Bereits in den späten Jahren der Edo-Zeit (1603-1868) stellten Holzdrechsler:innen in der nördlichen Tōhoku-Region die ersten kokeshi aus Holzresten her und verkauften sie an die Besucher:innen der onsen-Badehäuser vor Ort. Waren sie zunächst eher als Souvenirs oder Spielzeug für Kinder gedacht, wurden die Puppen mit der Zeit aber auch unter Erwachsenen, u. a. als Dekoration und Talismane, immer beliebter.
Als sich in den 50er- und 60er-Jahren die Bevölkerung Japans von der Zerstörung des Zweiten Weltkriegs zu erholen und die Wirtschaft zu boomen begann, taten dies auch die kokeshi. In dieser Zeit wurden die kreativen sōsaku kokeshi geboren, moderne und freiere Varianten. Hersteller:innen dieser neuen Art mussten nicht so viele Regeln befolgen wie bei den traditionellen dentō kokeshi. Etwa durften sie vielfältige Materialien (und nicht nur bestimmte Holzarten) nutzen und sich anderen Motiven und Mustern als den klassischen (wie Chrysanthemen oder Pflaumenblüten) widmen.
Niedliche Hoffnungsträger
So werden kokeshi heute auch aus Plastik hergestellt, teils in schillernden Farben, teils Anime-Charakteren nachempfunden. Es gibt kokeshi-Schlüsselanhänger, -Lippenstifte und sogar eine kokeshi-Flaschenpost! In der Präfektur Gunma, wo die meisten kreativen kokeshi produziert werden, entstanden nach dem Tōhoku-Erdbeben 2011 etwa auch niedliche „kokechi“, die das Ziel hatten, den Menschen in Japan neuen Mut zu schenken. Mittlerweile haben es kokeshi in verschiedener Form rund um die Welt geschafft. Zum Beispiel verkaufen manche Schreibwarengeschäfte oder Kaufhäuser in Deutschland die Kimmidolls, eine Neuinterpretation der traditionellen Holzpuppen aus Australien. Und all jene, die einmal Wii Sports gespielt haben, kennen kokeshi ebenfalls, denn das Design der Spielcharaktere, der Mii, wurde teilweise von ihnen inspiriert.
Doch obwohl die kleinen Figuren international bekannt sind, umgeben sie noch immer einige Geheimnisse, wie etwa über den Ursprung ihres Namens. Einer gängigen Theorie zufolge basiere dieser auf den Schriftzeichen für „Kind“ (子, ko) und „verschwinden“ (消し, keshi), weil die Figuren bei Trauerfeiern für Kinder, die im Zuge von Hungersnöten während der Edo-Zeit ihr Leben verloren hatten, aufgestellt worden seien. Belege dafür gibt es allerdings keine – höchstwahrscheinlich handelt es sich nur um ein düsteres Gerücht. Denn tatsächlich sind kokeshi keine Träger schlechter Omen, sondern stehen für allerlei Positives wie Fruchtbarkeit, Heilung, Glück und Hoffnung.
Dieser Artikel erschien in der JAPANDIGEST September 2022-Printausgabe und wurde für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.
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