Meiwaku: Wie Japaner Unannehmlichkeiten vermeiden

Christiane Süßel
Christiane Süßel

Japans Städte sind hektisch und voller Menschen. Die unvermeidliche physische Nähe funktioniert nur, weil Japaner eine feine Antenne für Situationen haben, in denen man seinem Gegenüber zu nahe tritt: Japaner achten stets darauf, niemanden mit dem eigenen Verhalten zu belästigen.

Meiwaku meeru Japan Mail Spam
Spammails sind lästig. Sei heißen auf Japanisch Meiwaku meeru. (c) Pakutaso

Das Stichwort heißt meiwaku (迷惑), was man am besten mit „Belästigung“ oder auch „Unannehmlichkeiten“ übersetzen kann. Meiwaku umschreibt den Zustand, in dem eine Person mit ihrem Handeln eine andere Person in Schwierigkeiten bringt oder dieser unangenehme Gefühle beschert. Schon kleinen Kindern wird in Japan eingebläut, niemanden zu belästigen (meiwaku wo kakenai, 迷惑掛けない).

Rush Hour Japan Zug Bahn Belästigung
Besonders zur Rush Hour sehr voll: Japanische Züge. (c) Hannah Janz

Passiert es dennoch, entschuldigen sich Japaner höflich: „Es tut mir leid, Sie belästigt zu haben“ (go-meiwaku wo kakemashite sumimasen, ご迷惑を掛けましてすみません). Dabei erkennen Japaner an, dass sie mit ihrem Verhalten eine Grenze überschritten haben.

In der Regel ist das Gegenüber eine fremde Person. Aber auch Ältere empfinden es mitunter als meiwaku, wenn sie von ihren eigenen Kindern gepflegt werden müssen oder ihnen in anderer Weise zur Last fallen. Dabei können Unannehmlichkeiten sowohl einer einzelnen Person bereitet werden als auch einer ganzen Gruppe. Nicht gruppenkonformes Verhalten und auch Verstöße gegen Normen oder Werte werden häufig als meiwaku gebrandmarkt.

Breite Spanne an Unannehmlichkeiten

Doch was genau empfinden Japaner als meiwaku? Die Spanne der „Belästigungen“ reicht von alltäglichen kleinen Unannehmlichkeiten wie lautem Telefonieren in der Öffentlichkeit über handfestes, rechtlich sanktioniertes Fehlverhalten.

In dicht gedrängten Bahnen gibt es viele Fettnäpfchen für typische meiwaku-Situationen: Das Belegen von zwei Sitzplätzen, das Spreizen oder Ausbreiten der Beine, die Behinderung von Ein- und Aussteigenden oder schnarchend zu schlafen wird als Belästigung empfunden.

Japan Bahn Handy stumm schalten
Um andere nicht zu stören, sind Japaner aufgerufen, Handys im öffentlichen Raum im Manner Mode zu nutzen. (c) Pakutaso

Der Betreiber der Bahnlinie Tsukuba-Express hat mit einer augenzwinkernden Kampagne auf ein paar Unflätigkeiten beim Bahnfahren aufmerksam gemacht. Mit Wortspielen appellieren dabei Früchte an die Passagiere, dass es nach Trinkgelagen oft zu Störungen der übrigen Passagiere komme und diese zu unterlassen seien.

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Wortspiel: Meiwaku endet auf die Silbe- ku, die die erste des Wortes Kudamono, Früchte, ist. Meiwa-ku-damono, also Belästigungs-Früchte, zeigen im Tsukuba-Express, welches Verhalten unerwünscht ist. © Anne Gehrke

Aber auch das laute Musikhören mit Kopfhörern, laut klackendes Tippen auf dem Notebook oder das Aufspringen in den Zug in letzter Sekunde sind demnach unerwünscht. Um anderen „nicht auf den Geist zu gehen“, wie wir es in Deutschland salopp sagen würden, werden Handynutzer in Japan dazu aufgerufen, ihr Telefon im öffentlichen Raum im sogenannten Manner Mode (マナーモード, Vibrationsmodus – wörtlich übersetzt „Manieren-Modus“) zu nutzen, also stummzuschalten und somit lästige Töne abzustellen.

Menschen mit Erkältung oder Heuschnupfen tragen Masken, auch um andere nicht mit ihrem Niesen und eventuell umherfliegenden Tröpfchen zu belästigen.

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Haben Japaner eine Erkältung oder Heuschnupfen tragen sie oft eine Maske, um andere mit ihrem Husten oder Niesen nicht zu belästigen. (c) Pakutaso

Verordnung zur Vorbeugung von Belästigungen

Neben diesen eher geringfügigen Belästigungen gibt es auf Ebene der Präfekturen juristisch fixierte „Verordnungen zur Vorbeugung von Belästigungen“ oder Meiwaku bōshi jōrei (迷惑防止条例).

„Jede der 47 Präfekturen hat eine eigene entsprechende Verordnung erlassen“, erklärt Prof. Dr. Hans-Peter Marutschke von der Abteilung Japanisches Recht an der Fernuniversität Hagen. Als gängige Straftatbestände nennt der Jurist etwa Schwarzhandel mit Eintrittskarten, sexuelle Belästigungen, Stalking, Verteilung pornografischer Infos (etwa Aufkleber mit Kontaktadressen), Hausieren in aufdringlicher Weise, gewalttätiges Verhalten, heimliche Fotoaufnahmen (etwa in Umkleideräumen), Voyeurismus, Zuhälterei und das Anwerben junger Frauen für Pornoaufnahmen.

Diese Belästigungen werden auch sanktioniert: „Gängig sind Geldstrafen bis zu 500.000 Yen. In schwereren Fällen droht eine Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr beziehungsweise eine Geldstrafe bis zu einer Million Yen“, so Marutschke. Ihren Ursprung haben diese Verordnungen im Tōkyō der 1950er Jahre, als Jugendgangs die öffentliche Ordnung störten.

„Belästigungen“ auf zwischenstaatlicher Bühne

Im Sinne einer Entschuldigung sorgte der Terminus meiwaku auch schon für zwischenstaatliche Irritationen. „Als der damalige Ministerpräsident Tanaka Kakuei 1972 zur Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen nach China reiste, benutzte er im Rahmen einer Entschuldigung das Wort meiwaku“, so Prof. Reinhard Zöllner, Japanologe an der Universität Bonn.

Sein Gegenüber, der chinesische Premierminister Zhou Enlai, antwortete hierauf, dass man meiwaku in China nur nutze, wenn man etwa aus Versehen den Rock einer Frau am Straßenrand mit Wasser bespritze.

„Zhou kritisierte, dass Tanaka diesen Ausdruck benutzt habe, um die unselige Vergangenheit zwischen Japan und China zu erklären“, so Zöllner. Tanaka wiederum wies darauf hin, dass man den Begriff im Japanischen anwende, um sich von ganzem Herzen zu entschuldigen. Er fügte hinzu: „Ich bin mir nicht sicher, ob diese Redewendung auf Chinesisch angemessen ist.“

Zöllner: „Zhou konnte Japanisch und dürfte durchaus verstanden haben, was Tanaka mit meiwaku meinte“.

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