Nyonin kekkai mon steht über dem Holztor, das den Weg überspannt. Es markiert eine Grenze: Ab hier sind keine Frauen erlaubt. Daneben steht ein Schild mit einer Erklärung auf Japanisch und sogar auf Englisch. Es wird wohl vermutet, dass auch Ausländerinnen dem Berg Ōmine in der Präfektur Nara einen Besuch abstatten möchten:
„Die Regeln für den heiligen Berg Ōmine-san verbietet es allen Frauen, durch dieses Tor hindurch den Berg weiter zu besteigen, basierend auf religiösen Traditionen.“
Eine Frau hat ihren Unmut schon kundgetan und das Verbot auf dem Schild entsprechend „korrigiert“: Aus „Frau“ („woman“) wurde „Mann“ („man“), was nichts an der Regel ändert, aber zumindest Protest andeutet. Das Verbot wird von Männern durchaus ernst genommen. Die Autorin selbst hat an solch einem Grenztor erlebt, dass sie „böse Blicke“ und Bemerkungen wie „Bis hierher und nicht weiter!“ bekommt.
Was ist nyōnin kekkai?
Kekkai (結界) ist eine Art heilige Grenze, die die Abgrenzung eines Gebietes oder einer Räumlichkeit für religiöse Praktiken und Übungen beinhaltet. Störende Dinge oder Personen im abgegrenzten Gebiet sind untersagt. Im Fall von Ōmine handelt es sich um ein Verbot von Frauen (nyonin, 女人) auf der ganzen Bergkette.
Dieses Verbot von Frauen auf Tempelland und in Bergschreinen war bis vor 150 Jahren in Japan gang und gäbe. Unter anderem waren Japans „Drei Heilige Berge“ (Fuji-san, Tateyama und Haku-san) sowie die Dewa Sanzan – die Drei Heiligen Berge von Dewa in der Präfektur Yamagata – für diese nicht begehbar. Die buddhistischen Klöster auf den Bergen Hiei (Präfektur Kyōto), Kōya (Präfektur Wakayama) und Ōmine waren ebenfalls tabu. Das nyonin kekkai wurde angeblich von den Begründern der Bergheiligtümer erlassen und bezog sich zuerst auf die Mütter der Mönche. Im Zuge der Modernisierung des Landes hat die Meiji-Regierung diese Sperre im Jahre 1872 per Edikt aufgehoben.
Warum Frauen hier verboten sind
Die Wipfel dieser Bergkette sind Orte des Gebetes auf dem Okugake-Bergweg, der seit über tausend Jahren von Yamabushi, den Anhängern des Shugendō, zum Trainieren belaufen wird. Dabei gibt es mittlerweile auch einige weibliche Yamabushi, aber diese sind noch immer Frauen und dann erst Yamabushi.
Aufgrund von Menstruationsblutungen, Schwangerschaft und Geburt wird der Körper einer Frau als „unrein“ betrachtet. Diese Unreinheit an heiligen Stätten gilt es im Shintōismus und Buddhismus unbedingt zu vermeiden. Eine solche Denkweise existiert nicht nur in Japan, sondern es gibt sie auch in anderen buddhistischen Ländern und religiösen Traditionen, wie zum Beispiel im Hinduismus, Islam und Judentum.
Zudem könnten Frauen durch ihre weibliche Sexualität und Sensualität das Training der Männer negativ beeinflussen. In der Tat war dies ein Grund für ein klösterliches Gebot der Trennung von Männern und Frauen – auch in vielen anderen religiösen Gemeinschaften weltweit. Außerdem wird argumentiert, dass Frauen nicht stark genug für die anstrengende Bergtour seien und es einfach zu gefährlich für sie sei, diese abgelegenen Bergwelten zu durchstreifen. Dieses Argument hält den Auffassungen des 21. Jahrhunderts jedoch kaum noch stand.
Das Gegenbeispiel: Der Kōya-san ist für Frauen offen zugänglich
Besucher des Kōya-san in der Präfektur Wakayama können sich heute kaum noch vorstellen, wie es hier einst ohne Frauen aussah. Dies war bis 1872 jedoch die Realität auf diesem heiligen Berg des japanischen Shingon-Buddhismus. Auch hier gab es ein nyonin kekkai, aufgrund dessen galt: „Frauen müssen draußen bleiben“. Die Zeitzeugen dessen sind der Frauenweg (Nyonin-michi) und die Frauenhalle (Nyonin-dō) am Rande des Heiligtums. Frauen konnten den Kōya-san zwar umwandern, um vielleicht doch einen Blick auf das Heiligtum zu erhaschen, aber die heiligen Stätten zu betreten und dort zu beten war nicht möglich. Der Nyonin-michi ist heute ein beliebter Waldwanderweg um den Kōya-san.
Wie alt ist das Verbot wirklich?
Hardliner berufen sich auf eine „religiöse Tradition“, die angeblich Jahrhunderte zurückreichen soll. Auf dem Kōya-san wurde das Verbot für Frauen im 9. Jahrhundert eingeführt und auf dem Ōmine-san soll es sogar schon seit dem 7. Jahrhundert fortwährend bestanden haben.
Akademische Forschung in den vergangenen Jahren hat jedoch gezeigt, dass die aktuellen Grenzmarkierungen für Frauen tatsächlich erst in der jüngeren Geschichte, und zwar im 18. Jahrhundert, errichtet wurden. Der erste Grenzstein bei Aonegamine in Richtung des Ōmine-Gebirges soll im Jahr 1754 gesetzt worden sein. Die Holztore an den Eingängen der Ōmine-Bergwege und die dazugehörigen Erklärungen sind sogar erstmals 1970 errichtet worden. Zu dieser Zeit wurden die Grenzen aus „ökonomischen Gründen“ weiter in Richtung Heiligtum verschoben.
Nicht zuletzt seit der Nominierung des Ōmine-san als Teil des UNESCO-Weltkulturerbes im Jahr 2004 hoffen Frauen darauf, dass diese scheinbar überholte Regel aufgehoben wird. Im Zuge des UNESCO-Antrages gab es sogar eine Vorlesungsreihe, eine Petition mit über 12.000 Unterschriften und ein Symposium zum Thema, die auf die Aufhebung des nyonin kekkai hingearbeitet hat. Eine Gruppe von Lehrerinnen soll sogar im Jahr 1999 demonstrativ zum Heiligtum hinaufgewandert sein.
Zeitgemäße Lösung in Sicht?
Die Beispiele der „offenen“ heiligen Orte und Berge zeigen, dass es auch anders geht. Durch das Willkommenheißen der Frauen haben diese Orte nichts von ihrer Heiligkeit eingebüßt und Männer können hier immer noch ihr religiöses Training vollziehen. Zudem tragen Frauen heutzutage maßgeblich zur Unterhaltung der Tempel und Schreine bei. Außerdem verschaffen zahlreiche weibliche Besucherinnen, ob als Touristinnen oder auf der Suche nach Spiritualität, den ortsansässigen Geschäften und Herbergen zusätzliche Einkünfte. In Anbetracht sinkender Geburtenraten und relativ geringem Interesse der jungen Männer am spirituellen Yamabushi-Training: Kann es sich die „Ōmine-Frauenverbotslobby“ wirklich leisten, die Hälfte der Bevölkerung mit überholten Argumenten auszuschließen?
Der gegenwärtige Trend in Japan, „Power Spots“ zu besuchen und die Natur in den Bergen und Wäldern wiederzuentdecken, spricht zumindest wirtschaftlich für eine Öffnung des heiligen Berges für Wanderer und Pilger aller Geschlechter. Und wer weiß, vielleicht ist ja die nächste Generation der Yamabushi weiblich?
Quelle:
LINDSEY E. DeWITT: Envisioning and Observing Women’s Exclusion from Sacred Mountains in Japan, JOURNAL OF ASIAN HUMANITIES AT KYUSHU UNIVERSITY.
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