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Yamada Rie über das Wesen von Familienfotos | Interview

Kei Okishima
Kei Okishima

Die Fotografin Yamada Rie hat 2017 mit ihrem Werk "Familie werden", für das sie alte Fotografien unterschiedlicher Familien nachgestellt hat, beim Wettbewerb "gute aussichten" gewonnen. Wir haben mit ihr über ihr Projekt und das Wesen von Familienfotos gesprochen.

Foto aus dem Projekt "Familie werden" von Yamada Rie
© Rie Yamada

Für ihr Werk „Familie werden“ wurde Yamada Rie beim Wettbewerb „gute aussichten – junge deutsche Fotografie“ ausgezeichnet. Sie inszenierte sich in dem Projekt selbst, indem sie alte Familienfotos aus Japan und Deutschland sammelte und nachstellte. Damit hat Yamada den Fotos der ihr unbekannten Familien, die oftmals in Kisten und Alben verstaubt waren, neuen Atem eingehaucht.

Profil: Yamada Rie

1984 in Nagoya geboren. Kam 2011 nach Deutschland und studiert seit 2013 Visuelle Kommunikation an der Weißensee Kunsthochschule Berlin. Sie ist derzeit dort im Master eingeschrieben. 2017 gewann sie mit „Familie werden“ beim Wettbewerb „gute aussichten“. Die prämierte Ausstellung war 2017/2018 in verschiedenen Ländern der Welt zu sehen.

Die japanische Fotografin Yamada Rie
© Rie Yamada

Interview mit Yamada Rie

Weshalb hat Ihr Weg Sie nach Deutschland geführt?

Seit ich den Entschluss gefasst hatte, Fotografin zu werden, haben mich deutsche Fotografen und deren Werke stark beeinflusst. Deshalb wollte ich unbedingt hier studieren. Schon in der Schule hatte ich Deutsch gelernt. Ich denke, die Auseinandersetzung mit der Sprache und der Kultur war ausschlaggebend für diese Entwicklung. Hier fühle ich mich wie ich selbst und ich möchte für immer hier leben.

Welches Konzept steckt hinter dem Projekt „Familie werden“?

Heutzutage können auch Individuen eine gesellschaftliche Einheit bilden, Familie ist ein komplexes Thema. Anhand der Fotos habe ich zunächst in die Vergangenheit der Familien geblickt, um diese kennenzulernen.
Als Motiv taucht die „Familie“ in der Kunst- und Fotografiegeschichte immer wieder auf. Eine Familie ist eine Gruppe von Menschen, die einen gemeinsamen kulturellen und historischen Hintergrund haben.

Familienfotografien spiegeln auch die zeitlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten wider. Durch die Verbreitung von Kameras ist die Familienfotografie ein sehr weit gefächertes und populäres Genre, dem wir alle nahestehen. Doch die meisten Fotos, mit denen ich arbeitete, schlummerten über Jahre hinweg in Fotokisten und -alben. Das große Tōhoku-Erdbeben und der nachfolgende Tsunami 2011 spülten vielen Familien ihre Fotos und Erinnerungsstücke hinfort. Ich wusste von einem Projekt, das diese Fotos gesammelt und an die Eigentümer zurückgegeben hat. Auch deshalb beschäftigte ich mich mit der Bedeutung von Familien und deren Fotos.

Wie sind Sie bei der Nachstellung der Fotos vorgegangen?

Vom Beginn der Nachforschungen bis zur Ausstellung sind etwa vier Monate vergangen, deshalb habe ich mit mehreren Familien gleichzeitig gearbeitet. Bei manchen dauerte es nur etwa eine Woche, bei anderen mehr als zwei, alle Requisiten vorzubereiten. Die originalen Fotos der deutschen Familien fand ich auf dem Flohmarkt, die japanischen bei einer Online-Auktion.

Um die Hintergründe der Aufnahmen zu begreifen, bat ich Universitätsdozenten, Kollegen aus dem Studio und Freunde um Hilfe, Hinweise auf den Fotos zu entdecken. Die Hochschule, die ich besuche, befindet sich im ehemaligen Ost-Berlin und viele der Leute kennen sich dort gut aus. Die Vorbereitungen liefen deshalb viel glatter als ich ursprünglich erwartet hatte. Zu jeder Familie mussten mindestens 100 Fotos existieren. Alleine hätte ich es nie schaffen können, aber ich habe so viel Untersützung von meinem Umfeld erhalten, dass es gar nicht so schwer war, das Jahr und den Ort der Aufnahmen zu identifizieren.

Worauf haben Sie bei der Nachstellung geachtet?

Obwohl natürlich die Szenerien, die Möbel und auch die Kleidung ganz anders waren, hatte ich nicht das Gefühl, der Prozess würde sich zwischen den Fotos der deutschen und der japanischen Familien unterscheiden. Es waren Studioaufnahmen dabei, die das Bild einer musterhaften Familie präsentierten, aber auch Schnappschüsse und Momentaufnahmen, mit denen man in die Geschichten der Familien eintauchen konnte. In meiner Vorstellung gingen all diese Geschichten noch weiter und ich hoffte, dass es auch wirklich so war.

Foto aus dem Projekt "Familie werden" von Yamada Rie
© Rie Yamada

Warum werden heute nicht mehr so viele Familienfotos gemacht?

Der Akt des Fotografierens ist ein sehr persönlicher geworden, der Fokus hat sich in Richtung Selfies und Alltagsfotografie verschoben. Aber ich finde, wir sollten trotzdem weiter Familienfotos machen. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu sagte, Fotos stärken und festigen die Familienbande, weil sie ihr Ausdruck verleihen. Gemeinsam ein Foto aufzunehmen, das verbindet.

Natürlich kann es sein, dass das Foto nur die Form einer Familie annimmt, aber es kann auch gut passieren, dass die Familie näher zusammenrückt. Und wir haben den Beweis geliefert, dass die Familien existierten. Mit der weiten Verbreitung und Digitalisierung von Fotos müssen wir über die Zukunft der Familienfotos nachdenken. Und damit natürlich auch über die Form der Familie, die sich mit der Gesellschaft wandelt.

Dieses Werk zeigt viele verschiedene Perspektiven.

Ich wurde mal von einem feministischen Magazin interviewt. Damals bat man mich, die Tatsache zu kommentieren, dass auf vielen der Fotos Frauen abgelichtet sind. Ich erinnere mich, gedacht zu haben: „Stimmt.“ Viele der Fotos, mit denen ich gearbeitet habe, stammen jedoch aus einer Zeit vor Digital- und Handykameras. Früher haben wohl öfter Männer ihre Frauen fotografiert. Aber seit der Entwicklung des Autofokus in den 1970er Jahren, gibt es viele Fotos, für die Familienmitglieder sich gegenseitig fotografiert haben.

Die Austellung war auch außerhalb Japans und Deutschlands zu sehen. Gab es unterschiedliche Reaktionen?

Neben Deutschland und Japan wurde die Ausstellung auch in London, Paris, Hanoi, Mexiko und Serbien gezeigt, aber ich habe nur die in Paris besucht. Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Reaktionen in den verschiedenen Ländern unterschiedlich ausgefallen sind. Die Besucher entwickeln nostalgische, sympathische Gefühle für die Fotos fremder Familien, bei deren Anblick sie sich an ihre eigenen Familien erinnern.

Welche Themen waren Ihnen in der Vergangenheit wichtig?

Bevor ich nach Deutschland kam und auch noch direkt nach meiner Ankunft war ich sehr an den Geschichten von Menschen mit ähnlichen Umständen wie meinen interessiert. Ich verspürte ein Gefühl der Erleichterung, einerseits, Grenzen zu ziehen und andererseits, Verbundenheit zu erleben. Die Städte werden voller und die Menschen haben das Bedürfnis nach Räumen für sich. Ich drückte die individuellen Geschichten meiner Fotoobjekte, deren Einsamkeit und manchmal auch deren eigene Welt aus. Erst nachdem ich mich an das Leben in Deutschland gewöhnt hatte, wanderte mein Blick von Individuen zu Familien.

Woran werden Sie in Zukunft arbeiten?

„Familie werden“ ist Teil einer Trilogie über Familien. Deren Geschichten reichen von der Vergangenheit ins Heute und dauern bis in die Zukunft an. Derzeit recherchiere ich also zur Gegenwart und Zukunft.


Dieser Artikel wurde für die Juli-Ausgabe des JAPANDIGEST 2019 von Kei Okishima verfasst und  für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.

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