Wer schon mal japanische oder japanisch-inspirierte Designs, Illustrationen oder Kunstwerke etwas genauer betrachtet hat, wird sicherlich auf das eine oder andere wiederkehrende Muster gestoßen sein. Da sich Moderne und Tradition in Japan sehr nahestehen, kann man diese Muster sowohl in historischen als auch in modernen Kontexten finden. Im Artikel Wagara: Traditionelle japanische Stoffmuster gibt es einen kleinen Überblick über die verschiedenen Muster. Doch eines dieser Muster scheint aktuell besonders zwischen den wagara hervorzustechen: das Asa no ha-Muster.
Geometrische Form
Asa no ha (麻の葉) bedeutet übersetzt Hanfblatt. Durch seine geometrische Form zieht das Muster viele Betrachter direkt in seinen Bann: Die Basis ist ein regelmäßiges Sechseck, in dessen Inneren sechs Rauten in einer Art sternförmigem Gebilde angeordnet sind. Allerdings stellt das Muster keinen Stern dar, sondern soll – wie der Name verrät – an ein Hanfblatt erinnern. Ausgehend von dieser Grundform gibt es verschiedene Varianten des Musters.
Bedeutung der Pflanze in der japanischen Kultur
In Japan wird das Muster gelegentlich auch als ogara oder magara bezeichnet, was auf Deutsch Hanfmuster bedeutet. Hanf gilt in Japan seit jeher als sehr vitale, robuste Pflanze und besitzt außerdem eine starke Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten und Schädlinge. In Anlehnung an diese Eigenschaften symbolisiert das Hanfblattmuster in der japanischen Kultur vollkommene Gesundheit, gesundes Aufwachsen und ein langes Leben. Daher wird Asa no ha häufig für Kinderkimonos und ubugi, die Kleidung von Neugeborenen, verwendet.
Früher wurde Hanf für die Herstellung der Kleidung des einfachen Volkes genutzt. Da es eine Sommerpflanze ist, wurden Hanffasern vor allem für die Fertigung von Sommerkleidung verwendet. Dies wirkte sich zunächst auf den Einsatz des Asa no ha-Musters aus, jedoch wird es mittlerweile unabhängig von der Jahreszeit getragen.
Viele Japaner nehmen Asa no ha heutzutage immer noch als „japanisches“ Muster wahr. Seinen Namen und seine Bedeutung kennen meistens jedoch nur die, die sich näher damit beschäftigen.
Ursprung des Musters in Japan
Der Ursprung des Musters lässt sicher leider nicht eindeutig bestimmen. In Japan tauchte das Muster das erste Mal in der Heian-Zeit (794-1185) auf, in der es zunächst als Dekoration auf Buddha-Statuen zu finden war. Mit der Zeit hat sich das Muster mehr und mehr in Japan verbreitet. In der Edo-Zeit (1603-1868) trug Iwai Hanshirō, der als Kabuki-Schauspieler vor allem weibliche Rollen verkörperte, in der Aufführung des Stücks „Yaoya Oshichi” ein Hanfblatt-gemustertes Kostüm. Generell erfreute sich Asa no ha in dieser Zeit großer Beliebtheit. Dadurch kam es auch oft auf Ukiyo-e-Bildern zum Einsatz und wurde zu einem der beliebtesten traditionellen Textilmuster. Neben dem Kimono selbst wurde es auch für Obis, Unterhemden und Taschenaccessoires verwendet. Seit damals hat sich das Muster immer mehr in der japanischen Kultur verwurzelt.
In der heutigen Zeit
In Japan kommt das Hanfblattmuster auch heute noch im traditionellen Handwerk zum Einsatz. Beispielsweise ist es ein sehr beliebtes Muster für kumiko, das japanische Sprossenwerk, mit dem oft shōji-Trennwände und Lampenschirme dekoriert werden. Darüber hinaus hat sich sein schönes Design weit über die Mode und das Handwerk hinaus verbreitet: Mittlerweile findet man es auf Verpackungen, im Grafikdesign, in der Architektur aber auch auf diversen Heimartikeln und -textilien. Die beliebtesten Darstellungen sind der vollflächige Einsatz des Musters und die Verwendung als dekorativer Hintergrund bei lebendigen Motiven. Oft findet man auch einzelne Bestandteile des Asa no ha, wie beispielsweise die inneren Sterne oder einzelne Sechsecke als Elemente eines Musters.
Ein Stückchen Japan
Bei seiner enormen Popularität in Japan ist nicht verwunderlich, dass das Asa no ha-Muster auch im Westen zu einem beliebten Import geworden ist. Seine klare geometrische und gleichsam komplexe Form versprüht japanischen Flair, der gerne auch dekorativ eingesetzt wird, wie beispielsweise bei japanisch-inspirierten Brettspielen. In vielen Fällen steht Asa no ha im Kontext mit der japanischen Kultur, wie bei der EXPO 2020 in Dubai [1]. Die Fassade des Japan-Pavillons wurde durch die Kombination des Asa no ha mit einem traditionellen arabischen Muster inspiriert. Dabei wirkt die Fassade wie eine neuartige 3D-Variante des Asa no ha-Musters.
Zugleich scheint das Muster so reizvoll zu sein, dass es mittlerweile auch abseits des japanischen Kontexts eingesetzt wird. Zum Beispiel kann man es hier bei uns hin und wieder auf Blumentöpfen oder auf Geschirrtüchern entdecken. Immer mehr findet man es auch auf Textilstoffen, wodurch man selbst kreativ werden und das Muster selbst in diversen Bereichen einsetzen kann.
Einerseits geht durch den aktuellen aufkommenden Trend hin und wieder der kulturelle Hintergrund des Musters verloren. Anderseits stolpert man so zunehmend über ein Stückchen Japan in Deutschland – und mehr Japan in Deutschland finde ich persönlich immer gut.
[1] Die EXPO 2020 aufgrund der Covid-19-Pandemie auf den 1.10.2021 – 31.3.2022 verschoben.
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