Den ersten Teil des Reise-Mangas Tōkyō Monogatari – Unterwegs durch Tōkyō mit Haga Shōichi finden Sie hier. Er stellt Museen und Parks im Stadtteil Ueno vor.
JAPANDIGEST: Shōichi, wie kam es, dass du Manga-Zeichner geworden bist?
Haga Shōichi: In meiner Studienzeit wollte ich Lehrer für Japanisch werden. Auf dieses Ziel hin habe ich vier Jahre auf Lehramt studiert, das Referendariat absolviert und bereits eine Zusage von einer Oberschule erhalten, bei der ich nach meinem Abschluss anfangen sollte. Ich wollte Lehrer werden, weil ich einen positiven Einfluss auf das Leben anderer ausüben wollte.
Dass ich aber schließlich doch Manga-Zeichner und nicht Lehrer geworden bin, liegt daran, dass ich das starke Gefühl hatte, durch die Arbeit als Manga-Zeichner Menschen auf einer tieferen Ebene erreichen zu können.
Außerdem wurde mir von Schülern einmal gesagt, dass meine Stimme so monoton klingt, dass man beim Zuhören einschläft. Da dachte ich mir, dass ich für den Lehrerberuf vielleicht nicht so geeignet bin (lacht).
Wenn du nun als professioneller Manga-Zeichner auf deinen Weg bis hierher zurückblickst, hat sich deine Einstellung zum Beruf des Manga-Zeichners verändert?
Bevor ich meine Leidenschaft zum Beruf gemacht habe, war mir nicht bewusst, wie lange es dauert, ein einziges Panel zu zeichnen. Wenn ich gewusst hätte, was für eine aufwendige Arbeit das ist, hätte ich vielleicht etwas mehr mit mir gerungen, als ich mich gegen den Lehrerberuf entschied.
Allerdings bedeutet das auch, dass ich dem Beruf des Manga-Zeichners womöglich mehr Respekt entgegen bringe, seitdem ich selbst einer geworden bin und weiß, wie hart diese Arbeit ist. Ich denke deshalb in letzter Zeit auch immer wieder, dass es wesentlich schwieriger ist, Manga-Zeichner zu bleiben, als es zu werden.
Wie sieht dein Alltag als Manga-Zeichner so aus? Erzähl uns doch bitte von deinem Tagesablauf.
Mein Arbeitsalltag sieht etwas anders aus als der der meisten Manga-Zeichner. Ich bin nämlich bei der Agentur Cork angestellt und arbeite dort im Büro an meinem eigenen Schreibtisch (Anm. d. Red.: Cork wurde 2012 gegründet und war die erste Agentur für Autoren in Japan überhaupt).
Kurz gesagt: Ich sitze umgeben von Redakteuren und zeichne. Wir unterhalten uns zwischendurch oder gehen zusammen zum Mittagessen. Wenn es allerdings daran geht, sich das name (Anm. d. Red.: So wird das Storyboard für einen Manga bezeichnet) auszudenken und ich praktisch von Null arbeiten muss, dann versumpfe ich auch schon einmal alleine zuhause oder ziehe von einem Café ins nächste und arbeite dort.
In solchen Fällen rede ich den ganzen Tag mit niemandem. Wenn ich meine Wahrnehmung der Außenwelt nicht so gut wie möglich ausschalte, fällt es mir schwer, richtig in die Welt des Manga einzutauchen.
Dein Manga Tōkyō Monogatari wurde nun ins Deutsche übersetzt. Wie fühlt es sich an, sein Werk mit anderen Schriftzeichen versehen, gar in einer anderen Sprache in den Händen zu halten?
Es berührt mich auf besondere Weise, dass es meinen Manga nun auch auf Deutsch gibt. Ich habe nämlich mit etwa vier Jahren aufgrund der Arbeit meines Vaters eine Weile in Deutschland gelebt. Ich erinnere mich zwar an nicht mehr viel aus dieser Zeit, aber bis heute weiß ich immer noch, was für ein furchtbares Gefühl es war, die Berliner Mauer anzufassen.
Direkt nach unserem Aufenthalt dort haben sich meine Eltern scheiden lassen und ich habe meinen Vater bis heute nicht wiedergetroffen. Deutschland ist für mich zwar eine weit entfernte Welt, aber auf eine Art auch ein mystischer Ort, mit dem wichtige Erinnerungen verbunden sind.
Wie suchst du nach Geschichten für Tōkyō Monogatari? Gehst du viel in Tōkyō spazieren? Oder basieren deine Ideen auf den Erzählungen von Freunden?
Eigentlich habe ich nie ein Problem, eine gute Story für den Manga zu finden. Meistens zeichne ich einen Ort, den ich kenne und dessen Atmosphäre ich einfangen möchte, sodass jede Zeichnung praktisch auf einer Erinnerung, die ich in dem Moment habe, basiert.
Ich mochte es schon immer, spazieren zu gehen. Als Student hatte ich reichlich freie Zeit und habe zum Beispiel an einem Tag zu Fuß die Strecke der Yamanote-Linie abgelaufen (Anm. d. Red.: Ringbahn, die die Stadtmitte Tōkyō s umläuft. Mit dem Zug dauert die komplette Umrundung ca. eine Stunde. Die Strecke ist 34,5 km lang). Oder ich habe sowas gemacht, wie es in einer Szene des Romans Mister Aufziehvogel von Haruki Murakami beschrieben wird. Dort steht: „Der Hauptcharakter steht am Kreisverkehr vor dem Bahnhof Shinjuku und tut nichts anderes, als den ganzen Tag die vorbeiziehenden Menschenmassen zu betrachten.“ … Ich hatte wirklich zu viel Freizeit als Student (lacht).
Du kommst ja aus der Präfektur Ibaraki. Was bedeutet „Tōkyō “ für dich?
In meiner Kindheit sind wir immer mit der Jōban-Linie gefahren, wenn wir von Ibaraki nach Tōkyō wollten. Nach Tōkyō rein fährt diese Linie durch Ueno, sodass Ueno für mich sozusagen zum „Tor Tōkyōs“ oder auch gleichbedeutend mit der Stadt wurde. Diesen Eindruck habe ich nie ganz ablegen können, weshalb ich auch die erste Szene in Tōkyō Monogatari in Ueno habe spielen lassen.
Bitte erzähl uns doch noch etwas mehr zu deiner Arbeit. Wer ist zum Beispiel dein Zielpublikum, für das du zeichnest?
Ich denke, dass Geschichten dazu da sind, den Lesern die Sorgen zu nehmen. In dem Moment, in dem man das Buch schließt, erstreckt sich vor einem etwas ganz anderes als die Landschaft, die man bis eben gesehen hat, und der Himmel wirkt etwas blauer als sonst… Dieses Gefühl durfte ich schon oft genießen, wenn ich eine fantastische Geschichte gelesen habe.
Die Fiktion gibt uns eine Energie, die unsere Herzen erneuert. Mein Ziel ist es, eine Geschichte zu Papier zu bringen, die genau das macht. Ich zeichne für jeden, der sich durch das Erleben von Geschichten selbst ändern möchte – selbst wenn es nur kleine Veränderungen sind.
Durch kleine Hinweise in deinen Bildern erfährt man einen Blickwinkel, der einen mit positiver Energie füllt. Worauf achtest du, wenn du für deine nicht-japanischen Leser zeichnest?
Ich nehme eigentlich gar nicht wahr, dass ich für Nicht-Japaner zeichne. Natürlich sammele ich Informationen zu kulturellen Aspekten der französischen und deutschen Leser – zum Beispiel, ob der Film Tōkyō Monogatari des Regisseurs Ozu Yasujirō dort beliebt ist.
Aber was ich zeichne oder welchen Charakter mit was für einem Ausdruck ich zeichne, da gehe ich genauso nach meinem Gefühl, wie ich es auch bei Zeichnungen für ein japanisches Publikum mache. Nur so werden die Zeichnungen auch wirklich welche aus meiner Feder.
Welche Manga-Zeichner bewunderst oder respektierst du?
Da gibt es viele. Aber besonders die Manga von Toriyama Akira kann ich noch so oft lesen und werde immer noch von ihnen mitgerissen. Ich frage mich jedes Mal wieder, wie er es schafft, solche Manga zu zeichnen.
Welchen Manga empfiehlst du unseren deutschen Lesern bei JAPANDIGEST?
Momentan bin ich nahezu süchtig nach dem Manga „Blue Giant“. Die Geschichte dreht sich um einen Jugendlichen, der Jazz-Musiker werden möchte. Im neusten Band ist der Schauplatz der Geschichte München!
Natürlich kann man die Musik beim Lesen eines Manga nicht hören. Aber die Zeichnungen haben eine solche Intensität, dass man das Gefühl hat, als würde Musik aus den Seiten des Buches erklingen.
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