Japan - mit dem zug von Nord nach Süd 19-Tage-Studienreise

„Japanese Lesson“: Im Gespräch mit dem Fotografenduo Oliver Sieber und Katja Stuke

Christiane Süßel
Christiane Süßel

Das Fotografenduo Oliver Sieber und Katja Stuke beschäftigt sich in seinen Werken viel mit Japan, porträtiert Randgruppen und beleuchtet die im Verborgenen liegenden Seiten des Landes. Unsere Autorin hat mit beiden über ihr Schaffen und ihre Faszination für Japan gesprochen.

Lenneth, von Oliver Sieber
© Oliver Sieber, Lenneth, Osaka 2006, aus der Serie »Character Thieves«

Oliver Sieber und Katja Stuke haben als Fotografen eine eigene Sicht auf Japan. Das Künstlerpaar taucht mit seiner Arbeit unter die Hochglanz-Oberfläche von Kirschblüte und Kimono. Ihre Foto-Sequenzen werfen ein Licht auf Randgruppen, soziale Strukturen und auf deren geografische Manifestation. Wenn die beiden Düsseldorfer Cosplayer oder Musikfans ablichten, dann geht es ihnen nur vordergründig um die Ästhetik der Kleidung sondern vielmehr um die Frage, wie Japaner in einer Sub-Kultur ihre Identität inszenieren.

„Wenn ich in Paris bin, bin ich zugleich im Kopf auch in Düsseldorf oder in Tōkyō“

„Im Kopf ist man zugleich an vielen Orten“, sagt Oliver. Erfahrungen und Eindrücke nimmt man immer mit. „Wenn ich in Paris bin, bin ich zugleich im Kopf auch in Düsseldorf oder in Tōkyō“, erklärt der Düsseldorfer Fotograf. Und so lässt sich der japanische Einfluss auf die Arbeit von Oliver Sieber und Katja Stuke auch nicht klar abgrenzen.

Das Interesse des Künstlerpaars an Japan beginnt, als Cosplay als große Welle auch nach Deutschland schwappt. Plötzlich steht Japan besonders in Düsseldorf nicht länger nur für Kirschblüte und Teezeremonie. Manga und Anime transportieren vor allem bei Jugendlichen das schrille Image von „Cool Japan“. Oliver beginnt sich dem Phänomen mit seiner Kamera zu nähern. Von 2005 bis 2007 arbeitet er an einem Projekt, in dem er die Jugendlichen hinter ihrem Kostüm in den Sucher nimmt. Er fotografiert sie im öffentlichen Raum auf Conventions aber auch ganz privat zu Hause.

aus der Serie Osaka Public, von Katja Stke
© Katja Stuke, aus der Serie »CCTV / Osaka Public« 2006

„Wir wurden erschlagen von dem touristischen Blick.”

Irgendwann kommt der Plan auf, den Ursprung der neuen Pop-Kultur in Japan zu suchen. Auf ihrer ersten dreiwöchigen Reise nach Japan landen die beiden 2005 in einer günstigen Absteige in Minowa, im Nordosten Tōkyōs, nahe dem Bezirk Sanya, einem Stadtteil, in dem traditionell viele Tagelöhner und Outcasts wohnen. Von da aus gehen sie auf Streifzüge durch die Megapole, zu den Leuchtreklamen im Vergnügungsviertel in Kabuki-chō, zu den Menschenmassen in Shibuya und in das Second-Hand-Paradies für Otakus Mandarake: „Wir wurden erschlagen von dem touristischen Blick. Es ist schon sehr verführerisch, das zu fotografieren.“ Zugleich finden sie in Minowa fernab von der Hochglanzwelt das sogenannte „Deep Japan“, das von Randgruppen geprägte Gesicht eines Tōkyōter Viertels, das sich inzwischen auch langsam verändert.

2006 erhalten die beiden ein dreimonatiges Stipendium im Rahmen eines Kunstaustausches zwischen Düsseldorf und Ōsaka. Das erlaubt ihnen, tiefer unter die scheinbare Fassade der Phänomene einzutauchen. Oliver tingelt durch Clubs und arbeitet an einer Serie zu J-Subs: Er porträtiert Musiker und Fans unterschiedlicher Musikrichtungen vor einem nüchternen weißen Hintergrund.

aus der Serie J_Subs, von Oliver Sieber
© Oliver Sieber, aus der Serie J_Subs, Osaka 2006

Dank der Hilfe von zwei Kuratorinnen des „Cultural Office“ der Präfektur Ōsaka werden die beiden Fotografen „herumgereicht“, haben Übersetzer, die ihnen bei ihren Fotosessions Türen öffnen und sie arbeiten im bereitgestellten Atelier auf eine eigene Ausstellung hin. Sie bewegen sich in einer Szene von Künstlern, Designern und Musikern, die anders als das hierarchische Mainstream-Japan funktioniert. Viele der Kreativen, auf die sie treffen, betreiben als kleine Communities winzige Bars, Geschäfte und Hostels, um sich als Künstler zu finanzieren.

Oliver und Katja wohnen häufig in Konohana, mitten in Ōsaka. Es entstehen Fotos von Menschen aber auch von den einprägsamen Gesichtern der Stadt. Die Schüsse sind keine Fotos, die etwas abbilden. Es sind Momentaufnahmen, die wie kleine Filmsequenzen Geschichten erzählen. Katja blättert in einem Heft, in dem eigene Schnappschüsse, Zug-Tickets, Bierdeckel, Flyer von Hundecafés oder auch Visitenkarten ihres Besuchs zu einem Gesamtkunstwerk kompilieren.

Moon over Konohana von Katja Stuke
© Katja Stuke, Moon over Konohana, 2014

„Erst im Nachhinein entdeckt man Details, die man beim Laufen gar nicht wahrgenommen hat“

Irgendwann beginnen die beiden die Stadtgrenzen von Sanya in Tōkyō oder Nishinari in Ōsaka abzulaufen, beides Viertel, die von Tagelöhnern bevölkert sind und weit weg vom Hochglanz-Japan liegen. Ungefähr alle 50 Meter schießen sie stoisch Fotos. „Erst im Nachhinein entdeckt man Details, die man beim Laufen gar nicht wahrgenommen hat“, erzählt Katja.

Bis zu 400 Fotos entstehen auf solchen Walks: Häuser und Straßenszenen, Menschen und Autos malen eine soziale Landschaft, zeigen, welche Faktoren die soziale Identität bestimmen. „Rechts der Straße geht es den Anwohnern gut, weil sie im vermeintlich „richtigen“ Viertel wohnen. Die Menschen links der Straße haben aber vielleicht allein schon durch ihre Postleitzahl einen schwierigen sozialen Stand“, erklärt Katja das Konzept der Arbeiten.

Blonder Engel, von Oliver Sieber
© Oliver Sieber, Blonder Engel, aus der Serie Imaginary Club, Osaka 2008

„Die Japaner gehen mit dem Medium Fotografie emotionaler um“

In Ōsaka liefert sich Katja mit einem japanischen Freund ein Foto-Battle. Mit Wegwerfkameras gehen sie auf Motivjagd, versuchen sich mit immer neuen Motiven gegenseitig zu überbieten und später bei der Installation der Fotos in einer Galerie diese Kommunikation weiter zu treiben. Die speziell japanische Sicht ihrer Fotografen-Freunde bereichert.

„Die Japaner gehen mit dem Medium Fotografie emotionaler um“, sagt Katja. Über die Jahre haben beide ein paar japanische Floskeln gelernt, können Katakana und ein paar wenige Kanji lesen. Mit vielen ihrer japanischen Künstlerfreunden kommunizieren sie aber eher nonverbal oder auch über ihre Arbeiten, denn ihre Fotos wirken gewollt oft wie Sequenzen komplexer Geschichten und sprechen von den porträtierten Menschen und Szenen.

aus der Serie »CCTV / Osaka Public«, von Katja Stuke
© Katja Stuke, aus der Serie »CCTV / Osaka Public« Osaka 2006
aus der Serie »Supernatural«, von Katja Stuke
© Katja Stuke, aus der Serie »Supernatural«, 2016

Ihren Blick für den Umgang mit Bild und Text haben sie schon im Studium in Düsseldorf geschärft, wo sie „Visuelle Kommunikation“ studiert haben. Ihre Arbeit folgt wie die Walks meist einem Konzept. Dabei inspirieren die beiden u.a. auch die Arbeiten des bekannten japanischen Fotokünstlers Daidō Moriyama. Und sie spielen mit der japanischen Tradition des Fotobuchs, das oft mit Kopierern vervielfältigt und ohne große Kosten hergestellt und verbreitet werden kann.

Zu manchen Künstlern bauen Oliver und Katja auch trotz Sprachbarriere eine fast familiäre Beziehung auf und so reisen sie seit 2005 jedes Jahr nach Japan, treffen Freunde, besuchen deren Ausstellungen und haben inzwischen einen regen Kunstaustausch organisiert. Unter anderem auch mit dem Düsseldorfer Kulturamt holen sie japanische Künstler im Rahmen von Kulturaustausch-Programmen nach Düsseldorf und bieten ihnen auch zunächst in ihrem Online-Ausstellungsraum, später auch in der Ausstellungsreihe ANT!FOTO ein Forum.

„Es war erschütternd die Schäden zu sehen, aber ich empfand es als nicht passend, schöne Fotos von Trümmern zu machen“

Als im Frühjahr 2011 Lieko Shiga, eine Künstlerin aus Sendai, in Düsseldorf zu Gast ist, rückt die Dreifach-Katastrophe von Fukushima plötzlich ganz nah. Die in Düsseldorf versammelte japanische Künstlerszene fiebert mit den Ereignissen in Japan mit, blickt aber auch kritisch auf die Politik. „Da in solchen Situationen die Gelder für die Kunst als erstes gestrichen werden, haben wir eine Kunst-Tombola auf die Beine gestellt“, erzählt Katja. Künstler spenden ein Kunstwerk und den Verkaufserlös von immerhin 20.000 Euro schicken sie nach Tōhoku. 2012 reisen die beiden selbst durch den Norden Japans. „Es war erschütternd die Schäden zu sehen, aber ich empfand es als nicht passend, schöne Fotos von Trümmern zu machen“, reflektiert Oliver.

Das Erdbeben mit dem folgenden Tsunami und der Atomkatastrophe politisiert das Düsseldorfer Künstlerduo. Sie laufen während ihres nächsten Japanbesuchs bei Demos mit und treffen in Activist Shops politisch engagierte Leute, darunter auch bekannte Fotokünstler, die gegen die Politik aufbegehren, die schon die Studentenproteste in den 1960er Jahren und später den Widerstand gegen den Flughafenbau in Narita mit ihrer Kamera dokumentiert haben. In den Gesprächen geht es immer auch um die Schattenseiten der japanischen Gesellschaft. Und die beiden gewinnen einen neuen Blick auf ihre Anfänge in Japan in Sanya und Nishinari. Ihr Interesse an Japan wächst über Pop-Kulturen hinaus und schwenkt hin zu sozialen Randgruppen.

Japanese Lesson, Sanya, von Stuke / Sieber
© Stuke / Sieber, Japanese Lesson, Sanya 2017
Konohana Walk, von Oliver Sieber
© Oliver Sieber, Konohana Walk, 2014/2019

Heute sind es Themen wie das Spannungsverhältnis von „public“ und „private“, die beide faszinieren. Aktuell fokussieren sie ihre Arbeit auf die Veränderungen im Vorfeld der Olympischen Spiele in Tōkyō und der Expo in Ōsaka, die 2025 in Konohana stattfinden wird: „Was passiert da baulich und welche Zukunftsversprechen werden tatsächlich eingelöst bei solchen Megaevents?“ Und: „Wem gehört eigentlich die Stadt, wenn etwa Obdachlose für Neubauten vertrieben werden?“ Um Vergleiche zu ziehen, machen sie ähnliche Walks wie in Tōkyō und Ōsaka auch in anderen Städten, unter anderem auch in Paris. „Demnächst wollen wir uns das Ruhrgebiet vornehmen“, plant Katja.

Yumeshima Expo 2025, von Stuke / Sieber
© Stuke / Sieber, Yumeshima Expo 2025, Osaka 2019

„Japan ist dabei wie eine Art Matrix, von der aus man Dinge versteht“

Fotografie ist für beide die Möglichkeit, Dinge zu formulieren, die sie interessieren. „Japan ist dabei wie eine Art Matrix, von der aus man Dinge versteht“, erklärt Oliver. Durch den Blick auf Japan weitet sich die Wahrnehmung für irgendwann gesehene Filme, gelesene Bücher und prägende Erlebnisse.

Dazu gehört auch die Erfahrung, die sie in Japan gemacht haben, nicht dazu zu gehören, Fremde zu sein. „Das bereichert den eigenen Blick“, sagt Katja. In diesem Sinn stellen sie einen Teil ihrer Arbeit unter den Titel „Japanese Lesson“. Und so ist ihre Sicht auf Japan auch immer im Gepäck, wenn sie durch die Welt reisen und nach neuen Fotomotiven suchen.

Japanese Lesson, A book to come, von Stuke / Sieber
© Katja Stuke & Oliver Sieber, Japanese Lesson, A book to come, 2017
Katja Stuke & Oliver Sieber, Japanese Lesson, Nishinari, von Sieber / Stucke
© Katja Stuke & Oliver Sieber, Katja Stuke & Oliver Sieber, Japanese Lesson, Nishinari, 2017 2017

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