Was mir besonders auffiel, als ich nach Deutschland kam, war nicht die unterschiedliche Größe des Marktes für Manga in Deutschland und Japan, es war die unterschiedliche Wahrnehmung des Mediums in beiden Ländern. Mein Eindruck ist, dass Manga in Deutschland oft sowohl als Kunst als auch als Unterhaltung angesehen wird, während es Japan hauptsächlich als Massenmedium gilt. So betrachten sich auch die Zeichner in Deutschland oft als Künstler, während sie sich in Japan eher als Handwerker fühlen.
Ich wünsche mir, dass in Deutschland mehr ernsthafte und gleichzeitig unterhaltsame Manga publiziert werden, und in Japan Manga als Kunst mehr Anerkennung findet. Wenn man die internationale Entwicklung von Manga betrachtet, erkennt man, dass sich vor allem seit dem 19. Jahrhundert Manga weltweit gegenseitig beeinflusst haben. Man darf nicht vergessen, dass deutsche Zeichner wie Wilhelm Busch in der Historie der anfänglichen „Bildergeschichten“ (die damals noch nicht Comics genannt wurden) einen sehr wichtigen Platz eingenommen haben.
Leser in Deutschland sowie in anderen Ländern Europas entwickeln spätestens seit dem ersten Manga-Boom Ende der 1990er einen eigenen Blick für Manga. Während der japanische Manga-Leser hauptsächlich japanische Manga liest, von denen man in Japan förmlich überschwemmt wird, kommen deutsche Leser immer auch mit Manga aus verschiedenen anderen Ländern in Kontakt. Dabei entwickelt man einen eigenen Geschmack, der für einen Zeichner von großer Bedeutung ist. Ich bin sehr gespannt, wie sich deutsche Zeichner in Zukunft entwickeln, und ich freue mich sehr darauf, von ihren Werken fasziniert zu werden.
ZUR AUTORIN: Karin Nagao. Geboren 1980 in Osaka, seit 2003 wohnhaft in Berlin. Manga-Zeichnerin und Übersetzerin Japanisch-Deutsch. Leitet Workshops zum Thema Manga und Japan.
Der Artikel von Karin Nagao erschien im JAPANDIGEST 2012. Für die Online-Ausgabe nachbearbeitet wurde er von Hannah Janz.
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