Zehn Jahre lang war sie Mitglied der dreiköpfigen Gesangsgruppe Kalafina unter der bekannten japanischen Produzentin und Komponistin Kajiura Yuki, mit der sie zahlreiche Anime-Hits wie „oblivious“ (The Garden of Sinners), „Magia“ (Puella Magi Madoka Magica) und „to the beginning“ (Fate/Zero) feierten.
Seit 2019 steht Hikaru// nun auf eigenen Beinen: Mit dem Projekt H-el-ical// (ausgesprochen “helical”) erfüllt sich die japanische Sängerin den lang gehegten Traum einer Solo-Karriere. 2020 veröffentlicht H-el-ical// gleich zwei Singles: Gleichzeitig Opening-Thema des Animes „Gleipnir“, markiert der Song „Altern-ate-“ ihr Debüt. Nur wenige Monate später erscheint die Single „disclose“, ferner das Ending-Thema des Animes „Magatsu Wahrheit -ZUERST-“.
Hikaru//, selbst ein großer Anime- und Manga-Fan, verwirklicht durch H-el-ical// ein vielseitiges, kreatives Sounddesign, dessen Melodien und selbst geschriebenen Songtexten sie durch ihre ausdrucksstarke Stimme ihre eigene Note verleiht.
Im Interview mit JAPANDIGEST spricht Hikaru// über ihre Arbeit als Singer-Songwriterin, die insbesondere auf der Videoplattform YouTube ihren Anfang nahm und auf der sie bis heute aktiv ihre Lieder präsentiert. Zusammen mit dem Musikproduzenten und -journalisten Tomita Akihiro, der bereits mit zahlreichen bekannten japanischen Künstlern zusammengearbeitet hat, erfahren wir außerdem mehr über die japanische Musikwelt und wie sich Anime-Musik als Subgenre trotzdem stark von klassischer Popmusik abhebt.
„H-el-ical//“ ist durchaus ein besonderer Künstlername. Was steckt dahinter?
Hikaru//: Ich fing an den Namen „H-el-ical//“ zu nutzen, als ich meine ersten Lieder auf YouTube hochgeladen habe. Da meine musikalischen Aktivitäten nicht unter meinem Vornamen „Hikaru“ laufen sollten, wählte ich „H-el-ical//“ und benannte auch danach das gesamte Projekt.
Der Begriff „helical“ bedeutet „spiralförmig“ auf Englisch. Wieso haben Sie sich für dieses Wort entschieden?
Hikaru//: Eine Spirale ist auch eine Linie, „die sich stets nach oben bewegt“. Ich wählte „helical“, weil ich in meiner Arbeit stets nach vorne blicken und nach oben streben möchte. Was die besondere Schreibweise von „H-el-ical//“ angeht, so werden die Buchstaben „el“ durch zwei Bindestriche getrennt. Wenn man die beiden Buchstaben weglässt, ergibt sich (japanisch ausgesprochen) mein Name „Hikaru“! Weiterhin soll „el“ für das englische Wort „elevation“ stehen, was „Anhebung“ oder „Emporheben“ bedeutet. Mein Künstlername soll widerspiegeln, dass man nicht nur aus eigener Kraft etwas kreiert, sondern dabei von vielen Menschen unterstützt wird.
Die beiden Schrägstriche am Ende des Namens werden u.a. in der Mathematik verwendet, wo diese ein „Beweisende“ anzeigen, im weiteren Sinne also auch, dass etwas „ist“. Dieses Projekt trägt also meine Entschlossenheit, mit allen zusammen aufzusteigen, in sich. In diesem Sinne bin ich dann „Hikaru//“.
Bevor Sie im Mai 2020 als H-el-ical// Ihr offizielles Debüt feierten, haben Sie verschiedene Lieder auf dem Videoportal YouTube hochgeladen. Welche Vorteile sehen Sie in der Plattform?
Hikaru//: Ich habe überlegt, wie ich den Menschen meine Musik nicht als „Kalafinas Hikaru“, sondern als Solo-Künstlerin vermitteln kann. Deshalb habe ich meine Lieder zuerst auf YouTube veröffentlicht, ohne meinen echten Namen zu verwenden. Ein Vorteil von YouTube ist, dass man damit nicht nur Japaner, sondern Menschen auf der ganzen Welt erreichen kann.
Ich habe gemerkt, dass ich durch meine Zeit bei Kalafina nicht nur die Unterstützung japanischer, sondern auch vieler internationaler Fans hatte. Als ich meinen persönlichen Twitter-Account startete, bekam ich so viele Nachrichten von Fans aus dem Ausland. Eben weil es solche Menschen gab, entschied ich mich dazu, meine Musik auf YouTube zu veröffentlichen.
“Ich wollte auch denen, die kein Japanisch können, meine Gefühle und ‘Worte’ direkt mitteilen.”
In der Beschreibung und den Untertiteln der Videos finden sich z.B. englische oder chinesische Übersetzungen der Texte. Möchten Sie damit Ihren Wunsch ausdrücken, mit Fans in einer Sprache zu kommunizieren, die sie verstehen können?
Hikaru//: Genau. Meine Gefühle sollen bei den Leuten auf diese Weise ankommen. Zu Beginn habe ich auf Twitter nur auf Japanisch geschrieben. Ich bekam von meinen internationalen Fans natürlich auch Nachrichten auf Japanisch, aber unter ihnen waren auch einige, die wussten, dass ich ein wenig Englisch kann. Ich wollte auch denjenigen, die kein Japanisch können, meine Gefühle und „Worte“ direkt auf Englisch mitteilen, auch wenn ich nicht alles ausdrücken kann. Durch Twitter oder die Untertitelfunktion von YouTube kann ich dies so gut es geht umsetzen.
Sprechen wir über die Lieder von H-el-ical//. Sie haben mehrere, die einen fremdsprachigen Titel besitzen, z.B. „yolcu“ (Türkisch, „Reisender“), „Avaricia (Spanisch, „Gier“) oder „Amanhecer“ (Portugiesisch, „Morgengrauen“). Wie kam es dazu?
Hikaru//: Wie bereits erwähnt, möchte ich auch eine Verbindung zu internationalen Fans aufbauen, auch sie sollen meine Musik genießen. Die Songtexte und einige der Titel sind selbstverständlich auf Japanisch. Ich gab einigen Liedern jedoch einen fremdsprachigen Titel, damit auch Menschen aus dem Ausland den Wunsch verspüren, meine Musik hören zu wollen. Besonders in meinem ersten Album namens „H-el-ical//“ möchte ich das Gefühl vermitteln, als würde man auf eine Reise durch viele Länder gehen.
Musik ohne Genre und ohne Grenzen
Welchem Genre würden Sie Ihre Lieder zuordnen? Kann man sagen, dass es J-POP ist?
Hikaru//: Kalafinas Musik könnte man wohl dem J-POP zuordnen, doch als H-el-ical// möchte ich mich nicht unbedingt auf das eine Genre festlegen. Alle unsere bisher erschienenen Lieder besitzen nicht ausschließlich Pop-, sondern auch Jazz-, Rock- oder andere Genre-Elemente. Daher kann man nicht sagen, dass es einfach „Pop“ ist.
Tomita Akihiro: Im weitesten Sinne ist es wohl Popmusik. Aber wir von H-el-ical//arbeiten mit vielem zusammen. Kollaborationen mit Anime-Produktionen werden in Zukunft sicherlich mehr werden, doch selbst im Bereich Anime gibt es viele Genres wie Comedy, Battle, sogar historisch ausgelegte. Es werden viele Dinge miteinander vereint und daraus entsteht auch Musik.
Daher wäre wohl die Bezeichnung „ohne Genre“ am treffendsten – „ohne Genre“, oder vielleicht sogar „ohne Grenzen“. Wir bedienen uns des Jazz, des Rocks, klassischer Elemente, sogar Club- und elektronischer Tanzmusik und das macht es so schwer, unsere Musik in bestimmte Kategorien einzuordnen.
Welches Ihrer Lieder würden Sie Deutschen, die sich mit der Musik von H-el-ical// oder auch japanischer Musik im Allgemeinen nicht auskennen, als Einstieg empfehlen?
Hikaru//: Das kommt darauf an, welche Art von Musik Deutsche gerne hören. Da H-el-ical// sich verschiedener Genres bedient, ist es schwer, ein bestimmtes Lied auszuwählen. Abhängig vom persönlichen Lieblingsgenre oder welche Art von Musik besonders beliebt ist, kann ich erst eine solche Entscheidung treffen. Selbst wenn das Gegenüber ein Japaner wäre, ist das schwer zu beantworten. Vielleicht der allererste Titel, der unter dem Namen H-el-ical// veröffentlicht wurde: „pulsation“.
Der Text dieses Liedes trägt meine Emotionen von damals in sich, als H-el-ical// seinen Anfang nahm, wie ich Niedergeschlagenheit und Kummer überwunden und nach vorne geblickt habe. Es ist ein Lied, das auch den Hörern Mut zusprechen soll. Als flottes Lied ist „pulsation“ sicherlich eine gute Empfehlung für jene, die meine Musik zum ersten Mal hören.
[Video: H-el-ical// “pulsation”, offizielles Musikvideo]
Sie haben alle Songtexte bisher selbst verfasst. Im Japanischen kann man mit Hiragana, Katakana, Kanji und dem Alphabet auf verschiedene Möglichkeiten zurückgreifen. In Ihrer neuesten Single „disclose“ findet sich z.B. sehr viel Katakana. Was bewirkt die Nutzung von Katakana?
Hikaru//: Hiragana-Schriftzeichen wirken eher weich, während Katakana-Zeichen etwas Steifes an sich haben. Durch Katakana entsteht ein gewisses Gefühl des Unbehagens. Das kann man beim reinen Hören zwar nicht verstehen, doch wenn man sich den Songtext durchliest und die Katakana-Zeichen sieht, wird man darüber stolpern. Das zieht die Aufmerksamkeit auf diese Zeilen. Wenn ich also bestimmte Stellen besonders betonen möchte, dann ist die Nutzung von Katakana sehr effektiv.
Vor allem in „disclose“ habe ich verschiedene Techniken angewandt. So habe ich z.B. die Namen der Protagonisten des Animes „Magatsu Wahrheit -ZUERST-“ eingebaut – solche kleinen Extras im Songtext zu entdecken ist sicherlich spannend, insbesondere für diejenigen, die sich den Anime anschauen.
[Video: H-el-ical// “disclose”, offizielles Musikvideo (short ver.)]
Anime-Musik: Große Vielfalt und enger Bezug zum Werk
Unsere Leser wissen vielleicht nicht viel über japanische Musik, geschweige denn Anime-Musik. Worin liegen die Besonderheiten und Unterschiede zwischen den Genres?
Tomita Akihiro: Das ist zwar meine persönliche Einschätzung, doch unabhängig von der Handlung der Animes besitzen deren Lieder fast immer fantastische Elemente. Selbst wenn es um moderne, historische oder sogenannte fantasievolle „Isekai“-Animes geht, im Kontext des Animes ist es immer eine fiktive Welt. Die Herangehensweise der Musik unterscheidet sich zu herkömmlichen Pop.
Für mich wäre es sehr seltsam, wenn in Animes solche Popmusik auftauchen würde, denn es ist etwas völlig anderes, wenn jemand Anime-Musik erschafft oder seine persönlichen Gefühle in das Stück einfließen lässt. Die Bedeutung der Musik und damit auch die Musik selbst verändert sich dadurch. Deshalb geben sich Künstler, aber auch die Produzenten bei der Ausarbeitung von Anime-Musik extrem viel Mühe. Wenn man sich also japanische Musik anhört, wird man sicherlich den Unterschied zwischen Anime-Songs und J-POP hören.
Hikaru//, welche Unterschiede sehen Sie zwischen Anime-Musik und “normaler” japanischer Musik?
Hikaru//: Anime-Lieder scheinen etwas Ungewöhnliches, nicht Alltägliches in sich zu bergen. Wie bereits gesagt besitzen solche Texte stets etwas Fantastisches. In Musik außerhalb der Anime-Welt geht es um alltägliche Emotionen, mit denen sich die Zuhörer identifizieren können. Anime-Musik entfernt sich von dieser Alltäglichkeit und genau das ist ihre Stärke. Menschen, die ihren Alltag vergessen möchten, können sie daher besonders genießen.
Anime-Musik und westliche Musik unterscheiden sich mit Sicherheit noch mehr voneinander.
Tomita Akihiro: Die Methodik zwischen den beiden Musikarten ist meiner Meinung völlig anders. Westliche Genres wie Rock, R&B, Jazz und Klassik sind jeweils eine Musikkultur für sich. Im Gegensatz dazu bedient sich Anime-Musik aller Genres, wie sie es für angemessen hält. Es gibt in dieser Hinsicht keine Einschränkungen, denn man beginnt mit dem Gedanken: „Welche Musik passt zu diesem Anime?“.
Geschichte, Kontext und Kultur der Musik werden in diesem Falle außer Acht gelassen – dieser Mix ist es, der Anime-Musik ausmacht. Seien es japanische oder westliche Elemente, sei es britischer, chinesischer, indischer Pop, selbst deutsche Volksmusik – Anime-Musik erlaubt es sich, alles miteinander zu kombinieren.
Toyamas empfehlenswerte Sehenswürdigkeiten
Sprechen wir doch über etwas Persönliches. Sie sind in der Präfektur Toyama geboren und aufgewachsen. Welche Sehenswürdigkeiten empfehlen Sie Touristen?
Hikaru//: Zwischen dem 01. und 03. September findet in Yatsuo das Owara Kaze no Bon-Festival statt. Dort werden traditionelle Tänze getanzt und alte Volkslieder gespielt. Wenn Sie zu dieser Zeit in Japan sind, empfehle ich dieses Fest! Den „Owara“-Tanz lernen Kinder sogar schon in der Grundschule – so sehr ist er Teil der kulturellen Identität Toyamas. Für ausländische Gäste ist das Fest ein tolles Erlebnis, um japanische Kultur kennenzulernen.
In der Stadt Toyama empfehle ich das Toyama Suiboku Museum, in dem Werke ausgestellt werden, die ausschließlich mit Tusche gezeichnet wurden, sowie das Toyama Glass Art Museum. Letzteres befindet sich im Mehrzweckgebäude „Toyama KIRARI“, das von einem berühmten japanischen Architekten entworfen wurde. Es ist unglaublich schön und nur das Anschauen des Gebäudes von außen ist schon ein wertvolles Erlebnis!
Was möchten Sie unseren JAPANDIGEST-Lesern zum Schluss mitteilen?
Hikaru//: Vielen Dank, dass Sie sich alles bis zum Ende durchgelesen haben! Vermutlich haben Sie erst durch dieses Interview von mir und H-el-ical// erfahren, doch ich hoffe, dass Sie meine Musik erreichen kann. Dafür werde ich hart arbeiten! Ich würde mich auch sehr freuen, wenn Sie die Gelegenheit haben, Japan eines Tages zu besuchen. Nicht nur in Toyama, sondern überall gibt es wunderschöne Orte zu sehen. Bitte kommen Sie her und erleben Sie die japanische Kultur selbst!
H-el-ical// online
- Offizielle Homepage: https://h-el-ical.com/
- Offizieller YouTube-Kanal: https://www.youtube.com/channel/UCAT-pP5n5RqBMrLfyawDHwg
- Offizieller Twitter-Account: https://twitter.com/helicalproject
- H-el-ical// auf Spotify: https://open.spotify.com/artist/4jfky9U27rUJYG9SnkIBJO
- H-el-ical// auf Apple Music: https://music.apple.com/us/artist/helical/1481499282
Diskografie
- Dezember 2019: Release des ersten Albums “H-el-ical//”
- April 2020: Release des Mini-Albums “elements”
- Mai 2020: Offizielles Debüt, Release der 1. Single “Altern-ate-” (Opening-Thema des Animes “Gleipnir”)
- November 2020: Release der 2. Single “disclose” (Ending-Thema des Animes “Magatsu Wahrheit -ZUERST-“)
- Dezember 2020: Release des 2. Mini-Albums “Blooming”
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