„Was ist das denn für ein Bild?“, stellen viele Leute verdutzt fest, bleiben stehen und machen ein Foto des Gullideckels. Nicht selten wird das Objekt der Verwunderung auch in den sozialen Medien geteilt. Die Zahl solcher sogenannten Designer-Kanaldeckel hat über die letzten Jahre stetig zugenommen. Die Kommunen nutzen diese, um auch über die sonst wenig beachteten Fußwege etwas mehr lokalen Charme an die Leute weiterzugeben. Mit der Einführung der Designer-Gullideckel begann man vor mehr als 30 Jahren im Einzugsgebiet des Flusses Kamanashigawa. Der Boom, lokale Regionen zu besuchen, machte keinen Halt vor den Schachtabdeckungen. Immer mehr Leute reisen in letzter Zeit aus anderen Präfekturen an, um die verschiedenen Motive der Deckel zu betrachten.
Kai City
Kai City wurde am 1. September 2004 aus den ehemaligen Gemeinden Futaba, Ryūō und Shikishima gegründet. „Zur zehnjährigen Stadtgründungsfeier von Kai City in 2015 wurde auf einem Kanaldeckel ein besonderes Bild verewigt: das Maskottchen der Stadt, ‚Yahatainu‘, nebst dem lokalen Motiv des wellenbrechenden Shingen-Damms; im Hintergrund der Berg Kayagatake. Zu den inzwischen drei bunten Schachtabdeckungen der ehemaligen Gemeinden, welche es nunmehr auch abgedruckt auf Info-Kärtchen gibt, kam so die neue Szene hinzu“, berichten Herr Nakashima und Herr Kurachi der Stadtentwässerung Kai Citys. „Weiterhin wird gerade am neuesten Motiv gearbeitet, dem ‚Yakusoku no sakura‘, welches Yahatainu samt Schulranzen vor einem Kirschbaum am neuen Bahnhof zeigt. Dieses den Kindern der Stadt gewidmete Bild soll zu den fertigen Erneuerungsarbeiten des Shiozaki-Bahnhofs veröffentlicht werden.“ Der Titel des Motivs bezieht sich dabei auf das Versprechen an die Grundschüler Kai Citys, der vor dem alten Bahnhof stehende Kirschbaum werde nicht zugunsten des neuen Bahnhofs gefällt. Viele der Grundschüler, die das Fortbestehen des Baums wünschten, bereiten sich nunmehr auf die kommenden drei Jahre der Mittelstufe vor. Das Bild des Baumes soll sie so auch symbolisch daran erinnern, ihre Prüfungen zu meistern (sakurasaku – Prüfungen bestehen; wörtl. „Aufblühen der Kirschblüten“) und nicht durchzufallen. Dies passt auch zur ursprünglichen Aufgabe der bunten Kanaldeckel; sie sind schließlich dazu da, einen Absturz zu verhindern.
Chūō City
In Chūō City gibt es vier verschiedene Designer-Gullideckel. Die ebenfalls aus drei Gemeinden (Tatomi-chō, Tamaho-chō und Hōfu-chō) zusammengelegte Stadt, besitzt drei Kanaldeckel mit Designs, die die ehemals einzelnen Städte repräsentieren und einen, der die spätere Gründung von Chūō City zelebriert. Tatomi-chōs Deckel ist mit Rosen verziert, Tamaho-chōs mit dreifarbigen Veilchen und auf Hōfu-chōs befinden sich verpuppte Seidenraupen auf Maulbeerblättern. Ferner bildet die an Chūō City gewidmete Schachtabdeckung einen fliegenden Reiher vor Kirsch- und Lotusblüten ab. Das Symbol der Stadt ist in der Mitte eingebettet.
Alle Motive sind charakteristisch für die jeweiligen Regionen und demonstrieren auf diese Weise die Spezialitäten und Besonderheiten der Orte. So ist es durchaus amüsant, gerade von Kanaldeckeln die lokalen Ortscharakteristika vermittelt zu bekommen. Diese Abdeckungen, welche das unter ihnen her strömende Kanalwasser verdecken, haben vielleicht kein inhärent attraktives Image, aber durch den Einsatz verschiedener PR-Methoden, welche den Fokus auf die bunten Bilder als ausschlaggebendes Merkmal lenken, kann auch dieser Eindruck zum Positiven gewendet werden.
Weiterhin gibt es eine Vielzahl an Merchandise zu den Designer-Gullideckeln: Info-Kärtchen, Anstecknadeln, Repliken der bunten Deckel und vieles mehr. Vor allem Letztere wurden vermehrt bei der Herstellerfirma der Schachtabdeckungen angefragt, sodass es nun auch Untersetzer im Maßstab 1:6 zum Original zu kaufen gibt.
„Die landesweite Reaktion auf die Info-Kärtchen ist weitaus größer als wir zunächst erwarteten“, erzählen Herr Tanaka und Herr Endō des Chūō City-Stadtentwässerungsbetriebs. „Besucher aus dem ganzen Land kommen hierher, um sich die Deckelmotive anzuschauen und die Info-Kärtchen zu kaufen. Gerade wegen der von weit herreisenden Touristen haben wir angefangen, mehr Merchandise zu produzieren. Auf diese Weise wollen wir das Interesse der Leute an unserer Stadt vertiefen.“ „Wir haben sogar T-Shirts auf eigene Kosten bedrucken lassen“, beteuern beide lachend. „Der Fall der Designer-Kanaldeckel hat uns gezeigt, dass es noch viele unentdeckte Möglichkeiten gibt, anhand welcher man die Stadt revitalisieren kann. Durch unsere Aktivitäten möchten wir in den Menschen schließlich ein Interesse für die Stadtentwässerung wecken und diese Gelegenheit dafür nutzen, ihnen gleichermaßen die Besonderheiten unserer Region zu vermitteln.“
Die Schachtabdeckungen haben sich somit zu einer wertvollen Sache entwickelt, welche die lokalen Charakterzüge oder den historischen Hintergrund der Gegenden auf innovative Weise hervorhebt. Weil auch die Anzahl an Instagram-Posts über die bunten Deckel zunimmt, kann es sich durchaus lohnen, die Geschichte der Deckel weiter zu verfolgen.
Shōwa-machi
Auf den Kanalabdeckungen der Kleinstadt kann man die Abbilder des genjibotaru (Genji-Leuchtkäfer) auffinden. Dieser tummelt sich vor dem Hintergrund eines klaren Bachs und dem Sternhimmel Shōwa-machis.
„Genau wie jene Designs von Kai City und Chūō City, wurde die Ausgestaltung unserer Kanaldeckel 1986 entworfen und hat daher eine über 30-jährige Geschichte“, erläutern Herr Mochizuki und Herr Kunugi von der Stadtentwässerung. „Das Areal der heutigen Kleinstadt war früher, als es noch zahllose, üppig getränkte Reisfelder beheimatete, ein Sammelpunkt der Genji-Leuchtkäfer. Im Laufe der Zeit verstädterte das Gebiet jedoch zunehmend und die daraus resultierende Verschmutzung der Wasserreservate sorgte für ein Verschwinden der Insekten. Wir wollen daher mit unserem Kanaldeckel-Design auch unseren Wunsch ausdrücken, die Stadt wieder in ein Paradies für die Genji-Leuchtkäfer zu verwandeln. Wenn wir weiterhin das Ziel einer fortwährend hochwertigen Abwassersäuberung verfolgen und die Bäche und Flüsse wieder unbelastet fließen können, dann wird auch der Leuchtkäfer in unsere Stadt zurückkehren.“
Das Gebiet von Shōwa-machi wird als „wasserreich“ bezeichnet und gräbt man dort ein Loch von nur etwa zwei Metern Tiefe, quillt einem alsbald das kühle Nass entgegen: „Der hohe Grundwasserspiegel, welcher die Konstruktion neuer Abwasserkanäle verkompliziert, ist ein nicht unerhebliches Problem“, führen die Experten aus. „Die Instandhaltung der Abwassersysteme unserer Stadt steht generell vor einzigartigen Schwierigkeiten. Eine fundamentale Weisheit der Stadtentwässerung lautet ‚natürlich bergab fließend‘ und bezieht sich auf das Prinzip, dass man ein Entwässerungssystem immer von höher gelegenen Ebenen hin zu niedrigeren entwirft. Shōwa-machi liegt allerdings in Flachland, weshalb sich die Umsetzung dieser Weisheit als sehr problematisch gestaltet.“
Trotz der Hindernisse konnte die Stadt ihre Instandhaltungs- und Ausbauarbeiten des Kanalsystems bereits zu 80 % abschließen. „Idealerweise haben wir alle Planbereiche in sechs oder sieben Jahren saniert, sodass jeder Haushalt vom Entwässerungssystem profitieren kann“, berichtet der Planungsbeauftragte. „Neben den Instandhaltungsarbeiten, gibt es weitere zahlreiche Aktionen, den Leuchtkäfer wieder in die Stadt zu locken. Uns ist es mittlerweile gelungen, das Insekt wieder im Nassgebiet, das dem Dr. Sugiura Gedenkmuseum angrenzt, anzusiedeln. Obwohl die Kanalisation eine unabdingbare Infrastruktur des heutigen Lebens darstellt, begreifen manche Leute deren Wichtigkeit einfach nicht. Während wir diese fundamentale Funktion des Systems auf richtige Weise vermitteln wollen, ist es auch unser stiller Wunsch, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern und die Naturbelassenheit der Stadtumgebung zu fördern. Wenn ich morgens an einem Kanaldeckel mit den genjibotaru vorbeikomme, muss ich stets an all die Leute denken, die dabei mitwirken unsere Stadt praktisch, aber gleichzeitig auch lebenswürdiger, zu gestalten.“
Dieser Artikel wurde in der Novemberausgabe 2018 des Magazins ParuPi herausgegeben und für die Veröffentlichung auf JAPANDIGEST von Nils Gärtner übersetzt und nachbearbeitet.
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