Ob als göttliche Boten, freundliche Helfer oder listige Trickser – Tiere sind in der japanischen Mythologie, Folklore und Religion allgegenwärtig. Nicht selten haben Symboliken und Darstellungen ihren Ursprung in China, die insbesondere während der Heian-Zeit (794-1185) nach Japan kamen. Viele der Mythen, in denen tierische Wesen auftauchen, wurden erstmals in Japans ältesten Schriftwerken, dem Kojiki (ca. 712) sowie dem Nihon shoki (ca. 720), erwähnt. Auch in der heutigen Zeit sind jene Tiere vielerorts anzutreffen, sei es als Gegenstand traditioneller Bräuche oder in der Popkultur. Wir stellen sieben Tiere und Fabelwesen sowie ihre Bedeutung genauer vor.
Der Koi
Untrennbar mit der westlichen Vorstellung von Japan und dessen Kunst und Ästhetik verbunden ist der japanische Koi-Karpfen. Man findet ihn sowohl in traditionellen Gärten als typischen Teichbewohner, als auch in diversen Sagen, die ihm viele positive Eigenschaften zuschreiben. Einer berühmten chinesischen Legende zufolge schwimmen diese Fische gegen die gefährlichen, reißenden Strömungen des Gelben Flusses an. Jene, die es die mächtigen Wasserfälle hinauf bis zum Drachentor schaffen, verwandeln sich in prächtige Drachen, die in den Himmel emporsteigen können.
Kois gelten daher als Symbol für Durchhaltevermögen, Ehrgeiz und Mut, aber auch für Glück und Langlebigkeit. Das macht sie zu einem beliebten Motiv in der traditionellen Tattoo-Kunst irezumi. Am Kindertag, dem 05. Mai, sind die Fische häufig als farbenfrohe Flaggen in ganz Japan zu sehen – sie sind ein Ausdruck des elterlichen Wunsches, ihre Kinder mögen so stark und erfolgreich wie der Koi werden.
Der tanuki
Als geliebter Bestandteil der japanischen Folklore sieht man vielerorts kleine Statuen eines tanuki, z.B. vor Gebäuden oder Schreinen. Diese zeigen es typischerweise als rundliches, Waschbär-ähnliches Wesen mit Strohhut, einer Flasche Sake, großen Augen und noch größeren Testikeln. Die Folklore sagt den tanuki magische Fähigkeiten nach, mit denen sie sich in Objekte, Tiere oder sogar Menschen verwandeln können. Sie seien fröhliche und schelmische Reisende, die ihre Kräfte dazu nutzen, den Menschen auch einmal Streiche zu spielen. In der modernen Zeit hat besonders der Ghibli-Film „Pom Poko“ (1994), der die tanuki als soziale und Spaß liebende Wesen darstellt, zu diesem Image beigetragen.
Wussten Sie aber, dass es tanuki wirklich gibt? Nicht zu verwechseln mit Mardern oder Waschbären, sind sie – auf Deutsch auch „Marderhunde“ genannt – nachtaktive, in Ostasien heimische Tiere aus der Familie der Hunde, die im wahren Leben wenig mit dieser drolligen Vorstellung gemeinsam haben.
Der Fuchs
Der Fuchs (kitsune), spielt besonders im Shintōismus eine wichtige Rolle, denn er gilt als heiliger Vertrauter des Inari, Gott des Reises und der Fruchtbarkeit. In ganz Japan sind Inari unzählige Schreine gewidmet – der Fushimi Inari Taisha in Kyōto mit seinen tausenden, zinnoberroten torii gehört zu den berühmtesten. Kitsune gelten als intelligente Glücksbringer und Gestaltenwandler mit magischen Kräften und bis zu neun Schwänzen. Je nach Erzählung sind sie aber auch durchtrieben und rachsüchtig. Wenn sie ein gewisses Alter erreichen, können sie angeblich die Gestalt von Menschen annehmen, bevorzugt eine weibliche.
Während der Edo-Zeit (1603-1868) existierte der Aberglaube, dass eine schöne Frau, der man nachts allein begegnet, ein verwandelter Fuchs sein könnte, der Männer verzaubern will. Daher gelten Füchse auch als Symbol der Weiblichkeit und Sexualität. Eine berühmte Legende (von der es allerdings viele Versionen gibt) einer solchen Fuchsfrau handelt von Kuzunoha, die einen Menschen heiratete und mit ihm sogar ein Kind bekam. Doch als ihr magisches Geheimnis gelüftet wurde, verwandelte sie sich zurück und verließ ihre Familie für immer.
Der Kranich
Der japanische Kranich, genauer gesagt der Mandschurenkranich, ist ein weiteres Tier, das stark mit Japan assoziiert wird. Seine elegante, schlanke Form, das schwarz-weiße Gefieder und das charakteristische rote Haupt sind Gegenstand unzähliger Gedichte und Kunstwerke des vormodernen Japans und Chinas. Als monogame Tiere stehen Kraniche für Glück und Treue, die angeblich bis zu 1.000 Jahre alt werden und den Menschen sogar Wünsche erfüllen können. So handelt das berühmte Märchen Tsuru no ongaeshi von einem verarmten Mann, der einen Kranich vor dem Tod rettet, der sich wiederum aus Dank in eine Frau verwandelt und ihm zu Wohlstand verhilft. Heutzutage gelten Mandschurenkraniche als stark bedrohte Tierart. In Japan sind sie auf der nördlichen Insel Hokkaidō zuhause.
Seit Ende des Zweiten Weltkrieges gilt besonders der Origami-Kranich als Symbol für Frieden und Hoffnung. Dies geht auf die Geschichte des Mädchens Sasaki Sadako zurück, die den Atombombenangriff auf Hiroshima 1945 überlebte, doch später an Leukämie starb. Sie beschloss 1.000 Papier-Kraniche zu falten, damit sich ihr Wunsch nach Heilung und Frieden erfüllen möge.
Der Affe
Da sie in ganz Japan heimisch sind, nehmen Affen (insbesondere die Japanmakaken) häufig eine prominente Stellung in Märchen und Legenden ein. Von Helden bis hin zu bösen Geistern haben sie viele Rollen inne. Mitunter seien sie sogar Boten und Bindeglieder zwischen der göttlichen und menschlichen Welt, wie die Affengottheit Sarugami, die dem Berggott Sannō dient. Als eine der bekanntesten Figuren der chinesischen Folklore fand auch der übermenschlich starke Affenkönig Sun Wukong (auf Japanisch Songokū), der sogar die Elemente manipulieren kann, seinen Weg in die japanische Kunst- und Märchenwelt. Dieser ist die Vorlage für den Charakter Son Goku des weltberühmten Mangas „Dragon Ball“.
Ebenfalls im Westen bekannt sind die drei Affen, die „nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“ (eine berühmte Schnitzerei dieser besichtigen Sie in der heiligen Tempelstadt Nikkō!). Sie gehen auf das japanische Sprichwort mizaru, kikazaru, iwazaru mit derselben Bedeutung zurück. Die Verbendung –zaru ähnelt dem Wort für „Affe“ (saru), woraus sich die Verbindung mit den Tieren ergab.
Der Drache
Der Drache ist womöglich das berühmteste Fabelwesen der Welt. Um ihn ranken sich viele Legenden und je nach Land variieren sein Aussehen und Charakter stark. So auch in Asien, wo der Drache sich durch seinen schlangenartigen, flügellosen Körper sowie – anders als in westlichen Darstellungen – durch seine enge Verbindung zum Wasser auszeichnet. Auch hier wurde das Bild des Drachen maßgeblich durch chinesische Folklore geprägt, die ihm u. a. Tapferkeit, Weisheit und Güte zuweist, selten Böses, Feuer oder Zerstörung.
Eine der ersten drachenähnlichen Darstellungen in japanischen Legenden war Yamata no Orochi, ein achtköpfiges Schlangenwesen, welches vom Sturmgott Susanoo aus dem Himmelsreich verbannt wurde. Auch die Schutzgottheit Ryūjin, manchmal gleichgesetzt mit dem Meeresgott Watatsumi, ist ein Drache, der in einem Palast unter dem Meer lebt und mit magischen Juwelen die Gezeiten beherrscht. Es heißt, der erste japanische Kaiser Jimmu sei sogar dessen Urenkel.
Der Phönix
Der Phönix (hō-ō), ist eine mythologische Kreatur mit Ursprung in China. Als Zeichen für Weisheit, Wohlstand, Glück und Treue war dieses Wesen eng verbunden mit der chinesischen Kaiserfamilie. Frühe Darstellungen zeigen es als geschupptes Hybridwesen mit dem Hals einer Schlange und der Brust einer Gans – später wurde seiner Gestalt eine Mischung aus verschiedenen Vogelarten wie Kranich, Schwalbe, Huhn oder Pfau verliehen. Anders als der Phönix der ägyptischen bzw. griechischen Mythologie wird sein asiatischer Namensvetter nicht aus der eigenen Asche wiedergeboren.
Es heißt, der Phönix erscheint nur, um eine neue Ära, die Geburt eines neuen Herrschers oder den Anbruch von Friedensepochen anzukündigen. Ebenso gilt er als Bringer unruhiger Zeiten, sobald seine Gestalt wieder verschwindet. Berühmte Darstellungen des Fabelwesens finden sich in der Phönixhalle des Byōdōin-Tempels in Uji (Präfektur Kyōto), welche auch die Rückseite der 10-Yen-Münze ziert.
Dieser Artikel erschien in gekürzter Form in der April-Ausgabe des JAPANDIGEST 2021. Er wurde für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.
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