Es sind kleine, oft rundliche Figuren aus Holz oder Elfenbein, kunstvoll geschnitzt in Form von Blumen, Tieren oder Gottheiten: Netsuke. Während die winzigen Kunstwerke heute meist nur noch im Museum hinter Vitrinen oder auf Fotos bewundert werden können, haben diese Schätze ihre bescheidenen Anfänge in der japanischen Mode. Zu finden waren sie nämlich an traditionellen Kimono-Gewändern.
Aus der Not zum Kunstwerk
Während Kimono heutzutage vor allem zu besonderen Anlässen, Fotoshootings oder Teezeremonien getragen werden, waren sie in der Zeit vom 17. Jahrhundert bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Mode der Wahl. Doch die schönen, eng sitzenden Gewänder hatten ein großes Problem, nämlich fehlende Taschen. Frauen-Kimono haben Öffnungen an den langen Ärmeln, die es ermöglichen, diese als Taschen-Ersatz zu verwenden. Die Kimonoärmel der Männer aber sind vollständig zugenäht. Aus diesem Grund wurden besondere Taschen für Kimono entwickelt, die es dennoch möglich machten, die Hände frei zu haben.
Diese sogenannten sagemono, wortwörtlich „Dinge, die hängen“, waren kleine Beutel oder spezielle Kästchen (genannt inrō) die man durch einen perlenartigen Verschluss öffnen und schließen konnte. Sie wurden an einem Band befestigt, an dessen anderen Ende das Netsuke hing. Das Band wurde unter dem Obi, dem Gürtel, der den Kimono schließt, durchgeführt und das Netsuke über den Obi gehängt, um das Gewicht der Tasche auszugleichen.
Subtiles Statussymbol
Das Wort Netsuke setzt sich aus den Schriftzeichen für Wurzel (ne, 根) und befestigen (tsuke, 付) zusammen. Es gibt mehrere Theorien, woher diese Bezeichnung kommen könnte – während die eine der Funktionsweise der Netsuke geschuldet ist, denn sie sind ja an einem Ende eines Seils befestigt, vermutet eine andere Theorie, dass bevor die Netsuke, wie wir sie heute kennen, verwendet wurden, Baumwurzeln in derselben Funktion am Kimono baumelten.
Während Netsuke zwar in ihrer ursprünglichen Funktion Nutzgegenstände waren, waren sie auch eine gute Möglichkeit, um subtil den Wohlstand des Besitzers auszudrücken. Insbesondere im feudalen Japan, wo die nicht immer wohlhabenden Samurai in der gesellschaftlichen Rangordnung über den reicheren Händlern standen, galten Netsuke als Statussymbole.
Wandel zu wertvollen Sammelobjekten
Mit der Wiederöffnung Japans nach der Meiji-Restauration im Jahr 1868 und dem wachsenden Einfluss des Westens auf das Land, wurden nach und nach Kimono von Anzügen, Sakkos und Hosen abgelöst. Die kunstvollen Objekte verloren ihre Funktion, erfreuten sich aber sehr schnell bei Amerikaner:innen und Europäer:innen größter Beliebtheit und wurden zu Sammelobjekten. Und auch heutzutage sind es kleine Schätze, für die eine beträchtliche Summe gezahlt wird: Eines der wohl teuersten Objekte landete für über 400.000 Dollar unter dem Auktionshammer.
Moderne Netsuke
Obwohl jetzt Kimono im Alltag nur noch selten getragen werden, produzieren die Netsuke-Meister:innen bis heute die kleinen Kunstwerke. Und auch wenn sie weiterhin von Hand gefertigt werden, stehen den Künstler:innen heute zumindest elektrische Schleifgeräte zur Verfügung, die es mit äußerster Vorsicht zu bedienen gilt, um die filigranen Kerben nicht wegzuschleifen. Die Motivwahl hat sich in den letzten Jahrhunderten kaum verändert. Dazu gehören Tiere und Pflanzen, Masken, Gottheiten, aber auch ganze Alltagszenen. Und während der Großteil der Netsuke aus diversen Holzarten geschnitzt sind, gibt es auch besondere Einzelstücke aus Zähnen, Walnüssen oder Walknochen.
Wer Lust hat, die Kunstwerke aus der Nähe zu betrachten, sollte einen Besuch nach Kyōto planen, denn dort befindet sich das Kyōto Seishu Netsuke Art Museum, das sich ausschließlich Netsuke widmet. Und bei wem Japan in nächster Zeit nicht auf der Reiseliste steht, für den gibt es zum Abschluss noch eine Leseempfehlung: Der 2010 veröffentlichter Bestseller-Roman „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ (2010, auf Deutsch beim dtv Verlag) von Edmund de Waal, in dem eine Sammlung aus über zweihundert Netsuke den Dreh- und Angelpunkt darstellt.
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