Es heißt häufig, die einheimische Naturreligion Shintōismus sei für die Lebenden, aber der Buddhismus für die Toten zuständig. Das lässt sich zum Beispiel daran erkennen, dass in Japan über 95 % der Verstorbenen nach buddhistischen Ritualen eingeäschert werden. Im 6. Jahrhundert von Mönchen über China ins Land gebracht, hatte der Buddhismus im Wesentlichen die Aufgabe, die Toten ins Jenseits zu befördern.
Eine lange Tradition
Seit der Edo-Zeit (1603-1868) werden Bestattungen häufig von Familien- oder Gemeindemitgliedern in den eigenen vier Wänden abgehalten. Die Verantwortung für die Organisation liegt in traditionellen Familien beim ältesten Sohn. Da der Tod als kegare (Verunreinigung) angesehen wird, muss der Lebensraum des Verstorbenen zunächst rituell gesäubert und die Welt der Lebenden strikt von der Welt der Toten getrennt werden. Dafür wird ein buddhistischer Mönch hinzugeholt, der Gebete spricht, Sutren rezitiert und Weihrauchopfer darbringt, um das karmische Schicksal des Verstorbenen auf einen positiven Weg zu lenken. Die Totenwache findet in der ersten Nacht nach dem Ableben statt. Dabei wird der Leichnam mit Eis zur Konservierung in sein Bett gelegt und mit einer Decke verhüllt. Ein weißes Tuch verbirgt die Gesichtszüge des Verstorbenen. Sowohl Familienmitglieder als auch enge Freunde besuchen den Leichnam, um ihr Beileid zu bekunden.
Am nächsten Morgen findet die Abschiedszeremonie statt, welche sich während der Meiji-Zeit (1868-1912) entwickelt hat: Bevor der Leichnam ins Krematorium gebracht wird, versammeln sich Familienmitglieder und Freunde, um ein letztes Mal mit dem Verstorbenen beisammen zu sein. Es werden erneut Räucherstäbchen angezündet und kleine Opfergaben auf den Hausaltar gelegt. Außerdem wird von den Trauergästen erwartet, o-kōden mitzubringen, ein Geldgeschenk, das zur Deckung der Beerdigungskosten bestimmt ist. Nach der Trauerzeit ist es für die Beschenkten üblich, den Geldspendern ein Geschenk in Höhe der Hälfte des Betrags zu machen. Das Geld wird in besondere Umschläge mit weißen und schwarzen Schnüren verpackt. Diese Umschläge kann man heute in jedem Schreibwarengeschäft kaufen.
Shintō und Buddhismus vereint
Nach der Abschiedszeremonie wird der Leichnam in einer langen Prozession namens sōretsu zum Krematorium getragen. Dort versammeln sich alle Trauernden, um sich ein letztes Mal zu verabschieden und mit einem Stein symbolisch auf die Sargnägel zu klopfen. Die engsten Familienangehörigen begleiten den Verstorbenen zum Krematorium, wo dieser eingeäschert wird. Anders als in Deutschland erfolgt die Einäscherung bei niedrigeren Temperaturen, damit die Knochen nicht vollständig verbrennen und sie mit der Asche zusammen beigesetzt werden können.
Nun tritt ein besonderer Ritus in Kraft, der buddhistische und shintoistische Elemente miteinander vereint. Beim kotsuage (wörtlich “Aufheben der Knochen”) werden die Knochenstücke mit langen Stäbchen, die die Brücke zwischen Dies- und Jenseits darstellen sollen, aus der Asche genommen und von einer Person zur anderen weitergereicht, bis sie schließlich in die Urne gelegt werden. Dies ist im Übrigen auch der Grund, warum es in Japan ein großes Tabu ist, Speisen mit den Essstäbchen weiterzureichen. Manche Mütter ermutigen ihre Kinder, Schädelknochen zur Steigerung ihrer Intelligenz in die Urne zu tun, andere wiederum widmen sich durch das Auflesen bestimmter Knochen der Bekämpfung von Krankheiten. Am Ende wird die Urne mit nach Hause genommen, um später im Familiengrab beigesetzt zu werden. Die Hinterbliebenen bestreuen einander bei ihrer Rückkehr mit Salz, um sich von den Spuren des Todes zu reinigen.
Seelen auf Wanderschaft
Im Buddhismus gilt eine Trauerzeit von 49 Tagen. Solange verharrte Buddha auch in Meditation, bevor er die Erleuchtung erlangte. Für die Verstorbenen stellen diese 49 Tage die Dauer der Reise ins Jenseits dar, wo sich ihre Seele vor zehn Richtern (jūō) rechtfertigen muss, bevor ihr Karma bestimmt wird. Die Hinterbliebenen können diese Verhandlung durch Riten und Opfergaben zu seinen Gunsten beeinflussen. Am Ende der Trauerzeit wird eine größere Gedenkzeremonie in einem Tempel abgehalten. Erst dann wird die Urne im Familiengrab beigesetzt.
Familiengräber befinden sich auf buddhistischen Friedhöfen, doch aufwendige Grabsteine einzelner Verstorbener findet man dort nicht. Lediglich der Familienname ist eingraviert, wobei die Zugehörigkeit der männlichen Linie folgt. Eine wichtigere Rolle spielen die Hausaltäre (butsudan), die sehr individuell gestaltet und mit Totentafeln (ihai) geschmückt sind. Hier wird den Toten über viele Jahre hinweg gedacht.
In bestimmten Abständen finden weitere Seelenmessen statt, wobei die erste (ikkaiki, ein Jahr nach dem Todestag) ein besonders wichtiges Ereignis darstellt, bei dem Sutren verlesen, Weihrauch verbrannt und ein großes Festmahl veranstaltet wird. Nach 33 Jahren kann die Totentafel vom Altar genommen werden, da man glaubt, dass die Seelen der Verstorbenen ihre beschwerliche Reise ins Jenseits endgültig beendet haben. Doch jedes Jahr im August sollen sie für kurze Zeit ins Diesseits zurückkehren. Im Rahmen diesen Obon genannten Volkfestes kommt die Familie zusammen und gedenkt den Ahnen mit fröhlichen Tänzen, Musik und Feuerwerk.
Bestattungen in der heutigen Zeit
Da heutzutage japanische Familien kleiner werden und in urbanen Regionen leben, und immer mehr Menschen in Krankenhäusern sterben, ist es schwierig, die Tradition einer solchen Hausbestattung weiterzuführen. Daher wird gerade in Großstädten oft die Hilfe von sogenannten sōgiya (professionellen Bestattern) in Anspruch genommen, die nicht nur den Leichnam in speziellen Trauerhallen aufbewahren, sondern auch die gesamte Organisation der Bestattung übernehmen.
Doch die mit einer traditionellen und von externen Unternehmen durchgeführten Bestattung verbundenen hohen Kosten sind ein Grund, warum mehr und mehr Menschen in Japan diese nur noch im engsten Kreis der Familie bzw. in vereinfachter Form (etwa ohne die Anwesenheit eines Priesters) abhalten. Die durchschnittlichen Ausgaben pro Beerdigung lagen 2021 bei 1,1 Millionen Yen (ca. 6.500 Euro), was einem Rückgang von 40 % gegenüber einer früheren, vor der Corona-Pandemie durchgeführten Umfrage entspricht. Inklusive aller Zusatzleistungen können die Kosten bis zu 3 Millionen Yen (ca. 18.000 Euro) betragen.
Dieser Artikel erschien in gekürzter Fassung in der JAPANDIGEST Mai 2024-Printausgabe und wurde für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.
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