Japan - mit dem zug von Nord nach Süd 19-Tage-Studienreise

Shimenawa: Götterseile zwischen Dies- und Jenseits

Simone Hencke
Simone Hencke

Sie hängen an torii-Bögen und Shintō-Schreinen, umschlingen die dicken Stämme alter, heiliger Bäume oder zieren die Gürtel der höchstrangigen Sumōringer. Shimenawa sind ein bedeutendes Symbol des Shintōismus und befinden sich direkt an der Schwelle zur göttlichen Welt.

Shimenawa
© makieni / photo-AC

Die „Götterseile“, wie sie auf Deutsch manchmal auch genannt werden, sollen die Welt der Menschen und die der Götter trennen, das Profane und das Heilige. Sie symbolisieren etwa Reinheit und sollen Krankheit und böse Geister fernhalten können. Shimenawa (注連縄) sind um heilige Bäume, Felsen oder Statuen gewickelt, denen Shintō-Götter und Göttinnen innewohnen sollen. Sie erstrecken sich entlang von Straßen, über die mikoshi, also tragbare sänftenähnliche Schreine, transportiert werden, zum Beispiel während eines Festivals. Oder hängen an den Eingängen zu (gewöhnlichen, unbeweglichen) Schreinen.

Yokozuna
Auch die yokozuna, die höchstrangigen unter den Sumōringern, haben shimenawa an ihren Gürteln. © Alex/aelam "Yokozuna Asashōryū" / Flickr (CC BY 2.0)

Wie alles begann …

 … ist nicht ganz sicher. Oft werden die Wurzeln des shimenawa auf die Legende der Höhle Amano Iwato (in der heutigen Präfektur Miyazaki) zurückgeführt, die in den zwei ältesten japanischen Schriftwerken, nämlich das Kojiki (circa 712 geschrieben) und das Nihonshoki (720), festgehalten wurde.

Laut dieser Legende versteckte sich die Sonnengöttin Amaterasu nach einer Auseinandersetzung mit ihrem jüngeren Bruder, Gott der Stürme Susanoo no Mikoto, in Amano Iwato und tauchte so die Welt in Dunkelheit. Doch ein wilder Tanz der Göttin Ame no Uzume no Mikoto schaffte es später, Amaterasu wieder herauszulocken. Die Höhle wurde dann mit einem Seil – der „Prototyp“ des shimenawa – versiegelt, damit sich Amaterasu nie wieder dahin zurückziehen und (wieder) alles Licht aus der Welt verschwinden lassen konnte.

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Breite Vielfalt

Es gibt shimenawa in vielen unterschiedlichen Formen, Größen, Designs. Manchmal sind sie so leicht wie eine Feder und bestehen aus wenigen, dünnen Fäden, von denen zickzackförmige shide (shintōistischer Schmuck) aus weißem Papier baumeln.

Andererseits kommen shimenawa auch als massive kunst- und eindrucksvolle Geflechte vor, wie am Eingang der Kagura-Halle auf dem Gelände des Izumo Taisha Shintō-Schreins (Präfektur Shimane) – das größte shimenawa in ganz Japan. Es ist 13,5 Meter lang, 4,5 Tonnen schwer und an einigen Stellen acht Meter breit. Alle sechs bis acht Jahre wird es von einer Gruppe von Freiwilligen neu geflochten.

Izumo Taisha
Shimenawa am Izumo Taisha – übrigens der womöglich älteste Shintō-Schrein Japans! © auntmasako / Pixabay

Shimenawa im Wandel

Traditionell werden shimenawa aus Reisstroh hergestellt, ein Nebenprodukt der Reisproduktion, das etwa auch für Tatami-Matten verwendet wird. Dadurch sind sie jedoch relativ empfindlich und müssen deswegen regelmäßig erneuert oder ersetzt werden, teilweise sogar jedes Jahr – eine stetig wachsende Herausforderung angesichts der Tatsachen, dass Reisstroh immer knapper wird und auch immer weniger Menschen über die Kenntnisse und Fertigkeiten verfügen, shimenawa zu flechten.

Shimenawa
Shimenawa aus Reisstroh. Oft sind die Götterseile übrigens nicht nur mit shide, sondern auch mit fusa (Quasten) behängt. © ばっどばつまる / photo-AC

Das hat unter anderem zu noch mehr neuen Varianten und Designs inspiriert. Beispielsweise stellt ein Unternehmen in der Präfektur Toyama goldfarbene shimenawa aus Polyethylen her, die mindestens zehn Jahre lang halten sollen. Schmutz sei auf ihnen außerdem nur schwer sichtbar, deswegen seien sie etwa für Orte wie torii gut geeignet, wo Regen leicht und oft hingelangt.

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