Das Wort otaku wird in der japanischen Alltagssprache verwendet, um eine andere Person respektvoll anzusprechen. Ab den 1980ern verwendeten ihn Fans der Pop- und Subkultur, um sich gegenseitig anzureden.
Außenseiter gleich Serienkiller? Pop als Gefahr
Der Begriff wurde von den Medien übernommen und erhielt im öffentlichen Diskurs rasch eine negative Konnotation. Zum einen hielt man Otaku für Stubenhocker, die ihr Außenseitertum mit Popkultur kompensierten. Pop- und Subkultur wurden gleichgesetzt mit Gewalt und Sex – dabei mach(t)en Anime und Manga, die sich mit diesen Themen beschäftigen, nur einen Bruchteil der japanischen Popkultur aus.
Zum anderen berichteten die japanischen Medien über den Kannibalen Miyazaki Tsutomu als Otaku. Dieser hatte 1988 und 1989 vier Mädchen getötet. In seiner Wohnung fand die Polizei über 5000 Videos – die meisten davon Film- und Baseball-Aufzeichnungen, einige aber auch gewaltvolle Horror- und Hentai-Anime. Hentai bedeutet abnorm, pervers und bezeichnet Anime-Pornographie. Miyazaki hatte diese Anime mit Bildmaterial seiner Opfer zusammengeschnitten. Die Berichte über die grausigen Funde führten dazu, dass Otaku nun nicht nur als gesellschaftliche Außenseiter, sondern noch dazu als potenziell gefährlich gesehen wurden.
Neues Selbstverständnis durch den globalen Siegeszug der japanischen Popkultur
Ab den frühen 2000er Jahren wandelte sich das Image der Otaku in Japan. So wurde die japanische Popkultur nun auch außerhalb Japans als „cool“ wahrgenommen. Das Interesse ausländischer Fans führte in Japan zu einer Aufwertung der Popkultur als Aushängeschild des Landes. Mit der Kampagne Cool Japan stellt seit den 2000ern sogar der japanische Staat Fördermittel für die Popkultur als Kulturdiplomatie zur Verfügung.
Zudem wurden die Fans und ihre Kultur in den otaku kenkyū erforscht. Pioniere dieser Otaku-Studien wie der Philosoph Azuma Hiroki trugen mit ihrer medialen Präsenz dazu bei, die Otaku von ihrem Schmuddel-Image zu befreien. Die wissenschaftliche Sichtweise wurde durch die Medien einer breiten Öffentlichkeit bekannt – das machte den gesellschaftlichen Diskurs sachlicher.
Auch die Fans selbst gewannen ein anderes Selbstbewusstsein. Sie forderten die Deutungshoheit über ihre Bezeichnung zurück, indem sie das Wort Otaku nun in Katakana, der einfachen japanischen Silbenschrift, wiedergaben: オタク.
Aktuelle Tendenzen: Otaku als Konsumenten und Produzenten
In Deutschland wird der Begriff Otaku in der Fan-Szene als positive Selbstbezeichnung verwendet. In Japan ist das Otaku-Image auch besser geworden. Dem Begriff hängen aber immer noch Assoziationen als verschroben und unsozial an. Dennoch werden Otaku heute aus der Mehrheitsperspektive vor allem in ihrer Funktion als Konsumenten gewürdigt, denn sie bieten der japanischen Pop- und Subkultur einen großen Absatzmarkt.
Gleichzeitig ermächtigen sich viele Otaku der Sub- und Popkultur – und damit ihrer Identität – indem sie selbst Kultur produzieren. Sie organisieren Events, zeichnen Fan-Manga (dōjinshi 同人誌) oder verkaufen selbstgemachtes Merchandise. Dieses Engagement widerspricht einerseits der von der Gesellschaft diagnostizierten Dysfunktionalität der Otaku. Andererseits entzieht sich der „Von uns, für uns“-Ansatz der kulturellen Produktion der Logik der Verwertbarkeit, ist verbunden mit sozial unangepassten Rollenmodellen und bleibt darum der Mehrheitsgesellschaft gegenüber ambivalent.
Ihr gesellschaftliches Außenseitertum ist also noch nicht aufgehoben. Zu bedenken bleibt aber: Eine vollständige Assimilierung in der Mehrheitskultur wäre dem Image der japanischen Popkultur als unkonventionell abträglich – und so oszillieren Otaku in Deutschland wie in Japan nachwievor zwischen den Sehnsüchten subkultureller Selbstverwirklichung und sozialer Anerkennung.
Kommentare