Der Begriff „J-Pop“ ist die Abkürzung für „Japanese Pop“ – eine Bezeichnung, die in den 1990er Jahren populär wurde und seitdem die japanische Musikszene maßgeblich beeinflusst hat. Als Stilrichtung ist J-Pop schwer zu definieren, da das Genre eine Vielzahl von musikalischen Einflüssen, darunter Pop, Rock, Hip-Hop, elektronische Musik und traditionelle japanische Klänge vereint. J-Pop ist daher primär nicht nur ein musikalisches, sondern auch ein kulturelles Phänomen, das sich in Mode, Tanz sowie in der Anime- und Videospielkultur widerspiegelt.
Die Anfänge des J-Pop: Abgrenzung zum Kayōkyoku
Die Geschichte des J-Pop ist eng mit der Entwicklung der modernen japanischen Musikszene verbunden und lässt sich bis in die späten 1960er Jahre zurückverfolgen. In dieser Zeit dominierte das Genre „Kayōkyoku“ (歌謡曲, eine Mischung aus traditioneller Musik und westlich beeinflussten Melodien; man könnte es als „japanischen Schlager“ betiteln) die Musiklandschaft. Dieses Genre setzte stark auf melodische Einfachheit und formale Strukturen, die oft an Enka, eine Art japanische Balladen, erinnerten. Die Texte waren oft sentimental und handelten von Liebe, Verlust und Nostalgie, während die Musik einen eher zurückhaltenden Stil verfolgte.
In den 1970er und 1980er Jahren begann sich jedoch ein Wandel abzuzeichnen, als westliche Popmusik und Rock ‘n’ Roll zunehmend an Popularität gewannen. Künstler:innen wie die Singer-Songwriterin Matsutoya Yumi und die Elektro-Band Yellow Magic Orchestra legten den Grundstein für das, was später als J-Pop bekannt werden sollte.
Der Begriff „J-Pop“ etablierte sich in den frühen 1990er Jahren, als japanische Musik zunehmend von globalen Trends beeinflusst wurde, ohne jedoch ihre eigene Identität zu verlieren. Diese Periode wird oft als die Geburtsstunde des modernen J-Pop betrachtet: Die Musik von ikonischen Künstlerinnen wie Amuro Namie, Utada Hikaru und Hamasaki Ayumi verband Elemente aus Pop, Dance, R&B und Hip-Hop miteinander. Damit unterschied sich der Stil deutlich von dem Kayōkyoku-Genre; beispielsweise mischte Utada Hikaru, deren Debütalbum „First Love“ bis heute das meistverkaufte Album in Japan ist, R&B und Pop auf eine Weise, die sowohl junge als auch ältere Generationen ansprach. Dank Kollaborationen mit Videospiel- und Anime-Franchisen feierten die Künstler:innen nicht nur in Japan, sondern auch international große Erfolge. J-Pop wurde zum Soundtrack einer ganzen Generation, die in einer sich schnell verändernden und globalisierenden Welt aufwuchs.
J-Pop in den 2000ern: Idol-Musik wird Mainstream
In den 2000er und 2010er Jahren erlebte J-Pop eine neue Welle der Popularität, die maßgeblich durch Boybands, Girlgroups und Idol-Gruppen geprägt wurde. Diese Gruppen spielten eine zentrale Rolle in der japanischen Popkultur und brachten frischen Wind in die Musikszene. Besonders erfolgreich waren etwa Gruppen wie Arashi, AKB48 und Perfume.
Arashi, eine Boyband, die 1999 ihr Debüt feierte, entwickelte sich in den 2000er Jahren zu einer der beliebtesten Musikgruppen in Japan. Mit ihrem zugänglichen Pop-Sound, der eingängige Melodien und charismatische Persönlichkeiten kombinierte, eroberte Arashi die Herzen der (zumeist weiblichen) Fans. Ihre Popularität ging weit über die Musik hinaus, da die Mitglieder auch als Schauspieler, Moderatoren und Werbegesichter tätig waren. Arashi symbolisierte den Übergang von der klassischen Boyband zu multimedialen Entertainern, die in allen Bereichen der Unterhaltungsindustrie präsent waren.
Einige Jahre nach Arashis Debüt revolutionierte AKB48 die Idol-Kultur in Japan mit ihrem einzigartigen Konzept: Die 2005 gegründete Gruppe besteht aus einer großen Anzahl von Mitgliederinnen, die regelmäßig ausgetauscht werden und in verschiedenen Teams auftreten. Die Fans spielen hier eine zentrale Rolle, indem sie etwa an Abstimmungen teilnehmen und so ihre Lieblingsmitgliederinnen unterstützen. Spezielle Veranstaltungen geben ihnen die Möglichkeit, ihre Idole sogar persönlich zu treffen – ein erfolgreiches System, das eine enge Bindung zwischen Fans und Idolen schafft und die Fanbasis enorm wachsen lässt.
Kritik am Idol-Geschäft und Perfumes anhaltender Erfolg
Das Idol-Geschäft, das die J-Pop-Szene viele Jahre dominierte, steht nun allerdings zunehmend in der Kritik: Strikte Verhaltensregeln, eine geringe Bezahlung und der Mangel an Kontrolle über die eigene Karriere sind nur einige der strukturellen Missstände, die in letzter Zeit immer stärker in den medialen Fokus geraten sind. Die Branche geriet zudem durch die 2023 bestätigten Vorwürfe sexueller Übergriffe gegenüber aufstrebenden Künstlern durch Johnny Kitagawa, dem Gründer der berühmten Talentagentur Johnny & Associates, stark unter Druck. Vielleicht war es kein Zufall, dass Arashi, die erfolgreichste Band dieser Talentagentur, ihre Pause bereits zwei Jahre vor Bekanntwerden der Übergriffe ankündigte. Sollte es trotzdem eines Tages zu einer Reunion kommen, werden sie ihre Popularität der späten 2000er und 2010er vermutlich so oder so nicht mehr erreichen können. Ähnlich ergeht es derzeit Idol-Gruppen wie AKB48, deren Beliebtheit heute weit hinter ihrem Höhepunkt in der letzten Dekade zurückliegt.
Eine Band, die es hingegen geschafft hat, am Puls der Zeit zu bleiben, ist Perfume. Das Frauen-Trio, das sich auf elektronische Popmusik spezialisiert hat, brachte Anfang der 2000er eine völlig neue Ästhetik in die J-Pop-Szene. Der Stil, geprägt von futuristischen Sounds und präzise choreografierten Tanzroutinen, setzte sie von anderen Idol-Gruppen ab. Perfume arbeitete eng mit dem Produzenten Nakata Yasutaka zusammen, der für ihre einzigartigen, elektronisch geprägten Tracks verantwortlich war und den Stil des Trios weiterhin prägt. Mit ihrem unverwechselbaren Auftreten hat Perfume nicht nur in Japan, sondern auch international Anerkennung gefunden und spielte unter anderem auf Festivals wie Coachella. Ihre Fähigkeit, sich musikalisch und ästhetisch immer wieder neu zu erfinden, sowie ihr Image als drei starke Frauen, die sich nicht nur ‚produzieren lassen‘ ,sondern aktiv ihre Karriere mitgestalten, hat ihnen geholfen, auch nach zwei Jahrzehnten im Geschäft relevant zu bleiben.
Anime und internationale Kooperationen
Der weltweite Erfolg des J-Pop lässt sich nicht nur auf die Musik selbst zurückführen, sondern auch auf den Einfluss japanischer Popkultur insgesamt. Anime und Videospiele dienen als wichtige Plattformen, um J-Pop einem internationalen Publikum näherzubringen. Soundtracks und Opening-Themes bekannter Anime-Serien wie „Naruto“, „One Piece“ oder „Attack on Titan“ wurden oft von populären J-Pop-Künstler:innen gesungen und machten die Musik über die Grenzen Japans hinaus bekannt.
Kooperationen zwischen japanischen und internationalen Künstlern, wie die Zusammenarbeit von Utada Hikaru und Pharrell Williams für Utadas Album „Exodus“ (2004) oder die Kollaborationen von Idol-Ikone Kyary Pamyu Pamyu mit internationalen Produzenten, tragen dazu bei, dass das Genre weltweit immer bekannter wird. Ein aktuelles Beispiel ist die Zusammenarbeit zwischen der US-amerikanischen Rapperin Megan Thee Stallion und dem japanischen Rapper Chiba Yuki im Song „Mamushi“. Megan Thee Stallion bringt ihren markanten Rap-Stil und ihre Leidenschaft für Anime ein, während Chiba traditionelle japanische Musikstile mit modernen Beats und einer authentischen japanischen Perspektive verbindet. Die Verschmelzung dieser verschiedenen musikalischen Welten zeigt, wie solche Kooperationen frische und innovative Klangerlebnisse schaffen können und den globalen Einfluss des J-Pop weiter vorantreiben.
Erfolg(reicher) durch Social Media
Auch Social Media-Plattformen wie YouTube und TikTok spielen eine entscheidende Rolle bei der weltweiten Verbreitung japanischer Popmusik, wobei es sich nicht immer nur um die neuesten Lieder handeln muss. Ein bemerkenswertes Beispiel ist City Pop, ursprünglich ein vom Kayōkyoku entstandenes Subgenre, das in den späten 1970er und 1980er Jahren seine Blütezeit erlebte, aber durch Social Media und Streaming-Dienste eine überraschende Renaissance feierte. Songs wie „Plastic Love“ von Takeuchi Mariya oder „Stay With Me“ von Matsubara Miki wurden auf YouTube millionenfach angeklickt und von einer neuen Generation entdeckt, die von den nostalgischen, sommerlichen Klängen des Genres fasziniert ist.
Zusammengefasst kann man sagen, dass J-Pop in den letzten Jahrzehnten eine beeindruckende Entwicklung durchlaufen hat und sich von einem nationalen Phänomen zu einem internationalen Genre entwickelt, das weiterhin wächst und sich verändert. Trotz der Herausforderungen durch die Konkurrenz anderer globaler Musikströmungen wie dem koreanischen K-Pop zeigt J-Pop eine bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft. Die Mischung aus traditionellen Elementen, experimentellen Ansätzen und kulturellem Austausch mit internationalen Künstlern beweist, dass J-Pop weit über seine Wurzeln hinausgeht und immer wieder neue Hörer anspricht. Mit fortschreitender Technologie, sozialen Medien und globalen Kooperationen bleibt die Zukunft es Genre vielversprechend, und die japanische Musikszene wird weiterhin eine wichtige Rolle in der globalen Popkultur spielen.
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