Japan - mit dem zug von Nord nach Süd 19-Tage-Studienreise

Japans Gacha-Kultur: Das kleine Glück aus dem Automaten

Emma Miesler
Emma Miesler

Die Automaten mit den bunten, mit kleinen Schätzen gefüllten Plastik-Kugeln sind schon lange nicht mehr nur ein Gimmick für Touristen. „Gacha“ hat Japan erobert – und die Videospielwelt.

Gacha-Automat.
Gacha-Automat. © Photo AC / himawariin

In Deutschland sieht man sie nur selten – manchmal an den Ein- und Ausgängen von Supermärkten – dafür in Japan, insbesondere in Tokyo in Nerd-Vierteln wie Akihabara oder Ikebukuro, an jeder Ecke: Gacha-Automaten. Die kleinen, etwa hüfthohen Boxen, die oben einen durchsichtigen Kasten haben, in dem sich eine Vielzahl an bunten kleinen Plastik-Kugeln befindet. Ein paar Hundert-Yen Münzen einwerfen. Einmal am Rad drehen und hoffen, den Sonderpreis aus der Maschine zu ziehen. Der Begriff Gacha (oder auch Gachapon, der registrierte Markenname für die Maschinen des Marktführers Bandai) stammt von der Lautmalerei für das Rattern, was durch die Drehbewegung entsteht (gacha gacha) und das Geräusch, den die Kugel macht, wenn sie aus dem Automaten rauskommt (pon).

Die etwas anderen Spielsachen

Diese Automaten gibt es in Japan bereits seit den 1960er Jahren – als Importgut aus den Vereinigten Staaten, wo sie sich bereits großer Beliebtheit erfreuten. Den richtig großen Durchbruch hatte Gacha dann aber, als die Hersteller anfingen, Kollaborationen mit bekannten Animes oder Videospielen einzugehen und in den Kapseln lizensierte Spielfiguren zu verstecken. Bis heute hat sich eine richtige Gacha-Industrie entwickelt, mit eigenen Designer:innen die wöchentlich neue Figuren kreieren – und sich dabei nicht nur auf etablierten Franchise ausruhen, sondern auch mit lokalen Künster:innen kollaborieren oder alles Erdenkbare in Miniaturform nachbauen. Denn wer möchte nicht einen täuschend echt aussehenden Erdbeerkuchen als Schlüsselanhänger? Oder eine Gottesanbeterin als Stiftehalter? Oder einen Verlobungsring, der aussieht wie frittiertes Hühnchen? Auf den Gacha-Maschinen sind meist bunte Fotos von den möglichen Gewinnen angebracht, die zufällig aus dem Automaten kugeln können – manchmal mit dem Versprechen, dass man auch ein mysteriöses Design bekommen kann, dessen Aussehen nicht auf der Beschilderung verraten wird.

Und wen Spielsachen, Deko-Schnickschnack und detaillierte Miniaturen nicht interessieren, aber dennoch den Nervenkitzel des Gacha-Spielens erleben möchte, kann aus ausgewählten Automaten auch Passfotos von zufälligen Fremden oder Lebensweisheiten von japanischen Großvätern ziehen. Sex-Shops und Rotlichtviertel sind ebenfalls auf den Zug aufgesprungen und verkaufen in ihren Gacha-Maschinen in undurchsichtigen, schwarzen Plastikkugeln Spielzeug für Erwachsene, Unterwäsche oder unanständige Nachrichten.

Typische Gacha-Automaten in Japan
Typische Gacha-Automaten in Japan. © Photo AC / FreeBackPhoto

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Von der Straße ins Netz

Wenn sich etwas bewährt, dann dauert es nicht lange, bis es auch in den digitalen Raum einzieht: Während die Mechanik im englischsprachigen Raum meist eher als „Loot Box“ bekannt ist, sind sogenannte Gacha-Spiele seit den 2010er-Jahren in Japan und dann im Rest der Welt eine Millionen-Industrie geworden. Mit in den Spielen erarbeiteter In-Game-Währung oder oft auch mit echtem Geld bekommt man die Möglichkeit, an einem virtuellen Automaten zu drehen (wobei sich die Inspiration für die Animationen in den letzten Jahren von den analogen Automaten weg, hin zu fantasievollen kleinen Cutscenes entwickelt hat). Als Belohnung erhalten die Spieler:innen dann Items oder Figuren im Anime-Stil, die sie im Spiel nutzen können.

Um die Kund:innen bei der Stange zu halten, wird hierbei viel Zeit und Aufwand in das Design der Figuren gesteckt. Das soll die Spielenden motivieren, weiter Geld für das Drehen am digitalen Gacha-Automaten zu investieren. Dabei liegt die Wahrscheinlichkeit, den gewünschten Charakter zu erhalten, häufig bei maximal einem Prozent.

Ein boomender Markt

Und dennoch gibt es viele, die ihr Glück versuchen. Die Gacha-Spiele-Industrie boomt: Fast eine halbe Millionen Dollar war sie im Jahre 2023 wert. Während ein großer Teil der Spielenden von der geringen Wahrscheinlichkeit abgeschreckt wird und sein Glück gar nicht erst oder nicht bis zu dem unwahrscheinlichen Moment, in dem man den gewünschten Charakter bekommt, versucht, tragen ein paar wenige den Erfolg der Industrie auf ihrem Rücken: die sogenannten „Wale“, die rund 5 % der Spieler:innen, die aber über 90 % des Umsatzes einer App ausmachen. Und diese geben ohne Rücksicht auf die eigenen Verluste tausenden von Euro aus, um ihre digitale Lieblingsfigur zu bekommen.

Glücksspiel überall

Die Beliebtheit des Lotterie-Gacha-Prinzip beschränkt sich aber nicht nur auf kleine Spielzeuge und digitale Manga-Mädchen-Bilder, wer in Japan beispielsweise Konzert-Tickets für berühmte Musiker:innen kaufen möchte, der ist auf die Gunst der Glücksgötter angewiesen. Denn auch hier wird oft zufällig entschieden, wer die Chance hat, Tickets zu bekommen. Dasselbe gilt nicht nur für Konzerte, sondern auch für beliebte Cafés oder Merchandise von Anime und Videospielen. Wer hier die Lotterie gewinnt, der gewinnt nichts gratis, sondern überhaupt erst die Möglichkeit, Geld auszugeben. Dann vielleicht doch lieber richtiges Lotto?

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