Es kommt nicht oft vor, dass eine deutsche Autorin Japan als Schauplatz wählt. Mit „Tokioregen“ wagt Yasmin Shakarami nun einen nicht-japanischen Blick und gibt damit den deutschsprachigen Leser:innen die Möglichkeit, Japan literarisch so zu entdecken, wie es ein gaijin, also ein „Fremder von außen“, tun würde. Shakarami hat selbst in Tōkyō gelebt und diese Erfahrungen und Erlebnisse in ihrem Debütroman „Tokioregen“ verarbeitet.
Ein ereignisreicher Schüleraustausch
Die 16-jährige Malu erhält die einmalige Chance, im Rahmen eines Schüleraustausches ein Jahr lang bei einer Gastfamilie in Tōkyō zu leben. Sie taucht ein in eine Welt, deren Fremdheit sie gleichzeitig überfordert und fasziniert. Kurz nach ihrer Ankunft lernt sie nicht nur ihre Gastfamilie kennen, sondern auch Kentaro. Dieser entpuppt sich bald als ihr Mitschüler, der auch Deutsch spricht. Die beiden verstehen sich – und das verbindet. Kentaro zeigt ihr ein Tōkyō abseits der Touristenpfade und die beiden kommen sich langsam näher. Eine Annäherung, gegen die sich Malu zunächst sträubt – doch nicht nur das trübt das Liebesglück der beiden, sondern auch eine verheerende Katastrophe, die Tōkyō heimsucht.
Die Geschichte baut sich anfangs sehr langsam auf und konzentriert sich auf kitschiges Teenagerdrama. Dies ändert sich jedoch in der zweiten Hälfte des Buches. Die Handlung nimmt deutlich an Fahrt auf und konzentriert sich auf die Ereignisse nach der Katastrophe. Romantik wird gegen Spannung getauscht und durch die traumatischen Erlebnisse bekommt man einige Hintergrundinformationen über Malus Vergangenheit. Die zweite Hälfte wertet das Buch auf und dürfte einige Leserinnen und Leser zurückgewinnen, die vom Anfang eher weniger begeistert waren.
Bekannte Klischees
„Tokioregen“ richtet sich vorrangig an ein jugendliches Publikum. Dies zeigt sich vor allem im Sprachstil, der immer wieder mit popkulturellen Referenzen durchsetzt ist. So wird Kentaro immer wieder als „Jedi-Ritter“ bezeichnet oder bestimmte Charaktere erhalten die Namen bekannter Schauspieler. Generell wird die Fremdartigkeit Japans durch eine Aneinanderreihung bekannter Klischees und das, was ohnehin in den meisten Reiseführern über Japan besonders hervorgehoben wird, unterstrichen: die Shibuya-Kreuzung, Convenience Stores, japanische Toiletten, Yakuza und vieles mehr. Die Hauptfigur fungiert durch die Ich-Perspektive zwar als Erklärerin für all diese „verrückten“ Dinge, bleibt dabei aber nicht konsequent genug. Warum Malu z. B. nicht weiß, was „diese japanischen Comics“ (Mangas) sind, wirkt unglaubwürdig und wie ein ungelenker Versuch, eine gewünschte Situation zu konstruieren.
Generell wäre aufgrund des persönlichen Bezugs der Autorin zu Japan tiefere Beschreibungen und Einblicke wünschenswert. Ein weiterer Minuspunkt des Buches sind die schwachen Charakterzeichnungen – abgesehen von der fragwürdigen, fast romantisierenden Darstellung der Yakuza verändert sich das Wesen der Gastschwester Aya im Laufe weniger Seiten. Steht sie Malu anfangs noch distanziert und kühl gegenüber, bezeichnet sie diese schon kurz darauf als ihre Schwester und Familie.
Fazit
„Tokioregen“ ist nicht nur der Debütroman der Autorin Yasmin Shakarami, sondern auch ihre Liebeserklärung an eine faszinierende Stadt, in der sie selbst gelebt hat. Ihre literarische Reise zurück ist eine Coming-of-Age-Geschichte über Selbstfindung, die erste große Liebe, aber auch Verlust und den Umgang mit Naturkatastrophen. Die emotionale und in der zweiten Hälfte des Buches durchaus spannende Geschichte kann leider nicht über erzählerische Schwächen hinwegtäuschen. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, wird mit „Tokioregen“ gut unterhalten – mich hat es leider nicht gänzlich überzeugt.
„Tokioregen“
von Yasmin Shakarami
Taschenbuch (400 Seiten)
Verlag: cbj Jugendbücher
Erschienen am: 20.09.2023
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