Japan - mit dem zug von Nord nach Süd 19-Tage-Studienreise

Geister und Fabelwesen in Japan

Anton Wolf
Anton Wolf

Im Sommer gibt es in Japan nicht nur das kalte Nudelgericht "Hiyashi-chūka", Feuerwerk und das Tanabata-Fest. Der Sommer ist auch Hochsaison für Ungeheuer und Geister, die "yōkai" genannt werden.

Utagawa Skelett Holzschnitt
Der kaiserliche Gefolgsmann Ōyatarō Mitsukuni im Kampf mit einem Skelett, Holzschnittdruck von Utagawa Kuniyoshi, 1844.

Zwischen den hochmodernen Fassaden Tōkyōs, zwischen Stahl, Glas und Beton, scheinen altmodische Dinge wie Gespenstergeschichten der Vergangenheit anzugehören. Lässt der immerwährende, taghelle Schein der Leuchtreklamen keinen Platz mehr für die Kreaturen der Nacht?

Weit gefehlt! Neben dem ganz irdischen Grusel des urbanen Lebens, wie ihn Geschichten von Serienmördern und bizarren Unfällen bereiten, wartet die japanische Popkultur mit modernen Geistergeschichten auf, die auch hartgesottenen Großstädtern kalte Schauer über den Rücken jagen.

Da ist zum Beispiel Teke-Teke, ein Mädchen, das von einem Zug überrollt und an der Hüfte durchtrennt wurde. Nachts macht sie in der Nähe von Bahnschienen Jagd auf jene, die schuld an ihrem Unfall sind.

Geister Japan
Solche Geisterdarstellung kennt man aus modernen japanischen Horrorfilmen.
Utagawa Kunisada I.: Der Schauspieler Onoe Baiko
Weibliche Geister haben eine lange Tradition in Japan - hier ein Holzschnitt von Utagawa Kunisada I. von 1817 zu diesem Topos.

Doch auch Unbeteiligte sind nicht sicher vor Teke-Teke, denn sie ist immer auf der Suche nach einem neuen Paar Beine. Ihr Name steht – lautmalerisch – für das Geräusch, das sie beim Laufen auf Ellenbogen und Händen verursacht. Mit einer Sichel oder ihren bloßen Händen zerteilt sie ihre Opfer – sicher kein schönes Ende.

Bin ich schön?

Ebensowenig begegnen möchte man Kuchisake-Onna, der „Frau mit dem gespaltenen Mund“. Zwar sieht sie auf den ersten Blick vollkommen normal aus – sie trägt einen Mundschutz, der in Japan bei Erkältungen üblich ist, und scheint darunter recht hübsch – doch allerhöchste Vorsicht ist geboten! Sie nähert sich Passanten mit der Frage: „Bin ich schön?“, und von der Antwort hängt das Leben ab.

Ein „Nein“ ist tödlich. Antwortet man schmeichelnd mit „Ja“, zieht sie die Maske herab und offenbart einen von Ohr zu Ohr aufgerissenen Mund voller spitzer Zähne. Andere entstellt sie, indem sie ihnen ebenfalls den Mund aufschlitzt. Nur eine Antwort kann das Opfer retten: „Durchschnittlich“!

Verzaubert-gespenstischer Alltag

Doch nicht alle yōkai  sind derart bedrohlich. Das Pantheon ist voll von harmlosen Gestalten wie den Gnom-artigen Yanari, die für nächtliche Geräusche in alten Häusern verantwortlich sind, oder Seto Taishō, dem „Porzellan-General“ aus altem Geschirr. Weggeworfene oder missachtete Alltagsgegenstände bekommen als tsukumogami ein neues, polterndes Leben und wandern in nächtlichen Prozessionen durch die Straßen.

Kasa-Obake
Wenn Sie sich wundern, dass Sie trotz Schirm nass werden, hat Ihnen vermutlich gerade ein hundertjähriger Kasa-Obake-Schirmgeist über den Kopf geschleckt.

Auch Tiere finden sich unter den yōkai. Manche sind Gestaltwandler. Füchse (kitsune) verwandeln sich in schöne Frauen und verführen Männer. Sie fahren sogar wie Dämonen in Menschen und treiben sie in den Wahnsinn. Viele Volksmärchen berichten von den kitsune.

Kappa
Kappa gehören zu den beliebtesten Fabewelsen: Sie erinnern an Schildkröten und fressen Badende - wenn man sie nicht mit Gurken besänftigt. ©Janz

Die Tanuki genannten Marderhunde sind da angenehmere Zeitgenossen: Sie verwandeln Blätter in Geldscheine und sich selbst in Menschen, um an Schnaps und Essen zu gelangen und dann im Wald rauschende Feste zu feiern. Um von den Menschen nicht entdeckt zu werden, verwandeln sie sich gelegentlich in Stein. Achten Sie in Japan mal drauf: Vor Kneipen stehen oft Tanuki-Statuen und kündigen an, dass es hier feuchtfröhlich zugeht. Vielleicht zwinkert Ihnen ja einer davon zu…?

Tanuki
Statue - oder nur gerade zu Stein erstarrt?! Dieser Tanuki lädt Sie in eine japanische Kneipe ein. ©Janz

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