Japan - mit dem zug von Nord nach Süd 19-Tage-Studienreise

Isabella Bird und ihre Reise durch Japan

Maria-Laura Mitsuoka
Maria-Laura Mitsuoka

Im Zeitalter der sozialen Medien ist die Dokumentation von Auslandsaufenthalten in Form von Fotos und Kommentaren nicht mehr wegzudenken. Doch im 19. Jahrhundert war ein solches Unterfangen mit vielen Schwierigkeiten verbunden – besonders für Frauen. Eine der ersten ausländischen Reiseschriftstellerinnen dieser Zeit war Isabella Bird.

Während ihres Aufenthalts in Nikkō übernachtete Bird bei der Familie Kanaya, die ihr die japanische Kultur näherbrachte. Sie bestieg nicht nur den Nikkō-zan, sondern besuchte auch den Nikkō Tōshō-gū, den sie sehr ausführlich und mit Begeisterung beschrieb.
Während ihres Aufenthalts in Nikkō übernachtete Bird bei der Familie Kanaya, die ihr die japanische Kultur näherbrachte. Sie bestieg nicht nur den Nikkō-zan, sondern besuchte auch den Nikkō Tōshō-gū, den sie sehr ausführlich und mit Begeisterung beschrieb. ©Light Cahill / photo-ac

Ob technische Geräte, Anime oder Videospiele, die kulturellen Einflüsse Japans haben den Westen im Sturm erobert. Jeder ist schon auf die eine oder andere Weise mit dem Land der aufgehenden Sonne in Berührung gekommen und viele Japan-Liebhaber:innen sparen über das Jahr, um sich ihren Traum von einer Reise zu erfüllen. Für uns ist es ein Leichtes, in ein Flugzeug zu steigen und innerhalb eines Tages in eine völlig neue Welt einzutauchen, doch vor 140 Jahren waren derartige Reisen nur wenigen Personen vorbehalten.

Damals unterlagen alle ausländischen Besucher:innen strengen Bewegungsbeschränkungen, die es ihnen nur erlaubten, sich innerhalb eines Radius von zehn ri (ca. 40 km) um die fünf Vertragshäfen Yokohama, Kōbe, Nagasaki, Hakodate und Niigata sowie um die beiden Städte Tōkyō und Ōsaka frei zu bewegen. Für die Erkundung der Gebiete außerhalb dieser Zonen war eine Sondergenehmigung erforderlich.

Bild von Isabella Bird. Sie war eine begeisterte Forscherin und bereiste neben Japan auch den amerikanischen Kontinent, Hawaii, Indien, Kurdistan, den Persischen Golf, Iran, Tibet, Malaysia, Korea und China.
Isabella Bird war eine begeisterte Forscherin und bereiste neben Japan auch den amerikanischen Kontinent, Hawaii, Indien, Kurdistan, den Persischen Golf, Iran, Tibet, Malaysia, Korea und China. ©Wikipedia / Public Domain

Ein unstillbarer Forscherdrang

Schon in jungen Jahren zeigte Isabella Bird, die älteste Tochter des britischen Pastors Edward Bird aus Yorkshire, eine unstillbare Neugier auf die Welt jenseits ihrer Türschwelle und deckte ihren Wissensdurst mit dem Studium von Literatur. 1854 besuchte sie aufgrund gesundheitlicher Probleme Verwandte in Amerika und schrieb mehrere Briefe, die unter dem Titel „The Englishwoman in America“ in Form ihres ersten Reiseberichts veröffentlicht wurden. Von dem Zeitpunkt an unternahm sie als renommierte Reiseschriftstellerin trotz chronischer Krankheiten – darunter schwere Rückenprobleme – waghalsige Expeditionen in die entlegensten Teile der Erde.

Im April 1878, im Alter von 47 Jahren, brach Bird schließlich auf Ersuchen des britischen Generalkonsuls Harry Parks in das Land der aufgehenden Sonne auf. Parks hatte sich darum bemüht, für sie eine Sondergenehmigung für Inlandsreisen ohne regionale oder zeitliche Beschränkungen zu erhalten, da ihm besonders viel daran lag, ein authentisches Bild von Japan zu gewinnen. So startete Bird in San Francisco an Bord eines Dampfschiffes und überquerte den Pazifik nach Asien, um schließlich nach 18 Tagen auf einer „verlassenen, regnerischen See“ den Hafen von Yokohama zu erreichen. Ihre Eindrücke von dem damals noch so exotisch anmutenden Land schilderte sie malerisch:

„Zerklüftete Bergrücken, dicht bewaldet, erheben sich vom Ufer aus, graue Dörfer mit tiefen Dächern drängen sich an den Mündungen der Schluchten entlang, und die Reisterrassen, die so grün wie englische Rasenflächen leuchten, erstrecken sich bis in große Höhen zwischen den dunklen Massen des Bergwaldes.” 1

Bird folgte dem Ōshū-Kaidō, der ihr bei der Stadt Shinjō (Präfektur Yamagata) einen herrlichen Blick auf den Berg Gassan und den Choukaizan bot. Auch heute noch zeigt sich der schneebedeckte Choukaizan von seiner schönsten Seite - auf diesem Bild allerdings in der benachbarten Präfektur Akita
Bird folgte dem Ōshū-Kaidō, der ihr bei der Stadt Shinjō (Präfektur Yamagata) einen herrlichen Blick auf den Berg Gassan und den Choukaizan bot. Auch heute noch zeigt sich der schneebedeckte Choukaizan von seiner schönsten Seite - auf diesem Bild allerdings in der benachbarten Präfektur Akita. ©w.aoki / photo-ac

4.500 km durchs Land

Bird bereiste das japanische Inselreich etwa sieben Monate lang und verließ Edo, das heutige Tōkyō, über die Ōshūkaidō-Handelsroute, um die besten Eindrücke von der idyllischen Landschaft und den japanischen Städten zu sammeln. Bei ihrer Ankunft in Nikkō schrieb sie:

„Es ist eine wahrhaft langweilige, beschauliche Straße, und die Leute kommen heraus und starren einen Ausländer so an, als wären Ausländer seit 1870 nicht die Norm (…) Es ist eine Puppenstraße mit kleinen, niedrigen Häusern, so fein mit Matten versehen, so vorzüglich sauber, (…), so leicht und zart, daß ich mich, als ich sie ohne meine Stiefel betrat, wie ein ‘Elefant im Porzellanladen’ fühlte.” 2

Sie setzte ihre Reise durch die Präfektur Yamagata fort und gelangte über Akita und Aomori nach Hokkaidō, wo sie mehrere Ainu-Dörfer, darunter Biratori, besuchte und einige Tage unter den Einheimischen verbrachte. Dabei verlor sie trotz kolonialistischer Ansichten viele warme Worte über die japanischen Ureinwohner, die sich durch ein „schönes Lächeln“ in ihren „melancholischen Gesichtern“ auszeichneten. In der zweiten Hälfte verlängerte sie ihren Aufenthalt mit dem Ziel, den Westen Japans zu besuchen, wo sie durch die Region Kansai zog und schließlich den Ise-Schrein erreichte.

Während ihrer Reisetätigkeit nutzte Bird immer wieder die Gelegenheit, mit der lokalen Bevölkerung in Kontakt zu treten und wichtige Informationen zu erhalten. Begleitet wurde sie von dem damals 18-jährigen Itō Tsurukichi, der ihr bis in den hohen Norden als Dolmetscher und Helfer zur Seite stand. Insgesamt legte sie mehr als 4.500 km mit der Rikscha, zu Pferd, mit Ochsen oder einfach zu Fuß über schlammige Pfade zurück und verfasste ein rund 800 Seiten umfassendes Reisetagebuch, das erstmals 1880 in ihrem Werk „Unbeaten Tracks in Japan: An Account of Travels in the Interior Including Visits to the Aborigines of Yezo and the Shrines of Nikko and Ise“ veröffentlicht wurde.

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Das Reisen innerhalb der nördlichsten japanischen Insel Hokkaidō war für Bird aufgrund der wilden Vegetation und die schlechte Wege wahrscheinlich das schwierigste Unterfangen. Dennoch lohnten sich die Strapazen ihrer Meinung nach angesichts der wunderschönen Landschaft. In der Ortschaft Biratori blieb sie für längere Zeit, um den dort lebenden Ainu näher zu kommen und ihre Bräuche kennenzulernen. Auch heute noch ist die Natur um Biratori atemberaubend
Das Reisen innerhalb der nördlichsten japanischen Insel Hokkaidō war für Bird aufgrund der wilden Vegetation und die schlechte Wege wahrscheinlich das schwierigste Unterfangen. Dennoch lohnten sich die Strapazen ihrer Meinung nach angesichts der wunderschönen Landschaft. In der Ortschaft Biratori blieb sie für längere Zeit, um den dort lebenden Ainu näher zu kommen und ihre Bräuche kennenzulernen. Auch heute noch ist die Natur um Biratori atemberaubend. ©冠者太郎 / photo-ac

Japans „Omotenashi” und die Rolle der Frau

Bird erkannte schnell, dass sie eine bessere Beziehung zu den Einheimischen aufbauen konnte, wenn sie sich an die offiziellen Regeln hielt. So nahm sie zum Beispiel im Kimono an einer Hochzeit teil und wurde Zeugin einer Beerdigung. Obwohl sie in einigen Textabschnitten recht streng mit der fremden Kultur ins Gericht ging, war sie zugleich von der japanischen Höflichkeit und omotenashi, dem Geist der Gastfreundschaft, begeistert. In einem Bericht über ihren Aufenthalt in Tenoko (Präfektur Yamagata) schrieb sie:

„Als die Frauen des Hauses sahen, wie heiß mir war, holten sie anmutig Fächer hervor und fächelten mir eine ganze Stunde lang zu. Sobald ich sie nach dem Preis fragte, weigerten sie sich, etwas zu verlangen, und wollten auch nichts annehmen. (…) Ich sagte ihnen aufrichtig, dass ich mich an sie erinnern werde, solange ich mich an Japan erinnere, und setzte meine Reise fort, sehr gerührt von ihrer Freundlichkeit.“ 3

Japanische Frauen spielten für Bird eine wichtige Rolle, und sie beschrieb deren Alltag und Charakterzüge mit großer Neugier. Oft schwärmte sie über die Feminität und Freundlichkeit, die Japanerinnen ihr entgegenbrachten. Zugleich kritisierte sie aber auch das harte Los, das vor allem verheiratete Frauen in der Gesellschaft hatten.

„Es ist offensichtlich, dass die elterliche Beziehung als weitaus höher angesehen wird als die eheliche, und dass die Tendenz dahin geht (…). Wenn der Vater der Diener des Kindes ist, so ist die Mutter die Sklavin, und ihr Los kann sehr hart sein, da ihre erste Pflicht darin besteht, Kinder in die Welt zu setzen und sie dann zu pflegen und zu versorgen, während die Ehe sie in die Position einer Sklavin ihrer Schwiegermutter stellt.” 4 

Mit Vorsicht zu genießen

Obwohl Isabella Birds Schriften über Japan wichtige historische Quellen sind und das Land aus einer anderen Perspektive beschreiben, sollte man sich immer vor Augen halten, dass Bird aus einer Zeit stammt, in der die Kolonisierung in vollem Gange war. Einige Beschreibungen sind aus heutiger Sicht undenkbar und erscheinen den Lesenden auf den ersten Blick befremdlich, ja gar empörend. So äußerte sich Bird beispielsweise negativ über das Erscheinungsbild der japanischen Bevölkerung oder bezeichnete die Ainu trotz liebevoller Worte als „dummes Volk“, das „wie Kinder“ sei und nichts lerne. Ihre stark christlich geprägte Erziehung veranlasste sie, den Buddhismus mit Misstrauen zu betrachten, und viele ihrer Vergleiche oder Zitate stützen sich auf die Bibel. Dennoch äußerte sich Bird auch begeistert über die fremde Kultur, wollte mit den Einheimischen in Kontakt treten und verglich Japans Landschaft mit dem Garten Eden. Genießt man die Lektüre mit Vorsicht, bietet Birds Buch folglich eine interessante Beschreibung Japans in der Meiji-Ära und sollte daher nicht in Vergessenheit geraten.


Einzelnachweise 

1 I. L. Bird, Unbeaten Tracks in Japan 1880, Verlag: Forgotten Books, 2008, S.4

2 I. L. Bird, Unbeaten Tracks in Japan 1880, Verlag: Forgotten Books, 2008, S.44

3 https://www.japan.go.jp/kizuna/2021/12/discovering_japan_with_isabella_bird.html

4 I. L. Bird, Unbeaten Tracks in Japan 1880, S.330

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