Im November 2004 öffnete der neue Anbau des berühmten Museum of Modern Art in New York unter Lob der Kritiker seine Türen. Aus einer Auswahl wetteifender Architekten beauftragte das MoMa den eher unbekannten Tōkyōter Architekten Taniguchi Yoshio mit der Durchführung des ambitionierten Projekts. Dieses wurde nach Vollendung von der New York Times als “eines der exquisitesten Werke der New Yorker Architektur seit mindestens einer Generation” bejubelt. Taniguchi wurde, gemeinsam mit dem in Hiroshima geborenen Modedesigner Miyake Issey und anderen, der Praemium Imperiale-Preis für herausragende Leistungen in Kunst und Kultur von der Japan Art Association verliehen.
Anderswo hatte Taniguchi ein Projekt mit wesentlich weniger Bekanntheit entwickelt, das etwas früher im selben Jahr enthüllt wurde. Ein Projekt mit einem gemunkelten Budget von 400 Millionen US Dollar (knapp 340 Millionen Euro; Stand Mai 2018), und zwar in Hiroshima.
Die Naka Verbrennungsanlage der Stadt Hiroshima, eine Abfallverarbeitungsfabrik, ist ein visionärer, architektonischer Leckerbissen. Wie ein gigantischer Torbogen ragt das Gebäude zwischen dem blauen Himmel und dem Meer empor, am Ende der Yoshijima-dōri, der Straße, die vom Friedenspark bis hinunter an die Seto-Inlandsee führt.
Hinter den gläsernen Wänden dieses Atriums, dem Ecorium, lassen gigantische “Gaswäscher” und “Schlackverbrenner” uns bloße Sterbliche unserer Größe bewusst werden. 5 cm große Plasmabildschirme (versuchen Sie, sie zu finden) führen uns durch die Argumente für umweltfreundliche Ansätze der Abfallwirtschaft. Vor den großen Öfen der Müll-Hölle finden sich in der baumgesäumten Allee im Inneren der Anlage zahlreiche visuelle und interatkive Aushänge. Von einem in zwei geteilten Wagen der Müllabfuhr über Touchscreen-Präsentationen bis hin zu einem Modell der Fabrikinnereien ist hier alles zum Erklären entworfen.
Der Architekt selbst betitelte das Gebäude als sein “Museum des Mülls”, das mit seinem industriellen Exhibitionismus bei den Besuchern einen bewussten Umgang mit Abfall und Recycling anregen soll. Die Anlage ist ein Teil der Initiative Hiroshima 2045: Stadt des Friedens und der Kreativität, die die Stadtplanung im Jahrhundert nach der Verwüstung durch den Atombombenabwurf überdenkt. In der Anlage werden drei Mal täglich je 200 Tonnen Müll verarbeitet und dabei 12.500 Kilowatt generiert. Den Abfall einer 1.2 Millionen-Stadt (Stand Oktober 2017) kann man nicht verbergen. Stattdessen setzt die Anlage ein kühnes Statement an der Grenze zwischen der urbanen und der natürlichen Welt.
Etwa 150 Meter hinter dem Fußgängerweg betreten Sie eine Aussichtsplattform, die einen Wasserskulptur-Garten, einen grasbedeckten Park sowie die schöne Bucht von Hiroshima überblickt. Ideal für Familienpicknicke, Gateball-Turniere (zumindest beim letzten Besuch des Autors) oder einem Spaziergang mit dem Hund, sollte die Tatsache, dass sich diese Öko-Oase auf Grund und Boden einer Müllverarbeitungsanlage befindet, niemanden abschrecken. Keinerlei Geruch und nur ein leises Summen dringen aus dem Gebäude. Tatsächlich scheint die Anlage einer der reinlichsten Orte der näheren Umgebung zu sein.
Zum Abschluss Ihres Besuchs sollten Sie den Besucherschildern (entworfen von Yagi Tamotsu, bekannt von Bennetton, Apple Store und Esprit) dem Aufzug hinauf zur Aussichtsplattform im sechsten Stock folgen. Von dort gewähren Fenster einen Einblick in die Fabrik. Die Aussicht über die Inseln in der Bucht, das Stadtzentrum Hiroshimas und darüber hinaus ist außerdem beeindruckend.
Alles in allem ist die Anlage ein toller Ort für einen Besuch mit den Kindern, den Eltern oder, lustigerweise, auch für ein romantisches Date.
So erreichen Sie die Naka Verbrennungsanlage
Folgen Sie der Yoshijima-dōri vom Friedenspark in Richtung Süden bis es nicht mehr weiter geht. Die Anlage ist schwer übersehbar. Alternativ können Sie den Bus Nr. 24 (Abfahrt vom Bahnhof Hiroshima) bis zur Endstation nehmen.
Adresse: 1-5-1 Minamiyoshijima, Naka, Hiroshima
Dieser Artikel wurde am 05. Oktober 2005 von GetHiroshima publiziert und für die Veröffentlichung auf JAPANDIGEST nachbearbeitet.
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