Die Hauptverlierer des Zweiten Weltkriegs, Deutschland und Japan, waren dem Urteil der Siegermächte bedingungslos ausgesetzt. Dabei hatten Westdeutschland und Japan, trotz der Niederlage, ein vergleichsweise gutes Los gezogen. In der Frage wie nun mit beiden Ländern zu verfahren sei, entschieden sich die USA nämlich für einen relativ progressiven Ansatz im Umgang mit den Besiegten. Im Gegensatz zu früheren Kriegsgewinnern, welche dem besiegten Land in den meisten Fällen hohe Reparationszahlungen und nicht unerhebliche Landübertragungen abverlangten, setzten die USA in den Nachkriegsjahren auf umfassenden Wiederaufbau. Diese Entscheidung entstammte allerdings nicht rein altruistischen Motiven, sondern hatte vornehmlich etwas mit den Vorbereitungen der Amerikaner auf den nächsten weltweiten Konflikt zu tun, dem Kalten Krieg.
Auswirkungen des Krieges
Aus Furcht vor der sich in Europa und Asien auf dem Vormarsch befindenden kommunistischen Ideologie, setzten die USA voll auf den Beistand der nun wohlgesonnenen und den Kapitalismus unterstützenden Verlierer des Zweiten Weltkriegs. Natürlich war diese Hilfe an klare Bedingungen gebunden: Dazu gehörten etwa umfassende demokratische Reformen, die Abschaffung alter nationalistischer Ideologien und die zunächst weitgehende Auflösung des deutschen und japanischen Militärs. Durch das Erstarken der Sowjetunion jedoch wurden die Entideologisierungs- und Demokratisierungsbestrebungen bald als eher nachrangig behandelt und der Wiederaufbau der Städte und industrieller Kapazitäten geriet ins vordergründliche Interesse der USA.
Nach Ende des Krieges und vor allem mit dem Neuaufbau der vom Krieg zerstörten Städte, kehrten die vor den Bombenangriffen aufs Land geflohenen Menschen in die Städte zurück, um beim Wiederaufbau zu helfen. Eine entscheidende Rolle hierzu spielte sicherlich auch der Gedanke, dass das von der Stadtbevölkerung zurückgelassene Hab und Gut den Krieg ja vielleicht unbeschadet überstanden habe. Zumindest in den Ballungszentren jedoch blieben viele solcher Hoffnungen unerfüllt. Großstädte wie Tōkyō und Ōsaka fielen den erfolgreich eingesetzten Brandbomben der Amerikaner zum Opfer, welche fast alle Wohn- und Handelsquartiere der Stadt dem Erdboden gleichgemacht hatten. Dieser vernichtende Erfolg, der bis dato eher unbeeindruckenden Kampfmittel, war durch die dichte Bebauung japanischer Großstädte bedingt und der traditionell ausschließlich aus Holz und Papier errichteten Häuser. Lediglich Steinöfen, Lehmmauern oder Backsteingebäude ragten aus einer sonst karg verbrannten, schwarzen Landschaft hervor.
Hiroshima und Nagasaki erfuhren eine komplette Vernichtung durch den Einsatz der Atombombe, was schließlich zur Kapitulation Japans in Mitte August 1945 führte. Eine ähnliche Szenerie der Zerstörung ließ sich in den deutschen Großstädten auffinden. Der maßgebende Unterschied zu Japan waren hier jedoch die Schutt- und Trümmerberge der innerstädtischen Wohnhäuser und Industrieanlangen. In diesem Fall vollbrachten die Trümmerfrauen wichtige Ersträumungsarbeiten der noch halbwegs bewohnbaren Gebäuderuinen und Hauptverkehrswege.
Vorstellungen und Realität des Wiederaufbaus
Die neu eingesetzten Regierungen Japans und Deutschlands beauftragten nun zahllose Stadtplaner mit dem Wiederaufbau der Städte nach modernem Maßstab. Durch den Mangel an geeignetem Personal konnte man nicht wählerisch sein und so kam es, dass eben jene Stadtplaner, welche bereits unter den nationalistischen Regierungen der Kriegsjahre Arbeit gefunden hatten, nun in den Dienst der reformierten Nationen gestellt wurden. Vor allem japanische Stadtplaner konnten ein nicht unerhebliches Maß an Expertise durch die großangelegten Pläne für Infrastruktur, Industrieanlangen und Arbeiterquartiere sammeln, welche für die während des Krieges eroberten Gebiete der Mandschurei entworfen und teilweise umgesetzt wurden. Wehmut ob der Zerstörung und des verlorenen Kulturguts kam beim Großteil der Stadtplaner beider Länder jedoch nicht auf. Sie sahen die Verwüstung eher als nie dagewesene Chance an. Endlich konnten sie ihre Visionen einer Zukunftsstadt ohne Rücksicht auf die Beschränkungen und Altlasten der vorigen Stadtmuster verwirklichen. Sie ahnten sich vor einem sprichwörtlichen „Tabula Rasa“ stehend.
Die Vorstellungen der Stadtplaner, ihre Wunschstädte auf einem unbeschriebenen Blatte neu entwerfen zu können, wurden in der Realität allerdings erheblich eingeschränkt. Einer der Gründe hierfür war etwa der relativ intakte Unterbau der Städte: Durch die vielerorts unversehrten Kanalisationen sowie Strom-, Gas- und Wasserleitungen, wurden viele alte Straßenzüge wieder aufgenommen und lediglich für zukünftige Verkehrsaufkommen verbreitert und angepasst. Die Stadtstruktur veränderte sich daher weitaus weniger als durch die Planer gewünscht, was man heute noch beispielhaft an den, zur Vorkriegszeit weitgehend identisch gebliebenen, deutschen Ringwallstraßen oder japanischen Straßenmustern sieht. Ein weiteres und wohl sehr wichtiges Motiv für die Beibehaltung bestehender Strukturen war die Geldknappheit der Städte, da zusammen mit den zerstörten Gebäuden auch die urbane Wirtschaft, Arbeit, Kapital und Steuereinnahmen verloren gegangen waren. Der Druck, diese volkswirtschaftlichen Dimensionen wieder auf ein Vorkriegsniveau zu bringen, war enorm und viele Neubauten und Aufräumarbeiten geschahen daher ad hoc.
Soziale Kosten des japanischen Wirtschaftswunders
Ein wesentlicher Unterschied des japanischen Wiederaufbaus gegenüber des deutschen lässt sich in der Art und Weise, wieviel Spielraum dem Markt dabei überlassen wurde, beobachten. Während in Deutschland Arbeits-, Einkaufs- und Wohnviertel durch die Stadtplaner überdacht und allokiert wurden, geschah dies in Japan zunächst in einer sehr laissez-fairen Manier: Das Angebot und die Verteilung von Wohnraum wurde der Privatwirtschaft überlassen. Diese Einstellung führte dazu, dass dringend benötigte neue Wohnviertel sehr unregelmäßig verteilt und weit weg von den innerstädtischen Arbeitsstätten entstanden. Die so ohne weitere Planung entstandenen Behausungen hatten oft keine Wasser-, Strom- oder Abwasseranbindungen was zu einer erheblichen Verschmutzung der Gebiete führte.
Auch andere wichtige Infrastrukturen wie Einkaufsmöglichkeiten des täglichen Bedarfs, Krankenhäuser oder Schulen waren oft weit entfernt, sodass sich das Leben unter diesen Umständen als sehr schwierig gestaltete. Die großflächige Akzeptanz der japanischen Bevölkerung, diese Bedingungen zu ertragen, war wohl einer der Hauptgründe für den raschen wirtschaftlichen Aufstieg des Landes in der Nachkriegszeit. Auf diese Weise konnten die meisten staatlichen Ressourcen in den industriellen Wiederaufbau investiert werden.
Erst in den 1960er Jahren entstanden in Japan nennenswerte Bürgerbewegungen gegen die schlechten Wohnbedingungen. Motiviert wurden diese Aktionen allerdings nur durch extreme Umweltverschmutzungen. So wurden z.B. in vielen Wohnvierteln in der Nähe von Industriestandorten in Kumamoto und Niigata zahlreiche Fälle von Methylquecksilbervergiftung in der Bevölkerung festgestellt. Diese zählt mit zu den vier großen Umweltverschmutzungskrankheiten des neuzeitlichen Japans und erlangte als Niigata-Minamata-Krankheit eine traurige Berühmtheit. Symptome der Krankheit waren Muskelschwund, verringertes Sehvermögen, Taubheit und Bewegungsstörungen.
Errungenschaften der Nachkriegszeit
Die radikale Fokussierung der japanischen Regierung auf den wirtschaftlichen Aufstieg Japans wurde also zu einem nicht unerheblichen Teil auf sozialen Kosten der Bevölkerung durchgeführt. Neben ihren negativen Auswirkungen hatte die Wirtschaftsentwicklung jedoch auch zahlreiche gute Facetten für die japanischen Bürger. Ein zeitlich verzögertes Resultat des rasanten Wirtschaftswachstums war ein ebenso schnell ansteigender Lebensstandard der durchschnittlichen Bevölkerung. So wurde etwa der Ausdruck der „Drei heiligen Schätze Japans“, welcher eigentlich die kaiserlichen Throninsignien bezeichnet, dafür benutzt, die neuen, aus dem Alltag vieler Japaner nicht mehr wegzudenkenden technischen Errungenschaften der Nachkriegszeit zu beschreiben: den Kühlschrank, die Waschmaschine und den Fernseher. Auch das Auto gehörte dann im Laufe der 1960 immer mehr zum Stadtbild und sorgte bei den Planern so für Kopfzerbrechen.
Genau wie in Deutschland, bedingte die rasant wachsende Anzahl an Privatwagen breite Wege und neue Entlastungsstraßen, was zu weitverbreitetem inner- und zwischenstädtischen Autobahnbau führte. Hier stellt sich allerdings ein bedeutsamer Unterschied zu Deutschland heraus: Wohingegen Schnellstraßen in Westdeutschland um die Städte herum geleitet wurden, baute man in Japan aufgrund des Platzmangels erhöhte Autobahnen über den alten Verkehrsstraßen. So ziehen sich heutzutage viele Schnellverkehrsstraßen wie ein grau-weißes Band über die Wege, Kanäle und Dächer von Metropolen wie Tōkyō. Diese Entwicklungen traten allerdings erst in den 1970er und 1980er Jahren weitverbreitet auf und der primäre Treiber der stetigen Vergrößerung des suburbanen Bands um japanische Großstädte bestand aus staatlich und privat finanzierten Bahnlinien.
An und um die Bahnstationen entstanden so Wohnquartiere, in welchen die arbeitende japanische Bevölkerung zum Schlafen heimkehrte; es entwickelten sich, ähnlich wie in Deutschland, sogenannte Schlafstädte. Allerdings steht die japanische Vernetzung von Wohnen und Arbeiten im starken Kontrast zur suburbanen Entwicklung in Deutschland. Hier wurde vor allem erst durch das Auto die flächendeckende Erschließung des städtischen Umlandes als Wohn- und Schlafquartier möglich gemacht.
Es kann also festgestellt werden, dass trotz vieler ähnlicher Umstände in Deutschland und Japan zu Beginn der Nachkriegszeit, die Regierungen beider Länder grundverschiedene Methoden anwendeten, um den Wiederaufbau zu gestalten, wirtschaftliches Wachstum zu fördern und bürgerlichen Wohlstand zu mehren.
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