Das Japan der Nachkriegszeit war gezeichnet von Armut und die Menschen mussten erfinderisch sein, um über die Runden zu kommen. So kam es, dass unter anderem der Verkauf von japanischen Souvenirs rund um amerikanische Besatzungsstützpunkte florierte. Bevorzugte Mitbringsel der US-Soldaten waren vor allem typisch japanische omiyage (Souvenirs) wie hinaningyō (Puppen), Kimonos und obi (Schärpen). Schließlich entstanden aus dem Gedanken heraus, neue Souvenirs entwickeln zu wollen, die heute als sukajan bekannten Jacken. Zu dieser Zeit wurde ein von den Amerikanern beschlagnahmtes Kaufhaus in Ginza, einem Stadtteil Tōkyōs, zum Generalhauptquartier umfunktioniert. Bald reihten sich verschiedenste Straßenstände aneinander, die ihre Waren den dort stationierten Soldaten feilboten. Kosho & Co (heute Toyo Enterprise) war das erste Unternehmen, das amerikanischen Baseball-Jackets ähnelnde Jacken mit japanisch anmutenden Motiven bestickte. Diese entwickelten sich innerhalb kürzester Zeit zu einem Kassenschlager unter den US-Soldaten und konnten schon bald offiziell in Geschäften des amerikanischen Stützpunktes gehandelt werden. Seit der zweiten Hälfte der 40er Jahre als Souvenirjacken verkauft, produzierte Kosho & Co etwa 95 Prozent aller damals in Umlauf befindlichen sukajan. Da besonders in der Nähe des Stützpunktes in Yokosuka jede Menge Schneidereien an der Produktion von Souvenirjacken arbeiteten, leitete sich aus dem Begriff Yokosuka Jumper (Yokosuka- Jacke) im Laufe der Jahrzehnte die namensgebende Abkürzung sukajan ab. Schließlich wurden die Jacken nicht nur in den US-Stützpunkten innerhalb Japans, sondern auch nach Übersee verkauft und so in der ganzen Welt verbreitet.
Das Handwerk japanischer Kimono-Stickerei
Aufgrund strenger Warenkontrollen und begrenzter Verfügbarkeit japanischer Seide entschied man sich dazu, die Jacken aus Acetatfaser zu produzieren. Da diese Kunstfaser dank ihrer hochglänzenden, schimmernden Oberfläche nicht nur optisch, sondern auch in der Berührung Seide ähnelte, eignete sie sich als idealer Ersatz. Bei der Bestickung der Souvenirjacken spielten hochqualifizierte Stickerei-Meister aus den Städten Kiryū (Gunma) und Ashikaga (Tochigi), die seit jeher für ihre kunstfertige Stickerei von traditioneller japanischer Kleidung bekannt waren, eine ausschlaggebende Rolle. Sie verwendeten eine besondere Sticktechnik, die auch bei der Verzierung von Kimonos zum Einsatz kommt: In der Herstellung wird eine spezielle Nähmaschine benutzt, die im Gegensatz zu gewöhnlichen Nähmaschinen eine sich von links nach rechts bewegende Nadel nutzt. Mithilfe eines Kniehebels wird dabei die Breite der Nadelbewegung angepasst und der Faden wieder und wieder in mehreren Lagen auf die Kleidung gestickt.
Um dasselbe Design mehrfach verwenden zu können, wird die Grundform der Stickerei als Schablone auf eigens gestärktem japanischen Papier angefertigt. Bei dieser altherkömmlichen Methode wird durch die Schablone ein weißer Puder auf den Stoff aufgetragen, sodass die ausgeschnittene Skizze zurückbleibt und weiter als Muster genutzt werden kann. Da die Jacken damals nicht für Japaner produziert wurden, bildeten die Stickereien hauptsächlich eine Kombination aus typisch japanischen Symbolen wie dem Fuji-san, Kirschblüten oder fünfstöckigen Pagoden ab. Aber auch traditionelle Muster wie Tiger, Drache und insbesondere natürlich Adler waren bei den US-Soldaten beliebt. Weitere gängige Motive der sukajan stellten Landkarten von Japan und dessen Großstädten dar, bestickt mit den Namen amerikanischer Stützpunkte in sowohl japanischen Schriftzeichen als auch lateinischen Lettern. Da Japaner das lateinische Alphabet zu dieser Zeit jedoch noch nicht umfangreich nutzten, mussten die Kunsthandwerker Schriftzeichen sticken, die sie noch nie zuvor gesehen hatten. So entstand der ein oder andere charmebehaftete Schreibfehler, welcher nun gestickt auf einer Jacke sein eigenes Stück Geschichte erzählt.
Die Weiterentwicklung der sukajan – Ein transnationaler Erfolg
In der amerikanischen Kleidungskultur zu Zeiten des sukajan-Booms war es gängig, zu verschiedenen Anlässen Wappen und Motive auf die Kleidung zu nähen. Vor allem bestickte Baseball-Jacken waren ein beliebtes Kleidungsstück junger Amerikaner. Inspiriert von dieser Kultur gab es nicht nur die als Andenken an Japan entstandene sukajan, sondern im Anschluss auch immer mehr Souvenirjacken mit Motiven anderer Länder. Als 1950 der Koreakrieg ausbrach, wurde die Kosho & Co beispielsweise von Anfragen aus Geschäften in US-Stützpunkten in Korea überschüttet. In der zweiten Hälfte der 50er Jahre kamen Aufträge aus anderen US-Militärstützpunkten wie Alaska oder Hawaii hinzu, die ebenfalls ortstypische Motive wie Eisbären oder Hula-Tänzerinnen wünschten. Eine Art Weiterentwicklung erfuhr die Tradition der sukajan als Souvenir amerikanischer Besatzungskräfte, als ein US-Soldat während des Vietnamkriegs den Stoff seines Fallschirms zum dortigen Schneider brachte und dieser ihn mit seinen eigenen Materialien kombinierte. Die sogenannte vetojan war geboren. Herstellungstechnik und Material unterscheiden sich zwar von der sukajan, doch es besteht kaum ein Zweifel, dass die vetojan die Kultur der japanischen Souvenirjacke übernommen hat und ihren Erfolg in neuer Form weiterführte.
Vom Souvenir zum Modeartikel
Bis in die späten 60er Jahre wurden Souvenirjacken hauptsächlich für US-Soldaten produziert, doch die Kriegsermüdung der amerikanischen Truppen durch den andauernden Vietnamkrieg und das Aufkommen der vetojan ließen einen erheblichen Teil der Umsätze einbrechen. Mit Beginn der 70er Jahre waren es nun vermehrt Japaner, welche die Souvenirjacken trugen. Ein Grund für diese Entwicklung war die steigende Beliebtheit zwangloser amerikanischer Mode in Japan, wie etwa die populäre Blue Jeans zeigt. Als in den 80er bis 90er Jahren dann Second-Hand-Kleidung in Mode geriet, wurden sukajan als amerikanischer Vintage aus Amerika nach Japan reimportiert. Auch Modezeitschriften entdeckten damals die Souvenirjacke als stylisches Kleidungsstück, sodass sie schon bald die Seiten japanischer Magazine schmückte. Auch heute noch erregt die sukajan die Aufmerksamkeit von namhaften Luxusmarken und hat sich als modisches Kleidungsstück längst etabliert. Die Geschichte der sukajan ist eine Geschichte des japanischen Handwerks- und Unternehmergeistes. In der zerrütteten Nachkriegszeit brachte dieser ein traditionell angehauchtes und doch modernes Kleidungsstück hervor, das auch im 21. Jahrhundert noch stolz seine Flügel schwingt und unbeirrt durch die Modewelt flattert.
In Zusammenarbeit mit TOYO ENTERPRISE COMPANY LTD.
Dieser Artikel wurde von Mai Schmidt für die Oktober 2018-Ausgabe des JAPANDIGEST verfasst und für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.
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