Japan - mit dem zug von Nord nach Süd 19-Tage-Studienreise

Zen-Buddhismus auf deutsche Art: Im Interview mit Abt Muhō Nölke

JAPANDIGEST
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Abt Muhō Nölke ordinierte 1993 in dem japanischen Zen-Kloster Antaiji (安泰寺). 2002 wurde er zum Abt bestimmt. Für JAPANDIGEST zeichnet er seinen Weg zum Zen und nach Japan nach.

Zazen bell with Enso in Background © Spoktu
© Spoktu

Mein Interesse für die japanische Kultur entdeckte ich am Gymnasium. Dort lud mich ein Lehrer zu einer Zazen-Sitzung ein. Das ist eine Meditation nach der Art des japanischen Zen, erklärte er. Zunächst war ich misstrauisch: Zen? Hebt man da ab? Ich glaube ich behalte meine Füße lieber fest auf dem Boden.”

Auch als er mich zwei Wochen später erneut fragte, ob ich es nicht doch probieren wolle, biss ich nicht sofort an.
“Hast du denn schon einmal meditiert?”, fragte er.
“Nein, um Gottes Willen, noch nie im Leben. Und ich habe es auch nicht vor!”, erwiderte ich entschieden.
“Aber wenn du es noch nie gemacht hast, woher weißt du dann, dass es dich nicht interessiert?”
So ließ ich mich überzeugen, es zumindest einmal zu probieren. Als Ergebnis dieses „Experiments“ leite ich heute unter dem Namen Abt Muho ein Zen-Kloster tief in den japanischen Bergen.

Muhō Nölke
Früher ein Berg, heute ein Stein: Muhō Nölkes Weg zum Zen.

Was war an jenem Nachmittag im Herbst 1984 geschehen?
Zunächst entdeckte ich beim Zazen meinen Körper. Natürlich weiß jedes Kind, dass es einen Körper hat, ohne den es nicht leben könnte. Aber hätte man mich damals, mit meinen 16 Jahren gefragt, wer ich bin, dann hätte ich mit Sicherheit auf meinen Kopf gezeigt und gesagt: “Hier, da stecke ich drin!”

Erst durch das meditative Sitzen bemerkte ich, dass auch das Atmen meiner Lungen und das Schlagen meines Herzens genauso ein Teil von mir sind wie das Denken, das in meinem Kopf vor sich geht. Und welch einen Unterschied es machte, wie ich saß: Eine Viertelstunde Sitzen mit dem Kopf herabhängend wie Rodins “Denker”, das Kinn auf der einen Faust gestützt, und eine Viertelstunde mit aufrechtem Rücken und gestrecktem Nacken auf der anderen Seite. Der Unterschied hätte nicht größer sein können.

Ich begann, mir Bücher über das Zen aus der Stadtbibliothek auszuleihen. So las ich zum Beispiel D. T. Suzukis “Zen und die Kultur Japans” und hatte bald den Wunsch, Japan zu besuchen und nach Möglichkeit in einem japanischen Kloster unter der Leitung eines Zen-Meisters zu meditieren.

Gleich nach dem Abitur 1987 ging ich zum ersten Mal nach Japan. Eine Familie in Utsunomiya, einer Stadt nördlich von Tōkyō, hatte sich bereit erklärt, mich für drei Monate aufzunehmen. Ich hatte gehofft, dort einiges über das Zen und den Buddhismus im Allgemein lernen zu können. Allerdings musste ich feststellen, dass meine Gastgeber japanische Christen waren und lieber über Luther als den Buddha sprechen wollten. So bat ich sie, mir wenigstens ein wenig Musik von der Shakuhachi-Flöte vorzuspielen. Da legte der Vater eine Platte auf das altmodische Grammophon und sagte: “Hier, hör dir das an. Das ist wahre Musik.”

Muho Nölke
Klassische Vorstellung von Zen: Meditieren und in sich ruhen auch unter schwierigen Bedingungen.

Ich traute meinen Ohren nicht, als ich Bachs Toccata aus dem Lautsprecher schallen hörte. Dennoch ließ ich mich von diesen ersten Erfahrungen nicht zu sehr enttäuschen und begann ein Japanologiestudium an der FU Berlin. Während des Studiums verbrachte ich ein Jahr an der Universität Kyōto, in der ehemaligen Hauptstadt Japans, in der auch viele berühmte Zen-Klöster ansässig sind. Allerdings öffnen die meisten von ihnen ihre Tore nur für Touristen. In Kyōto hörte ich zum ersten Mal von Antaiji, einem abgelegenen Zen-Kloster in den Bergen nahe der Küste zum japanischen Meer. Dort, so wurde mir gesagt, leben die Mönche ein autarkes Leben nach alter Tradition, und verbringen 1.800 Stunden im Jahr mit dem Meditieren.

Als ich im September 1990 am Bahnhof in Hamasaka ausstieg, war ich noch 20 Kilometer vom besagten Kloster entfernt. Ein Bus brachte mich zur nächstgelegenen Haltestelle, doch der vier Kilometer lange Waldweg, der von dort den Berg hinauf zum Kloster führen sollte, war von einem Taifun überschwemmt worden. Als ich endlich oben ankam, war ich von oben bis unten mit Schlamm überzogen. Der Abt fragte mich als erstes: „Was willst du hier?”
Ich antwortete: “Ich möchte etwas über das Zen lernen.”
Darauf erwiderte mein späterer Meister: “Ich bin kein Schullehrer. Du musst das Antaiji erschaffen!”

"Das Antaiji selbst erschaffen": Manchmal auch mit Gartenarbeit!

Drei Jahre später, nachdem ich mein Studium mit einer Arbeit über das Werk des japanischen Zen-Meisters Dogen erfolgreich abgeschlossen hatte, wurde ich von meinem Meister als sein erster nicht-japanischer Schüler in das Kloster aufgenommen. In einem japanischen Zen-Kloster ist nicht nur die Meditation wichtig, sondern alle 24 Stunden des Tages werden als Training verstanden: Dem allmorgendlichen Saubermachen und der Arbeit auf den Feldern wird ebensoviel Aufmerksamkeit geschenkt wie dem Baden, Essen oder Zähneputzen. Einen Monat nach meiner Mönchsordination stand ich allein in der Küche mit dem Auftrag, Udon-Nudeln zum Mittagessen zu bereiten.

Da ich diese Nudeln noch nie in meinem Leben gesehen – geschweige denn gegessen! – hatte, versuchte ich, so gut es ging, so etwas wie Spaghetti al dente zuzubereiten. Aber für den japanischen Geschmack waren die Udon viel zu hart. Am nächsten Tag wollte ich es besser machen und kochte die Nudeln eine halbe Stunde lang. Das Resulat war “Udon-Grütze”. Was auch immer ich als Koch probierte, ich erntete nur kritische Worte. Irgendwann wurde es mir zuviel und ich sagte: “Aber ich bin doch nicht nach Japan gekommen, um Nudeln zu kochen!”

Da erwiderte mein Meister: “Auf dich kommt es hier nicht an!”

Ich brauchte einige Jahre, um zu verstehen, dass diese Lehre und seine früheren Worte “Du must das Antaiji erschaffen” zusammen gehören wie zwei Seiten derselben Medaille.

Muhō Nölke Abt
Abt Muhō bei einem Ritual in "seinem" Kloster.

Um dieses Kloster, mein Leben und die Welt, in der ich lebe, verantwortlich und aktiv zu gestalten, muss ich auch in der Lage sein, von mir und meinen persönlichen Ansichten abzusehen. Nur wenn ich lerne, mich loszulassen, kann ich einen positiven Beitrag in dieser Welt leisten. Daran arbeite ich auch heute noch, inzwischen als Nachfolger meines Meisters, gemeinsam mit dem Rest der Klosterbewohner.

Profil Muhō Nölke ネルケ無方

Muhō Nölke ordinierte 1993 in dem japanischen Zen-Kloster Antaiji (安泰寺), wo er bis 2001 unter seinem Meister Miyaura Shinyu praktizierte. Danach verließ er das Kloster und lebte in Osaka als Obdachloser. Als sein Meister 2002 bei einem Unfall beim Schneeräumen verstarb, wurde er als Nachfolger zurück ins Kloster bestellt und ist dort seither als Abt tätig.

Dieser Artikel erschien im JAPANDIGEST 2015.

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