Wer Japan bereist, wird definitiv den kleinen Steinstatuen begegnen, die häufig am Wegesrand stehen. Ihr Aussehen erinnert an buddhistische Mönche, meist eher kindlich dargestellt. Auffällig sind ihre roten Lätzchen und Mützchen, die manchmal die kahlen Köpfe bedecken.
Nicht selten hält eine solche Jizō-Statue in ihrer Rechten einen Pilgerstab, der dafür benutzt wird, die Tore zur Unterwelt zu öffnen. Mit der anderen Hand umfasst er ein steinernes Juwel, das Wünsche erfüllen soll.
Gehäuft tauchen die Statuen an Pilgerwegen, auf Friedhöfen und Schreinen sowie Tempeln auf. Manchmal fast unkenntlich von Moos überzogen, manchmal als detailreiche Steinmetzkunst, stehen sie in Gruppen oder als Einzelgänger im Freien. In seltenen Fällen ließen Tempel ihnen zu Ehren ganze Hallen errichten, wo sie nah beieinander aufgestellt, im Licht flackernder Kerzen eine unverkennbar mystische Atmosphäre erzeugen.
Der Jizō als Beschützer der Kinder und Reisenden
Als einer der wichtigsten Bodhisattva, stellt sich der Jizō in den Dienst aller Lebewesen auf Erden und setzt seine tugendhafte Vollkommenheit ein, um Heilung zu bringen. Er legte das Gelübde ab, dem Nirvana so lange zu entsagen, bis alle leidenden Seelen in den vielen Höllen, die es im Buddhismus gibt, erlöst sind.
In diesem Sinne ist er der Beschützer aller auf ihrer Reise durch die Reinkarnation. Wer bis in den Tod an Jizō glaubt, dessen Leiden können im Totenreich durch die Güte des Bodhisattva gemildert werden. Dadurch verkürzt sich auch die Aufenthaltszeit der Seele in einer der Höllen und das nächste Leben kann schneller beginnen. Diese ist eine neue Chance, um die Erleuchtung zu erlangen und aus dem Zyklus der Reinkarnationen auszutreten.
In Japan gilt der Jizō vor allem als Beschützer der ungeborenen Seelen und der Kinder, die vor dem Eintritt ins Erwachsenenalter sterben. Speziell nimmt er sich den Totgeborenen, Fehlgeborenen oder Abgetriebenen an, die als Wasserkinder (mizuko) bezeichnet werden, weil sie den mystischen Fluss Sanzu ins Totenreich nicht ohne seine Hilfe überqueren können. Die Kinderseelen irren am steinigen Flussufer umher und schichten so lange Kieselsteine aufeinander, bis die Trauer ihrer Eltern verflogen ist. Um die Kinder bei ihrer Erlösung zu unterstützen, werden in der Nähe von Jizō-Statuen oft kleine Steintürme errichtet. An einer Stelle des Kumano Kodō Pilgerwegs in der Präfektur Wakayama wacht ein bekannter Jizō, vor dem Tausende von Steintürmen stehen, die von den Pilgern der letzten Jahrzehnte errichtet wurden.
Der Jizō wird aber nicht nur mit den Verstorbenen in Verbindung gebracht, sondern gilt auch als wichtiger Schutzgott für Reisende. Im modernen Japan beten die Menschen immer noch zu ihm, um seinen Segen für eine bevorstehende Reise zu bekommen.
Warum Jizō-Statuen rote Kleidung tragen
Rot gilt im Volksglauben seit jeher als Farbe, die böse Geister und Dämonen abwehren soll. Gerade neugeborene Babys sind schutzlos. Deshalb kleiden japanische Eltern sie gerne in rote Sachen, um sie vor negativen Einflüssen zu bewahren.
In der Edo-Zeit herrschte die Praxis vor, unerwünschte Mädchen und Jungen, die nach dem ersten Sohn das Licht der Welt erblickten, sofort nach der Geburt zu töten. Die Mutter durfte sieben Tage weinen, danach musste sie ihr Kind vergessen und in den Alltag, der sich rund um die Feldarbeit drehte, zurückkehren. Alle Dinge, die an das Kind erinnerten, wurden dem Jizō übergeben.
Dieser alte Brauch veranlasst auch heute noch viele Japaner, die in den ländlichen Regionen leben, den Jizō-Statuen Spielzeug und Kleidung darzulegen. In der Hoffnung der Geruch des Stoffes würde ihr Kind an das Leben in der menschlichen Welt erinnern und ihm Trost spenden, binden die Eltern den Jizō-Statuen rote Lätzchen um und setzten ihnen gestrickte Mützchen auf.
Wasserkind-Gedenkzeremonie
Wenn ein Kind verstirbt, entschließen sich viele Eltern dazu einen buddhistischen Tempel aufzusuchen, um mithilfe eines Priesters Trauerarbeit zu leisten. Im Rahmen der „Wasserkind-Gedenkzeremonie“ (mizuko kuyō) werden verschiedene buddhistische Sutras rezitiert, um der verstorbenen Seele den Weg ins Jenseits zu erleichtern. Dem Jizō werden Opfergaben in Form von Speisen, Blumen und Räucherstäbchen dargebracht, damit ihn die Bitte erreicht, dem Kind über den Fluss Sanzu zu helfen.
Beeindruckende Jizō-Statuen in Japan
In der alten Kaiserstadt Kyōto lockt nicht nur der Kōryū-ji-Tempel mit der ältesten Jizō-Statue aus der frühen Heian-Zeit, sondern auch die Hyakutai-Jizō-do, die „Hundert-Jizō-Halle“ im berühmten Tempel Kiyomizu-dera.
Besonders sehenswert sind vor allem die weitläufigen Ansammlungen kleiner Statuen im Freien, die im Tempel Adashino Nenbutsu-ji im Stadtteil Arashiyama in Kyōto Besucher erfreuen. Ein Abstecher lohnt sich auch auf den heiligen Berg Kōya-san. Dort wartet auf dem Friedhof eine riesige Jizō-Armee von mehr als eintausend Statuen, die zwar besonders klein sind, jedoch durch die massenhafte Ansammlung auf einem Areal ein unvergesslicher Anblick einer jeden Japanreise sein werden.
Und wer, symbolische betrachtet, das buddhistische Totenreich im Diesseits besuchen möchte, der findet die Verkörperung des heiligen Flusses Sanzu in Aomori auf der Shimokita-Halbinsel, wo sich der heilige Berg Osorezan in den Himmel erhebt.
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