Um sich den westlichen Gewohnheiten anzupassen, wurde Akira in gespiegelter und kolorierter Version veröffentlicht. 1997 traf der Verlag aber eine Entscheidung, die sehr mutig war: Dragon Ball erschien in japanischer Leserichtung.
Zum Gesprächspartner
Kai-Steffen Schwarz, Jahrgang 1970, studierte Germanistik, Politologie und Massenkommunikation in Gießen und Wisconsin-La Crosse/USA. Seit 1998 ist er beim Carlsen Verlag tätig, anfangs in der Comic-Redaktion und später im Vertrieb. Im Jahr 2005 übernahm er die Programmleitung für den Bereich Manga.
Geführt wurde das Interview von Iwamoto Junko für die Ausgabe des JAPANDIGEST 2013 und für die Online-Ausgabe von Hannah Janz nachbereitet.
Sie sind seit 2005 Programmleiter des Bereichs Manga beim Carlsen Verlag und für die Titelauswahl des Manga-Sortiments verantwortlich. Welche Entwicklungen gab es bis 2013 und welche Tendenzen können Sie absehen?
Carlsen veröffentlicht ja schon seit 1991 Manga, die erste Serie war damals AKIRA und erschien noch in westlicher Leserichtung, zudem in kolorierter Fassung. Seit DRAGON BALL (1997) veröffentlichen wir fast alle unserer Manga originalgetreu in schwarzweiß und japanischer Leserichtung.
Carlsen verlegt jährlich ca. 190 Manga-Neuheiten, die sich auf viele Serien verteilen. Alle deutschen Manga-Anbieter zusammen bringen es aktuell auf etwa 700-800 Neuerscheinungen jährlich. Man kann sagen, dass sich das hiesige Manga-Angebot im Laufe der Jahre kontinuierlich weiterentwickelt hat. Seit ich das Manga-Programm bei Carlsen verantworte, hat sich z.B. die Zahl unserer Lizenzgeber stark erweitert, zumeist entlang der Leserwünsche. Das Besondere am deutschen Markt ist, dass hier der Anteil der weiblichen Fans mit ca. 65% deutlich größer ist als die männliche Leserschaft.
Veröffentlichen Sie heute mehr Erwachsenen-Manga als früher?
Wir wissen, dass über die Jahre viele Leser dem Medium Manga treu bleiben; das „Durchschnittsalter“ der Leserschaft liegt inzwischen über 18 Jahren. Wir merken, dass die mitgewachsenen Leser heute zunehmend nach Titeln für ältere Leser („Ab 16 Jahren“) greifen. Der Markt der Seinen– und Josei-Manga baut sich also auf, aber nur langsam – die Verkäufe sind hier bei Weitem noch nicht so hoch wie bei den Dauerbrennern wie DRAGON BALL, ONE PIECE oder VAMPIRE KNIGHT.
Was ist die Besonderheit des deutschen Manga-Marktes?
Der französische Manga-Markt ist z.B. viel größer als der Deutsche, dort erscheinen etwa doppelt so viele Manga-Neuheiten und es gibt viel mehr Verlage, die Manga publizieren. Die ganz großen Hits wie NARUTO & Co. sind auch auf anderen westlichen Märkten erfolgreich. Unterschiede zwischen den Märkten gibt es aber durchaus: nicht jeder japanische Manga-Hit wird bei uns zum Bestseller. Zugleich gibt es Serien und Mangaka, die bei uns vergleichsweise erfolgreicher sind als in Japan: die Titel von Higuri Yū etwa, oder aktuell die Serie DEFENSE DEVIL, die sich in Japan eher mittelmäßig verkaufte, in Deutschland aber zu den Top Ten gehört.
Gibt es einen Anstieg beim deutschen Manga-Zeichner-Nachwuchs?
Es gibt im deutschsprachigen Raum rund 30 Mangaka, die schon professionell bei Verlagen veröffentlicht haben. Allein vom Verkauf der Bücher zu leben ist in Deutschland aber leider extrem schwer, man braucht mehrere Standbeine. Zudem haben die wenigsten deutschen Mangaka Assistenten, so dass sie länger brauchen, um einen Band fertig zu zeichnen. Viele studieren noch oder haben einen anderen Job zum Geldverdienen und zeichnen ihre Manga am Feierabend.
Die japanische Jugend- & Popkultur rund um Manga und Anime ist ebenfalls in Deutschland angekommen. Was ist besonders beliebt bei den Deutschen?
Sehr beliebt bei Kindern sind natürlich Sammelkarten und Games (z.B. POKEMON), die meist crossmedial vermarktet werden. Das japanische Merchandise-Angebot scheint mir in Deutschland dagegen eher klein. Extrem beliebt – schon seit einem Jahrzehnt – ist Cosplay, wie man auf Buchmessen und Conventions sehen kann. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sich jeder selbst mit seinen Fähigkeiten einbringen kann (die Kostüme sind meist selbst gebastelt), es ein sehr kommunikatives Hobby ist und es auch Freunde, die weit auseinander wohnen, zu Events zusammenbringt.
Denken Sie, der größte Manga-Boom ist nun vorbei und Manga sind ein fester Bestandteil der deutschen Jugendkultur geworden?
Der große Manga-Boom war um die Jahrtausendwende, DRAGON BALL und SAILOR MOON waren der „Urknall“, weil förmlich aus dem Nichts ein Markt entstanden ist und Manga & Anime rasch viele Jugendliche begeistert haben. Von einem „Boom“ würde ich heute nicht mehr sprechen, eher von einem längst etablierten Markt, der über die letzten Jahre sogar wieder deutlich gewachsen ist. Trotz legaler und auch illegaler Angebote im Internet werden bei uns nämlich wieder mehr Manga-Bücher verkauft als noch vor fünf Jahren. Es ist „normal“ geworden, als Kind und Jugendlicher mit Manga und Anime aufzuwachsen.
Hat Manga auch die deutschen Comiczeichner und Künstler beeinflusst?
Mit Sicherheit – allerdings nicht so stark, dass diese ihre Arbeitsweisen komplett „japanisiert“ hätten. Ich bin aber sehr gespannt, welche grafischen und erzählerischen Formen in den nächsten Jahren entstehen werden. Vielleicht stehen wir heute schon am Anfang neuer Entwicklungen ohne es zu merken: manche einheimischen Mangaka, wie Melanie Schober, veröffentlichen plötzlich lieber in westlicher Leserichtung. Ein weiteres Beispiel ist Christina Plaka, die in ihrem Manga KIMI HE – WORTE AN DICH keinen „typischen Shōjo-Manga“ vorlegt, sondern ihre eigenen Lebenserfahrungen mit einbringt und sich auch grafisch ganz anders zeigt als man es von ihr bisher gewohnt war.
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