Mit ihrer schlichten Schönheit faszinieren die Werke japanischer Kalligrafie immer mehr Menschen auf der ganzen Welt. Die mit tiefschwarzer Tusche auf zartes Japanpapier geschriebenen Schriftzeichen strahlen Ruhe und Harmonie aus und machen neugierig darauf, selbst einmal shodō zu praktizieren. Hierfür lohnt es sich, sich im Voraus ein wenig mit der kulturellen Bedeutung der Kunst des Schreibens sowie mit deren Regeln zu beschäftigen.
Shodō: japanische Wegkunst mit chinesischen Wurzeln
Shodō 書道 bedeutet wörtlich „Weg der Schrift“ und ist die Bezeichnung für japanische Kalligrafie. Etwa im 6. bis 7. Jahrhundert erreichte die Kunstform Japan von China aus, wo sie seit jeher einen hohen Status genießt. Zunächst praktiziert von Angehörigen des Kaiserhofs und buddhistischen Mönchen, entwickelte sich shodō im Laufe der Jahrhunderte zu einer der sogenannten Wegkünste.
Genau wie der Weg des Tees (sadō, die Teezeremonie), der Weg der Blumen (kadō, Ikebana) oder diverse Kampfkünste wie etwa der Weg des Bogenschießens (kyudō) ist auch die japanische Kalligrafie eng mit den Prinzipien des Zen-Buddhismus verbunden. So haben all diese Künste gemeinsam, dass es nicht um das fertige Produkt geht, sondern um den Geisteszustand, der bei deren Ausübung erreicht werden soll. Hierzu zählen unter anderem Disziplin, Ruhe und Harmonie – ein meditativer Zustand also.
Abgesehen von der aus dem Zen stammenden Geisteshaltung unterscheidet sich shodō noch in einem weiteren Punkt von den chinesischen Wurzeln: Neben den Kanji werden nämlich auch die japanischen Silbenalphabete Hiragana und Katakana verwendet. So lassen sich die meisten Werke der japanischen Kalligrafie eindeutig als solche erkennen und erhalten einen ganz eigenen Charakter, nämlich den eines typisch japanischen Schriftbildes mit verschiedenen Schriftsystemen.
Eine Kunst mit festen Regeln
Trotz dieser Unterschiede überwiegen die Gemeinsamkeiten der japanischen und chinesischen Kalligrafie. Bei der Ausführung der Kunst des Schreibens ist es wichtig, sich an bestimmte Regeln zu halten. Nur so lässt sich ein harmonisches Kunstwerk erzeugen, das trotz strenger Vorschriften den Charakter des Künstlers anhand seiner Pinselführung widerspiegelt. Oft wird dies mit dem Werk eines Musikers verglichen, der die Noten wie vorgegeben, aber auf seine eigene Art und Weise, zu Musik macht.
Zu den Regeln von shodō und auch der chinesischen Kalligrafie zählt zum Beispiel, dass die Schriftzeichen in der richtigen Strichreihenfolge geschrieben werden müssen. Was so manchem Japanischlerlenden als sinnlose Vorschrift erscheint, leuchtet spätestens bei der Kalligrafiepraxis ein. Nur wenn die Strichreihenfolge eingehalten wird, lässt sich das Schriftzeichen fließend mit Pinsel und Tusche schreiben.
Wichtig ist auch, dass im Nachhinein nichts ausgebessert wird. Weiße Lücken, die dadurch entstehen, dass nicht mehr ausreichend Tusche am Pinsel haftet, werden absichtlich nicht später ausgefüllt sondern sogar als etwas Besonderes betrachtet. Viele bedeutende Kalligrafiekünstler nutzen ganz bewusst und durchaus häufig diesen Effekt.
Wie man seinem Werk also einen persönlichen Charakter verleiht? Das passiert meist ganz automatisch und hängt von Faktoren wie Pinselführung, Druck, Menge der Tusche und dem Wasseranteil in der Tusche ab. Positiv wirken sich in jedem Fall Ruhe, Geduld und regelmäßiges Üben aus. Möglichkeiten der Interpretation von Schriftzeichen gibt es also mindestens genauso viele, wie es verschiedene Kalligrafiekünstler gibt.
Die Utensilien der japanischen Kalligrafie
Die Utensilien, die für shodō verwendet werden, kommen ebenfalls aus China: die vier Schätze des Studierzimmers. Unter dieser Bezeichnung versteht man den Pinsel (fude), die Tusche (sumi), den Tuschestein (sumisuri) und das Papier (kami).
Der fude besteht aus einem Holzstift, meist Bambus, und spitz zulaufenden Tierhaaren unterschiedlicher Art. Es gibt eine große Auswahl an Kalligrafiepinseln in verschiedenen Preisklassen und in allen möglichen Stärken auf dem Markt. Beim Kauf lohnt sich daher eine gute Beratung im Fachgeschäft.
Auch wenn Flüssigtusche inzwischen gängig ist und von vielen bevorzugt wird, so wird traditionell feste Tusche in Blockform verwendet und auf dem Tuschestein aufgerieben. So lässt sich die Menge an Wasser selbst bestimmen. Außerdem wird der Vorgang als solcher auch als Teil der Kalligrafiepraxis beschrieben und soll helfen, die gewünschte Geisteshaltung zu erlangen. Die Tusche ist übrigens traditionell immer schwarz, während der Namensstempel (hanko) mit roter Stempelfarbe unter die fertige Arbeit gesetzt wird.
Nicht zuletzt spielt auch die Wahl des Papiers eine wichtige Rolle. Es gibt sowohl chinesisches als auch japanisches (washi), industriell gefertigtes oder aber handgeschöpftes. Kalligrafiepapier ist meist weiß und so dünn, dass man hindurchsehen kann. Es hat eine rauhe und eine glatte Seite, die Kalligrafie wird auf der glatten Seite aufgetragen.
Die verschiedenen Stile
Shodō ist nicht gleich shodō. Genau wie bei der chinesischen Kalligrafie gibt es verschiedene Schreibstile, die sich sehr stark voneinander unterscheiden. Die wichtigsten sind:
- Siegelschrift (tensho)
- Halbkursivschrift (gyōsho)
- Grasschrift (sōsho)
- Kanzleischrift (reisho)
- Regelschrift (kaiso)
Insbesondere bei der Gasschrift sind die Schriftzeichen oft kaum noch zu erkennen, die einzelnen Stiche gehen fließend ineinander über. Ein Stil, der trotz Regeln individuellen Ausdruck ermöglicht und bei vielen Künstlern beliebt ist.
Haben Sie Lust bekommen, selbst einmal shodō auszuprobieren? Nehmen Sie doch mal an einem Workshop auf dem nächsten Japanfestival oder während Ihrer Japanreise teil. So lernen Sie nicht nur jede Menge über die japanische Schrift und Kultur. Sie erhalten außerdem Einblick in eine wunderbar entspannende Tätigkeit, bei der Sie ganz nebenbei tolle Kunstwerke erschaffen.
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