Japan - mit dem zug von Nord nach Süd 19-Tage-Studienreise

Rezension: „Japan, wer bist du?“ von Fritz Schumann

Diana Casanova
Diana Casanova

Mit „Japan, wer bist du?“ erschien im September 2024 das neue Buch von Journalist und Japan-Kenner Fritz Schumann. Dieses Mal taucht er tief in das ländliche Japan ein und berichtet von einem Land, das vor zahlreichen gesellschaftlichen Problemen steht sowie von den Menschen, die diese auf kreative Weise lösen wollen.

Japan, wer bist du Cover

In der Pressemeldung des Reisedepeschen Verlag heißt es: „Das neue Reisebuch von Fritz Schumann, ‚Japan, wer bist du? Verborgene Orte und unerzählte Geschichten‘, bietet eine außergewöhnliche Entdeckungsreise in das Herz Japans.“ Ich überlege kurz, denn den Namen des Autors hatte ich schon einmal gehört: Im Februar 2020 hat JAPANDIGEST bereits eine Rezension zu seinem Buch „Japan 151“ (5. Auflage, erschienen Oktober 2019 beim Conbook Verlag) veröffentlicht. An dieses Buch erinnere ich mich ganz gut – leider, weil es mir aufgrund der doch recht oberflächlichen Darstellung Japans und einigen unsauber recherchierten Fakten nicht so gut gefallen hat. Die vollständige Rezension meiner Kollegin lesen Sie hier – an dieser Stelle erwähne ich aber auch, dass der Autor sich die Mühe gemacht, auf die Rezension in einem Kommentar zu antworten und die Kritik annahm, was ich ihm sehr hoch anrechne.

Entsprechend war ich ein wenig skeptisch, als ich Fritz Schumanns neuestes Werk „Japan, wer bist du?“ (2024) aufschlug. Der Buchklappentext deutet jedoch darauf hin, dass es dieses Mal in die völlig entgegengesetzte Richtung gehen würde: „Jenseits idealisierter Bilder zeigt uns Fritz Schumann Japan von einer ungewohnten, aber umso faszinierenderen Perspektive.“ Also kein allgemeiner Rundumschlag über alles irgendwie Japanische, wie es in „Japan 151“ der Fall war. Das Buch beginnt mit einem kurzen Satz auf Japanisch: 日本。。。君はだれ?(„Japan… Wer bist du?“), eine schöne Hommage an den Titel. Es folgt eine Japan-Karte, in der alle Orte eingezeichnet sind, zu denen Schumann im Buch reisen wird. Die Karte ist auch dringend nötig, denn mit Ausnahme von Ōsaka und Kyōto werden wahrscheinlich die wenigsten je etwas von diesen Fleckchen Japans gehört haben. Für mich als Japanologin ist die Karte bereits ein guter Hinweis darauf, um welche gesellschaftlichen Themen es gehen wird. Meine anfängliche Skepsis wird von echter Neugier abgelöst.

© Fritz Schumann

Eine Reise durch ganz Japan

Autor und Journalist Fritz Schumann beschäftigt sich seit 15 Jahren eingehend mit Japan und hat bereits einige preisgekrönte Dokumentationsfilme, u. a. zum Iya-Tal, produziert. In insgesamt 15 Kapiteln reist er an 15 verschiedene Orte in ganz Japan – von Yūbari im hohen Norden auf der Insel Hokkaidō, ins 2011 vom Tsunami verwüsteten Fukushima, in die Präfekturen Ishikawa, Ōsaka und Hiroshima bis hin nach Tokushima auf Shikoku und Nagasaki auf der südlichsten Hauptinsel Kyūshū. Viele der Inhalte hat er nicht extra für dieses Buch recherchiert, sondern es sind Berichte und Nacherzählungen seiner früheren Japan-Aufenthalte, etwa im Rahmen von Recherchen für Dokumentationen. Es ist keine neutrale Berichterstattung, sondern ein persönliches Reisetagebuch eines Mannes mit engen Verbindungen zu Japan, der sich intensiv und engagiert mit unterschiedlichsten Themen auseinandergesetzt hat. Dabei ergänzt Schumann seine Anekdoten regelmäßig um aktuelle Statistiken und Erkenntnisse der wissenschaftlichen Japan-Forschung, die den Aussagen Nachdruck und die nötige Legitimität verleihen.

Der Autor beschreibt in den Kapitel nicht nur seinen Weg durch eine bestimmte Ortschaft und die Emotionen, die er dabei verspürt. Im Mittelpunkt stehen stets „Protagonisten“ – eine Person oder mehrere, Einheimische, Ehrenamtliche oder Journalist:innen -, mit denen Schumann zumeist auch eine persönliche Beziehung pflegt bzw. sie im Rahmen seiner Recherchearbeit getroffen hat. Diese helfen ihm wiederum, Kontakt zu Betroffenen und anderen interessanten Interviewpartner:innen aufzubauen. Ihre Unterhaltungen stecken den Rahmen ab, in dem wir uns bewegen, um welche Probleme es geht und wie sich die Betroffenen damit fühlen. Entsprechend wird im Buch das Bild einer komplexen Erfahrung gezeichnet, wie sie eigentlich nur Schumann erlebt haben kann und je erleben wird. Ein „normaler “ Japan-Tourist würde vermutlich nie die Möglichkeit bekommen, derartig tief in eine Region einzutauchen und mit den Einheimischen in Kontakt zu treten – und würde es vielleicht auch gar nicht wollen. Denn Schumanns Beschreibungen stehen in einem starken Kontrast zu den manchmal klischeehaften Vorstellungen, die in vielen deutschen Köpfen vorherrschen mögen – die sich unter Japan ein Land „zwischen Tradition und Moderne“ vorstellen, wo sich Tōkyōs hypermoderne Wolkenkratzer die Wände mit Jahrhunderte alten Tempeln teilen, in denen Geishas eine Tasse Tee zubereiten.

© Fritz Schumann

Der Autor beschreibt intim und ehrlich die Geschichten dreidimensionaler Menschen, die viel zu erzählen haben, aber für die sich doch nur die wenigsten interessieren. Und er beschreibt eine Gesellschaft, die tief zerrissen ist von ihren sozialen, politischen, wirtschaftlichen und demografischen Problemen, die nicht so recht in das romantisierte ausländische Bild vom „Land der aufgehenden Sonne“ passen wollen.

Ein Land voller Probleme – und Menschen, die sich ihnen stellen

Die Leserinnen und Leser werden an unterschiedlichste Orte geführt, die sinnbildlich für die Überalterung der japanischen Gesellschaft stehen, welche das Aussterben ganzer Städte und lokaler Traditionen zur Folge hat. Es geht um Menschen, die bis heute von den Folgen der Dreifachkatastrophe von 2011 betroffen sind; um japanische Bürgerinnen und Bürger, die aufgrund ihrer Vorfahren oder ihres Wohnortes diskriminiert werden; um Menschen, die vom Alltag in der Großstadt erschöpft sind und ihr Glück in einem entschleunigten Leben finden; die dazu beitragen wollen, dass ihre (Wahl)Heimat nicht in Vergessenheit gerät; und um Menschen, die um jeden Preis verhindern wollen, dass Japans Kriegsvergangenheit nicht von jenen unter den Teppich gekehrt wird, die sie unbequem finden.

Auf der Insel Ōkunoshima beleuchtet Schumann Geschichte und Erbe der früheren Giftgasproduktion. © Fritz Schumann

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Als Japanologin haben viele der Themen ein tiefes persönliches Interesse in mir geweckt – von vielen Orten habe ich bereits im Studium oder aus unterschiedlichen Medien (ironischerweise teils aus Schumanns Dokumentationen, ohne zu wissen, dass es seine waren) gehört. Dennoch habe ich in jedem Kapitel etwas neues gelernt. Es kam in mir sogar der längst vergessene Wunsch auf, mich in einer Hausarbeit diesen Orten näher zu widmen und sogar dorthin zu reisen, um Schumanns Fußspuren durch Japans Hinterland zu folgen. Ich bemerkte, dass ich das Kapitel zu „Onomichi“ – einer Hafenstadt im Osten der Präfektur Hiroshima – besonders aufmerksam lese. Wahrscheinlich, weil ich (zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels) selbst in wenigen Wochen plane, nach Onomichi zu reisen. Ich schrieb mir den Namen einer versteckt liegenden Bäckerei auf – vielleicht habe ich ja die Gelegenheit selbst zu erfahren, was den Autor daran so fasziniert hat. Es sind diese Momente im Buch, die mir die liebsten sind; kleine Einblicke in Orte, zu denen ich schon eine persönliche Beziehung habe oder gerne haben möchte. 

Eine junge Frau spielt Gitarre am Hafen von Onomichi. © Fritz Schumann

Nicht alles Gold, was glänzt

In den meisten Kapiteln steht in irgendeiner Form ein ernstes soziales Problem im Vordergrund: Schumann spricht mit Betroffenen, die versuchen, das Beste aus der Situation zu machen oder aktiv eine nachhaltige Veränderung zu erzielen. Der Grundton ist dabei fast immer positiv und hoffnungsvoll. Das Kapitel „Kamikatsu“ ist dabei ein interessanter Ausreißer: In den letzten Jahren erhielt die Kleinstadt in den Bergen der Präfektur Tokushima große mediale Aufmerksamkeit (auch JAPANDIGEST berichtete darüber). Die Stadt hat sich 2003 das große Ziel gesetzt, zu einer „Zero Waste Town“ zu werden, also bis 2020 keinen Abfall mehr zu produzieren. Dafür errichtete sie u. a. eine zentrale Sammelstelle, wo die Bewohner:innen ihren Hausmüll in 45 Kategorien trennen, welcher nach Möglichkeit recycelt wird. Die Stadt wurde als Vorreiterin der Nachhaltigkeit gefeiert. In der Tat sind diese Bemühungen bemerkens- und lobenswert – doch Schumanns Blick hinter die Kulissen erlaubt es den Leserinnen und Lesern zu erfahren, dass einiges doch mehr Schein als Sein ist. Es schwingt mal unterschwellige, mal offensichtliche Kritik am System mit, was ich als willkommene Abwechslung empfunden habe.

Fazit

Mit „Japan, wer bist du?“ ist Autor Fritz Schumann ist ein Werk gelungen, das keine neutrale Berichterstattung sein will, sondern ein intimes Reisetagebuch, das den Leserinnen und Lesern eine neue Seite Japans aufzeigt, aber dabei nicht den Anspruch hat, das Land von oben herab zu erklären – ganz im Gegenteil. Es verliert sich nicht in Floskeln, allgemeinen Fakten oder Oberflächlichkeiten, sondern konzentriert sich auf die Realität des jeweiligen Ortes. Es werden Einblicke in die Leben echter Menschen geliefert. Die Fotos, die Schumann fast alle selbst geschossen hat, sind dabei ein besonderes Highlight, denn sie geben den Protagonisten ein Gesicht und helfen dabei, sich die Regionen, die Schumann eingehend beschreibt, besser vorstellen zu können. Ein umfangreiches, wenn auch nicht vollständiges Quellenverzeichnis, rundet das Buch ab, u. a. mit Verweisen auf Schumanns eigene Dokumentationsfilme, die ich Ihnen an dieser Stelle wärmstens empfehle. Der Schreibstil liest sich interessant und flüssig; und das Buch lässt sich aufgrund der zwischen 6- und 30-seitigen, in sich geschlossenen Kapitel jederzeit weglegen und wiederaufnehmen, ohne dass man den Faden verliert.

Wer zuvor noch nie Berührungspunkte mit Japan hatte und sich eher für die klassischen Touristenmagneten wie Tōkyō und Kyōto oder die japanische Popkultur interessiert, wird von dem Buch vielleicht nicht ganz so begeistert sein. Doch für Japan-Kenner:innen (oder die, die es werden wollen) ist „Japan, wer bist du?“ eine Empfehlung; nicht etwa, um neue Reise-Inspirationen zu bekommen, sondern um – so wie das Buchcover es bereits verspricht – „verborgene Orte und unerzählte Geschichten“ kennenzulernen, die für ein vielfältiges, realistisches Japan stehen.


Japan, wer bist du? Verborgene Orte und unerzählte Geschichten 

von Fritz Schumann

Erschienen am 20. September 2024 (1. Auflage) beim Reisedepeschen Verlag

Hardcover, 352 Seiten (26 Euro)

ISBN: 978-3-96348-033-1

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