Lesen Sie hier den Profiltext zu Murakami Haruki.
Ich glaube, bei Übersetzungen geht es nicht darum, ob sie richtig oder falsch sind. Die Problemstellung ist vielmehr, den richtigen Ton zu treffen.“
翻訳として正しいとか正しくないとか、そいうことではないと思います。それよりはむしろ日本語の捉え方の問題になってくると思うんです。
sagte Murakami Haruki in einem Gespräch über seine eigene Übersetzung des amerikanischen Romans The Catcher in the Rye von J. D. Salinger. Denn wie wahrscheinlich viele Leser wissen, ist Murakami nicht nur Japans weltweit bekanntester Autor, sondern auch ein großer Übersetzer von Autoren der amerikanischen Moderne wie F. Scott Fitzgerald oder Truman Capote.
Als seine deutsche Übersetzerin kann ich diese Einstellung sehr gut nachvollziehen. Ich brauche nur „das passende Japanisch treffen“ (日本語の捉え方の問題) durch „das passende Deutsch treffen“ (ドイツ語の捉え方の問題) zu ersetzen.
Auch für mich geht es beim Übersetzen vor allem darum, den deutschen Lesern einen japanischen Text möglichst ebenso gut lesbar zu präsentieren, wie er es im Original ist, und die besondere Schwierigkeit ist es, einen angemessenen deutschen Stil zu finden. Dies betrachte ich als meine Verantwortung gegenüber dem Autor, aber auch gegenüber dem Leser.
Deshalb habe ich mich natürlich besonders gefreut, als Murakami Haruki im November 2014 den Literaturpreis der überregionalen deutschen Tageszeitung Die Welt erhielt und von der Jury als „bedeutendster zeitgenössischer Schriftsteller Japans“ gewürdigt wurde. Der Preis wird seit 1999 jedes Jahr verliehen, und bedeutende Autoren wie Amos Oz, Philip Roth und Jonathan Franzen haben ihn bekommen.
Murakamis Texte: Was macht ihre Anziehungskraft aus?
Vor allem in Japan wird häufig von einem „Murakami-Phänomen“ gesprochen. Man stellt sich die Frage, warum Murakami Haruki als einziger Romancier eines asiatischen Landes so viele Menschen in Ost und West anzieht? Wie kommt es zu seinem durchschlagenden Erfolg über alle Grenzen hinweg? Was ist das interkulturelle Moment?
Meiner Meinung nach gelingt Murakami eine kulturelle Synthese wie kaum einem anderen Autor. Als Vertreter der Nachkriegsgeneration und Vermittler amerikanischer Literatur ist Murakami in beiden Welten zu Hause. Seine Helden werden sowohl im Westen als auch im Osten verstanden.
In Korea und Taiwan ist er einer der meistgelesenen Autoren überhaupt. Die Anziehungskraft und Frische für asiatische Leser besteht sicher im unkonventionellen Lebensstil seiner aus allen stabilen Beziehungen gefallenen Helden und ihrer Einsamkeit, aber auch ihrer Mittelmäßigkeit.
Für westliche Leser ist das Erfrischende die fließende Offenheit zwischen den Welten, der unbefangene Umgang mit dem Irrealen und einem Leben, das ständig am Rande des Verlusts stattfindet oder sogar von Verlusten geprägt ist.
Was ist japanisch an Murakamis Erzählungen?
In Deutschland wird Murakamis Art zu schreiben manchmal als „magischer Realismus“ bezeichnet, ein Terminus, der, wie Sie wissen, vor allem eine Strömung in der lateinamerikanischen Literatur beschreibt. Nur selten wird Murakami Harukis magische Wirklichkeitsauffassung als eine Eigenheit der japanischen Literatur erkannt oder benannt, die er mit großen japanischen Autoren wie zum Beispiel Akutagawa Ryūnosuke teilt.
Murakami erzeugt in all seinen Romanen und Erzählungen charakteristische Stimmungsfelder. Meine Aufgabe als Übersetzerin sehe ich schwerpunktmäßig darin, neben der Handlung diese besonderen atmosphärischen Bedingungen im Deutschen wiederzugeben.
Murakami übersetzen = Murakami umtopfen
Wie Sie als in Deutschland lebende Leser alle sehr gut wissen, geht es nicht darum, Wort für Wort zu übersetzen. Schon gar nicht bei Sprachen, die sich so stark unterscheiden wie das Japanische und das Deutsche. Demnach kommt für mich zunächst darauf an, den richtigen Ton zu finden. Über diesen „richtigen“ Ton kann man natürlich diskutieren, es gibt keine genauen Regeln, wie man ihn erzeugt. Ich denke, ein Übersetzer muss ihn erfühlen und in seine Muttersprache – Deutsch in meinem Fall – umsetzen.
Haruki Murakamis Erzählkonzept besteht nach eigener Aussage darin, auch kompliziertere Ideen – über die Vielschichtigkeit der Welt und der menschlichen Existenz – in nicht allzu komplizierter Sprache darzustellen, spannend und zugänglich zu gestalten. So zu schreiben, dass es dem Leser schwer fällt, das Buch aus der Hand zu legen. Nach den Worten der Weltpreis-Jury hat Murakami „eine unverwechselbare Art der erzählerischen Reflexion entwickelt, […] deren Verbindung von Leichtigkeit und Ernst Leser auf allen Kontinenten fasziniert.“
Der Essay von Ursula Gräfe zu Murakami Haruki erschien im April 2015 im Doitsu News Digest auf Japanisch. Für die Online-Ausgabe von JAPANDIGEST nachbearbeitet wurde er von Hannah Janz.
Interview mit Ursula Gräfe
Im Anschluss an den Essay hatte Redakteurin Takahashi Megumi die Gelegenheit, Ursula Gräfe noch ein paar Fragen zu ihrer Arbeit als Übersetzerin zu stellen.
JAPANDIGEST: Wie gehen Sie an so eine Murakami-Übersetzung heran?
Ursula Gräfe: Ich fertige zuerst eine Rohübersetzung an, mit vielen Fragezeichen. Dann arbeite ich sie immer wieder durch, bis sie mir einigermaßen gefällt. Ich versuche auch möglichst alles einmal laut zu lesen. Mein Mann stellt sich manchmal als Zuhörer und Kritiker zur Verfügung. Das hilft sehr viel. Häufig muss ich natürlich japanische Muttersprachler fragen, zum Beispiel meine Freundin und Kollegin Kimiko Nakayama-Ziegler. Oder eine Freundin in Japan.
JAPANDIGEST: Haben Sie denn auch direkten Kontakt zu Murakami Haruki?
Ursula Gräfe: Ich habe Herrn Murakami kennengelernt, aber natürlich ist er sehr beschäftigt. Seine Bücher werden ja neben Deutsch auch noch in 44 andere Sprachen übertragen. Meistens leitet seine Agentin alle Fragen an ihn weiter – aber er antwortet immer sofort.
JAPANDIGEST: Zum Schluss eine Herzensfrage: Welche Romane von Murakami Haruki mögen Sie selbst denn am liebsten?
Ursula Gräfe: Schwer zu sagen… Mir gefallen “Hardboiled Wonderland und das Ende der Welt” und “Kafka am Strand” sehr gut. Auch seine neuesten Erzählungen “Männer, die keine Frauen haben” finde ich hervorragend!
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