Die Olympischen Spiele sind mittlerweile vorbei. Was ist aus den Single-Frauen geworden, die Ihnen als Vorbild für die „Tokyo Girls“ dienten?
Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass sie durch die Lektüre des Mangas wirklich in Panik geraten sind, aber eine beträchtliche Zahl der „Tokyo Girls“ in meinem Umfeld hat sich aktiv auf die Partnersuche begeben und geheiratet. Sie haben sich nicht mehr gefragt, ob mit ihnen etwas nicht stimme oder darüber geklagt, dass sie keinen passenden Partner finden. Stattdessen hat der Gedanke, dass sie nicht unendlich viel Zeit haben und im Handumdrehen älter werden, anscheinend als Antrieb gewirkt. Es sind wirklich allesamt ganz zauberhafte Frauen, daher hatten sie keine Probleme, einen Partner zu finden, nachdem sie sich erstmal aufgerafft hatten.
Die “Tokyo Girls” im Manga stehen am Ende unabhängig davon, ob sie Single sind oder wie sie ihre Karriere gestalten, zu ihrem individuellen Lebensstil. Finden Sie, dass die Gesellschaft im Vergleich zu den Jahren 2013-2014, in denen der Manga spielt, Frauen um die 30 gegenüber toleranter geworden ist?
Ich bin auch zweimal geschieden und jetzt Single und finde daher nicht, dass man unbedingt heiraten muss, aber die Frauen um die 30 in meinem Umfeld suchten alle bei mir Rat, weil sie genau diesen Wunsch hatten, was mich überrascht hat. Dennoch veranstalteten sie ständig „Mädelsabende“ und ich dachte: „Das ergibt doch keinen Sinn!“ Natürlich habe ich nichts dagegen, wenn Frauen ohne Heiratswunsch sich andauernd zum Mädelsabend treffen. Heute, beinahe zehn Jahre später, schwärmen die um die Dreißigjährigen alle für BTS[1] oder andere Idols. Ich denke, dass heute mehr Liebesformen akzeptiert werden. Ich vermute, dass es in Zukunft immer mehr Menschen geben wird, denen es egal ist, ob sie mal heiraten. Ich bin auch K-Pop-Fan und finde das nicht schlimm. Die Jungs sind eben unwiderstehlich.
Der Manga erweckt den Eindruck, dass Tōkyō auch für Japaner:innen eine besondere Stadt ist. Was ist für Sie das Besondere an der Metropole?
Tōkyō ist die bevölkerungsreichste Stadt der Welt und voller junger Menschen, die vom Land in die Stadt gezogen sind. Wer dort behauptet, keinen Partner zu finden, wird nirgendwo auf der Welt einen finden – auch darum sollte es im Manga gehen. Selbst im digitalen Zeitalter gibt es Begegnungen, die man nur in Tōkyō haben kann.
Die Protagonistinnen aber auch die Situationen und Schauplätze wirken sehr real. Achten Sie im Alltag auf bestimmte Dinge, um Ihr Werk möglichst authentisch zu gestalten?
Da ich in Harajuku arbeite, habe ich mich bemüht, sowohl die Frauen, die dort unterwegs sind, als auch die Cafés, Bekleidungsgeschäfte und Bars so darzustellen, wie sie sind. Das gilt auch für die Mode und Kleidung der Frauen um die Dreißig. Vor 20 Jahren gab mir ein junger Redakteur mal folgende Anweisung: „Ihre weiblichen Figuren sind zu schlicht gekleidet, stellen Sie lieber eine ideale, glamouröse Welt dar, die sich von der Realität unterscheidet.“ In Wirklichkeit tragen aber alle eher simple Kleidung und ich wollte es auch so darstellen. Beim Zeichnen überlege ich mir genau, ob ein Kleidungsstück z. B. 30 oder 70 Euro kostet. Meine Figuren tragen auch keine Designertaschen.
In „Tokyo Girls“ ist die Izayaka-Bar ein wichtiger Ort für die Protagonistinnen. Was macht für Sie persönlich den Charme eines Izakaya aus?
Dies ist wohl vor allem in Asien üblich, aber für mich liegt der Charme eines Izakaya darin, dass man nach Lust und Laune viele kleine Portionen seiner Lieblingsspeisen verzehren und dazu etwas trinken kann. Außerdem kann man laut und ausgelassen sein, ohne dass sich jemand darüber ärgert.
Welche Orte in Harajuku und Omotesandō, wo „Tokyo Girls“ hauptsächlich spielt, sowie in Tōkyō allgemein sollte man besuchen?
In Harajuku und Omotesandō auf jeden Fall die Takeshita-dōri, wo es Crêpes, Tapioka und Regenbogen-Zuckerwatte gibt, die bei den Jugendlichen gerade sehr angesagt sind. Außerdem das Izakaya Hyōtan, denn das bietet besonders günstige und leckere Speisen und Getränke und diente als Vorbild für das Izakaya, das die „Tokyo Girls“ immer besuchen. Meine Assistent:innen gehen nach der Arbeit immer zum Tōgō-Schrein, den ich auch sehr empfehlen kann. Ich war wirklich überrascht, dass es mitten in der Großstadt so große Wasser- und Ochsenfrösche gibt. Man sieht hier sogar Füchse. In der Hochphase der Pandemie waren die Straßen von Harajuku menschenleer und die Füchse sind hier umhergeschlichen. Das ist wirklich passiert!
Generell würde ich Touristen unbedingt die Depa chika (unterirdische Feinkostabteilungen) ans Herz legen, besonders die der Kaufhäuser Mitsukoshi Ginza, Mitsukoshi Nihonbashi und Isetan in Shinjuku. Allein sich dort umzuschauen ist eine wahre Freude. Außerdem kann ich das Restaurant Sushi Zanmai empfehlen. Dabei handelt es nicht um ein Kaiten-Sushi-Restaurant, wo das Sushi am Fließband serviert wird, sondern um ein traditionelles Sushi-Lokal, das leckere Gerichte in der mittleren Preisklasse anbietet. Man bekommt dort auch Sake und eine englischsprachige Speisekarte. In jedem Bahnhof gibt es eine Filiale und weil ich Restaurantketten liebe, besuche ich diese auch häufig.
Ich habe gehört, dass Sie innerhalb Tokyos mehrmals umgezogen sind. Welche Gegend, in der Sie bisher gelebt haben, gefiel Ihnen am besten und warum?
Nakano: Am Nordausgang des Bahnhofs gibt es viele gute Izakayas.
Was verbinden Sie mit Deutschland und haben Sie eine Botschaft an Ihre Leser:innen hierzulande?
Als Mangaka hat man kaum die Möglichkeit, ins Ausland zu reisen, aber ich wollte schon immer mal ein deutsches Brauhaus besuchen. Außerdem würde ich gerne mal eine echte Schwarzwälder Kirschtorte probieren.
Übrigens habe ich neben „Tokyo Girls“ noch zahlreiche andere Mangas gezeichnet, die Sie unbedingt auch lesen sollten! Es sind, glaube ich, insgesamt ungefähr 120 Bände? Oder noch mehr? Obwohl ich so viele Werke herausgebracht habe, wird nur ein Bruchteil dessen im Ausland gelesen. Falls diese in Zukunft außerhalb Japans erscheinen sollten oder Sie irgendwie daran kommen, lege ich Sie Ihnen wärmstens ans Herz.
[1] Südkoreanische Boygroup.
„Tokyo Girls – Was wäre wenn?“ von Higashimura Akiko
Egmont Manga, in 9 Bänden abgeschlossen
Higashimura Akiko
Higashimura Akiko (*1975) hat in Japan schon zahlreiche Werke veröffentlicht. „Tokyo Girls“ erschien dort von 2014-2017 unter dem Titel Tōkyō tarareba musume und war so erfolgreich, dass es 2017 sogar eine TV-Adaption erhielt.
Dieses Interview erschien in gekürzter Fassung in der JAPANDIGEST September 2022-Printausgabe und wurde für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.
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