Japan - mit dem zug von Nord nach Süd 19-Tage-Studienreise

Aggretsuko: Wenn niedliche Maskottchen ausrasten

Hannah Janz
Hannah Janz

Japan ist das Land der Maskottchen und Charaktere. Einer von ihnen: der rote Panda Aggretsuko von Sanrio. Mit Death Metal, Agressionen und Alkohol sucht die Pandadame einen Ausweg aus dem Alltagsstress. Ganz das Gegenteil zu Sanrios berühmtesten Charakter Hello Kitty.

Screenshot von Aggretsuko in ihrem bett sitzend
Keine Lust aufzustehen: Aggretsuko. (c) Sanrio, Youtube

Sanrio veröffentlichte seitdem mehrere kurze animierte Episoden mit dem Panda. Aggretsuko wird im Text zu Folge 1 so beschrieben: „Aggretsuko hat immer davon geträumt, als Accountant zu arbeiten, besonders in diesem Teil der Stadt. In Wahrheit haben ihre Chefs aber kein bisschen Mitgefühl und setzen ihr knallharte Deadlines. Mittlerweile hacken in der Firma alle auf ihr herum. Wenn sie mal wieder an ihre Grenzen getrieben wird, legt sie nach der Arbeit eine Karaoke-Session ein, um beim Singen von Heavy Metal Stress und Frust loszuwerden.“

Video: Episode 1 von Aggretsuko auf Sanrios Youtube-Kanal. (c) Sanrio

Ist das ernst gemeint? Ein niedliches Maskottchen, das den Arbeitsfrust in sich hineinfrisst und nach Feierabend beim Karaoke trinkt, weil es kein anderes Ventil gibt?

Die japanischen wie ausländischen Fans äußern sich bisher positiv – viele schreiben in den Youtube-Kommentaren, dass sie sich voll mit Aggretsuko identifizieren könnten.

Was sagt das über den gesellschaftlichen Kontext, in den Aggretsuko platziert wurde – In Zeiten, in denen Japan öffentlich über die schädlichen Auswirkungen von Überstunden und feindlichem Arbeitsklima diskutiert, weil wieder vermehrt Fälle von Selbstmorden durch Überarbeitung bekannt wurden (JAPANDIGEST berichtete)?

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Screenshot von Aggretsuko beim Karaokesingen
Heavy Metal beim Karaoke als Ventil für Frust: Charakter Aggretsuko. © Sanrio, Youtube

Dabei ist der Spielzeughersteller Sanrio eigentlich spezialisiert auf ultimative Niedlichkeit, auf die Essenz des kawaii. Einen ersten Bruch mit diesem Prinzip brachte der 2013 veröffentlichte Gudetama – ein depressives Eigelb.

Gudetama ist nicht mehr kawaii, sondern kimokawaii (きもかわいい). Kimo (きも) ist die Abkürzung für kimochiwarui (気持ち悪い) – ein schlechtes Gefühl von etwas bekommen oder sich unwohl fühlen.

Screenshot von Gudetama als Omelett auf einem Sushi-Lieferband
Gudetama, hier als Omelett, gekettet an die Zwänge des Lebens – beziehungsweise an ein Reisbällchen. © Sanrio, Youtube

Auch in der erste Episode von Aggretsuko heißt es: „Obwohl sie niedlich aussieht… schlummert da etwas ganz tief in ihr…“

Charaktere wie Gudetama und Aggretsuko entsprechen zwar nachwievor dem glatten, weichen, soften Design anderer Maskottchen wie Hello Kitty. Sie sind aber nicht fröhlich, sondern depressiv, negativ, aggressiv. Damit verkörpern Gudetama und Aggretsuko einen Bruch mit der Positivgesellschaft, für die die niedlichen und fröhlichen Maskottchen stehen.

Die neue gesellschaftskritische Funktion der Maskottchen

Gudetama verweigert sich den Ansprüchen, die an ihn gestellt werden. Durch die Weigerung, zu funktionieren, entzieht er sich seiner Verwertung. Aggretsukos Aggression aber bleibt innerlich und richtet sich gegen sich selbst. Anstatt sich über das Verhalten ihrer Vorgesetzen zu beschweren und ihre Rechte einzufordern, beugt sich Aggretsuko den Erwartungen, die an sie herangetragen werden. Sie funktioniert – zum Preis eines selbstzerstörerischen Verhaltens nach Feierabend.

Damit ist Aggretsuko ein Abbild der Situation vieler Arbeitnehmer, sowohl in Japan als auch in anderen Ländern. Aggretsuko hat etwas Tragisch-Komisches – und zu Reales. Die Niedlichkeit, das kawaii, ist in den Aggretsuko-Episoden Sanrios nur ein dünner Schleier über der Tragik und Selbstverneinung der jungen Frau.

Mit dem Maskottchen legt Sanrio tatsächlich einen Finger in die gesellschaftliche Wunde fehlender Work-Life-Balance und Ausbeutung von Arbeitnehmern. Das ist natürlich kein rein japanisches Phänomen, aber als Thema in Japan zurzeit sehr präsent durch die Fälle von Selbstmorden durch Überarbeitung.

Screenshot von Aggretsuko von hinten im Laternenlicht
Aggretsukos Frust ist fürs erste verflogen - bis Morgen. (c) Sanrio, Youtube

Es bleibt abzuwarten, ob ein Maskottchen wie Aggretsuko, das zunächst einfach zugänglich ist, weil es harmlos und niedlich aussieht, einen Beitrag zur Diskussion über eine Verbesserung der Arbeitssituation leisten kann, indem es diese zumindest unverhohlen sichtbar macht – damit sich Aggretsuko nach einer weiteren alkoholschweren Karaoke-Nacht nicht in der Hoffnung auf den Heimweg machen muss, dass am nächsten Tag alles von selbst besser werden könnte.

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