ab, da sich die Visualisierungen zu oft wiederholen und dabei die Innovationsarmut offenbaren.
Die genannten Wiederholungen sind ein weiterer Kritikpunkt, der nicht außer Acht zu lassen ist. Der Spieletitel, die Horden an verschiedenen Yōkai und die dunkle, atmosphärische Stimmung lassen einen Horrortitel vermuten. Doch Horror kommt während der gesamten Spielzeit kaum auf. Tōkyō als Schauplatz ist eine hauptsächlich leere Kulisse (die zugegebenermaßen beeindruckend aussieht), die Yōkai dienen als Kanonenfutter und treten in Gruppen auf, die jeglichen Grusel im Keim ersticken. In Ghostwire: Tokyo ist kein Platz für Angst, denn es ist ein Schlachtfeld, auf dem jeder der Feind ist.
Technische Glanzleistung
Technisch gesehen macht das Spiel eine äußerst gute Figur. Dadurch, dass es der Großstadt an Menschen fehlt, konnten sich die Entwickler vollkommen auf eine schicke Spielwelt fokussieren. Spiegelungen auf den verregneten Straßen und bunte Lichter erzeugen eine einzigartige Stimmung. Zudem sieht nicht nur die Spielwelt fantastisch aus, auch Figuren, Gegner und Animationen sind sehr gut in Szene gesetzt. In den Spieleinstellungen kann man sich für verschiedene Darstellungsoptionen entscheiden und grundsätzlich bietet Ghostwire: Tokyo ein flüssiges Gesamterlebnis.
Hervorzuheben ist beim Spiel mit der PlayStation 5 das Einbinden des komplexen PlayStation 5-Controllers, der es ermöglicht, dass man beispielsweise die Stimme des Ermittlers und „Mitbewohners“ von Akito aus dem Controller heraus hören kann, aber auch Angriffe durch die Motorik der Schultertasten unterschiedlich „schwer“ auszulösen sind. So bekommt man ein Gespür für die Wuchtgewalt bestimmter Attacken, das beim Spiel am PC leider fehlt.
Fazit
Ghostwire: Tokyo ist ein visuell beeindruckender Titel, bei dem viel Wert daraufgelegt wurde, japanische Folklore, Kultur und Moderne in einem Gesamtwerk zu vereinen. Leider schwächelt der Titel aufgrund der mittelmäßigen Geschichte, den monotonen, repetitiven Kämpfen und einer auffälligen Innovationsarmut. Ghostwire: Tokyo ist zwar ein durchschnittliches, aber dennoch unterhaltsames, weil kurzweiliges Spielerlebnis.
Ghostwire: Tokyo ist seit dem 25.03.2022 für PlayStation 5 und PC erhältlich. Systemvoraussetzungen für den PC: Windows 10 64 BIT Version 1909 oder höher. Außerdem ist eine Breitband-Internetverbindung und ein Konto bei Steam oder eines für den Epic Game Store erforderlich.
[1] Computerspiel-Genre, bei dem der/die Spieler*in aus der Ich-Perspektive in einem dreidimensionalen Raum Gegner mit Schusswaffen bekämpft.
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